Memory Loops – ein virtuelles Denkmal

»Neue Formen des Erinnerns und Gedenkens« sind in aller Munde und werden immer wieder gefordert aber auch kritisiert. Auch ein Münchener Kunstwettbewerb zum Thema »Opfer des Nationalsozialismus« stellte diese »neuen Formen« in den Mittelpunkt. Den Wettbewerb gewann die Künstlerin und Musikerin Michaela Melián mit ihrem Projekt Memory Loops.

Tonspuren in der Topographie Münchens

Den auf Interviewquellen, Privatkorrespondenz und amtlichen Bekanntmachungen basierenden 300 deutschen und 175 englischen Tonspuren entsprechen weiße Kreise auf einer virtuellen Stadtkarte. Hinter jedem der Kreise findet sich eine Geschichte, ein Memory Loop, die zusammen die Alltäglichkeit von Angst und Terror in der NS-Zeit unterstreichen. Die Collagen aus Zeitzeugenäußerungen, historischen Dokumenten und instrumentierter Musik – unter anderem von Felix Mendelssohn Bartholdy und Kurt Weill – verweisen thematisch auf Orte innerhalb der ehemaligen »Hauptstadt der Bewegung«. Die/der Nutzer/in weiß jedoch im Vorfeld nicht, was sich für ein Inhalt hinter dem Kreis verbirgt – die Geschichte eines Opfers, der Bericht eines Täters, eine Akte, eine Alltagsbruchstück...? Den Hörenden soll es möglichst selbst noch einmal wie der Historikerin gehen, die zum ersten Mal einen Zeugenbericht hört; sie sollen die nüchternen und gleichzeitig erschütternden Schilderungen des Grauens wahrnehmen und über die eigene Gewöhnung stolpern, wenn beispielsweise ein durch Kinderstimme vorgetragenes Dokument in Amtsdeutsch seine Monstrosität und Bedeutung erst spät enthüllt. Durch die bruchhafte Verfremdung soll dem Behördendeutsch besonders zugehört werden. Alle Zeitzeugenberichte und Interviews wurden transkribiert und von Schauspielern und Schauspielerinnen unterschiedlicher Generationen sowie von Kindern gesprochen. Alle Zeitzeugenberichte und Interviews wurden transkribiert und durch Schauspieler/innen und Kinder neu eingesprochen. 

Technische Umsetzung

Die Audio-Collagen können heruntergeladen und als Trackliste gespeichert werden – insgesamt über 24 Stunden Material! Mit wenigen Klicks kann so eine eigene Trackliste - auch für unterwegs - gestaltet und für einen Rundgang in München genutzt werden. So können die Nutzer/innen eigene Rundgänge, ihre eigenen Memory Loops zusammenstellen, indem die Audios auf dem Smartphone, dem Tablet oder dem MP3-Player gespeichert werden. Eine Registrierung ist nur nötig, wenn die Trackliste auch auf anderen Endgeräten online abrufbar sein soll – sie wird dann online user-spezifisch gespeichert. Um einen möglichst breiten Nutzer/innen-Kreis zu erschließen, finden sich an 61 Orten in der Münchner Innenstadt Hinweistafeln mit URL und Telefonnummer zu Tonspuren: Über einen Festnetzanruf können so jederzeit einzelne Tonspuren auf Deutsch und Englisch angehört werden. Über kostenlose 0800-Nummern sind sie auch per Handy abrufbar. Zusätzlich liegen in fünf Münchner Museen und Institutionen – bspw. dem Jüdischen Museum München –  MP3-Abspielgeräte zur kostenfreien Ausleihe bereit. Auf diesen können die fünf einstündigen Memory Loops mit vorausgewählten Tonspuren angehört werden. Diese fünf vorgefertigten Rundgänge können jedoch genau wie alle anderen Tonspuren auch online von zu Hause oder aber unterwegs im Stadtraum vom Smartphone oder Tablet genutzt werden. Sie sind unter der Rubrik Hörspiel zu finden. Ein englisch-sprachiges Hörspiel liegt ebenfalls vor. Außerdem gibt es eine Memory Loops App für das iPhone, die neben Tonspuren auch einen Stadtplan enthält, auf dem die einzelnen Stationen angezeigt werden. Mit der GPS-Referenzierung der App kann mit dem Smartphone direkt zu den ausgewählten Orten navigiert werden. 

Fazit

Memory Loops ist ein technisch und inhaltlich aufwendiges, gelungenes Projekt zur zeitgemäßen, digitalen Vermittlung über den NS-Alltag mit Opfer- und Täterbezügen. Doch ist Memory Loops mehr als nur ein weiterer historischer Audioguide mit Regionalbezug: Es ist, wie Jörg Heiser in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb, zugleich »ein alternativer Stadtplan, der eine akustische Tiefenbohrung ins jetzige Bild der Stadt erlaubt.« Das Projekt verweist in die Gegenwart, auf bauliche und gesetzliche Nachwirkungen und den allgemeinen erinnerungskulturellen Umgang über den Fokus München hinaus.

 

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