Empfehlung Fachbuch

Frauen als Täterinnen im NS

Kathrin Kompisch: Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus. Köln u.a.: Böhlau Verlag (2008) 277 S., € 22,90.
Von Birthe Kundrus

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieses Buch liefert einen brauchbaren Abriss der grundlegenden Forschungsarbeiten zu den »Volksgenossinnen«, die sich in den Dienst des nationalsozialistischen Unrechtsregimes stellten. Kathrin Kompisch, Verfasserin mehrerer Bücher zu Serienmördern und -mörderinnen, hat diese Studien populärwissenschaftlich aufbereitet.

Dabei systematisiert sie die Forschungsergebnisse anhand nicht ganz durchschaubarer Kriterien. Parteinähe, Berufsgruppen, aber auch Taten und Situationen bestimmen die Gliederung, vermutlich um ein umfassendes Bild der Mitwirkung zu liefern. So finden die Frauen Erwähnung, die in NSDAP-Frauenorganisationen wie dem Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend, dem BDM oder der NS-Frauenschaft Führungspositionen übernahmen und Karriere machten, wie etwa die »Reichsfrauenführerin« Gertrud Scholtz-Klink.

Daneben beschreibt Kompisch Frauen in den Zweigen der staatlichen Verwaltung, die mit dem Terrorregime besonders eng verquickt waren, wie etwa der Sozial- und Gesundheitsdienst oder die Polizei. Im ersteren veranlassten Fürsorgerinnen, dass andere, »rassisch« minderwertige Frauen zwangssterilisiert wurden, und Hebammen erfassten rassisch oder anderweitig »unerwünschten« Nachwuchs.

An dieser wie an weiteren Stellen des Buches weist Kompisch zu Recht auf die Handlungsräume hin, die die Fürsorgerinnen, Sekretärinnen, Wärterinnen etc. besaßen. In der Regel konnten sie Aufgaben ablehnen oder hatten einen Ermessenspielraum bei der Erfüllung ihrer Tätigkeit. Wenige aber haben diesen Handlungsraum gesehen oder sehen wollen. Polizistinnen besuchten Konzentrations- und Jugendschutzlager, Verwaltungsangestellte etwa bei der Gestapo tippten Deportationslisten. Beide Gruppen waren über das nationalsozialistische Terrorsystem und seine Ausgestaltung gut informiert – und beließen es dabei.

Schließlich widmen sich zwei Kapitel der SS. Zum einen schildert Kompisch, wie Aufseherinnen, Ärztinnen und Pflegerinnen in den Konzentrationslagern bzw. den Euthanasie-Anstalten Frauen quälten oder töteten. Zum anderen geht sie auf die Ehefrauen von SS-Männern ein, die diese zum Beispiel an die Stätten des Holocaust begleiteten.

Ein weiteres Kapitel wählt einen eher situativen Ansatz und geht auf die Kriegszeit ein. Es thematisiert den »Kriegsdienst« von Frauen als Wehrmachtshelferinnen, als SS-Helferinnen und Arbeitsmaiden des RAD. »Abgerundet« wird dieses bunte Bild durch einen einleitenden Abschnitt, der sich mit den Millionen »ganz normaler« Deutscher befasst, die als Ehefrauen aufmunternde Feldpostbriefe verfassten, um »den Kampfeswillen der Soldaten zu erhalten« (S.45), aber auch diejenigen erwähnt, die sich etwa am Hab und Gut von Deportierten bereicherten.

Am Ende des Buches stehen die Biografien dieser Frauen nach 1945. Auch wenn sie eine justizrelevante Straftat begangen hatten, verortete sich die große Mehrheit der Frauen im Unpolitischen. Diese entpolitisierende Selbstverortung war eine höchst erfolgreiche Strategie, das eigene Mitwirken am NS-System zu entschuldigen und zu camouflieren. Informative Kurzbiografien einzelner »Täterinnen« ergänzen die Darstellung.

Ein buntes Bild also, das uns die Verfasserin vorführt, »Täterinnen« allerorten, mag man meinen. Dieser Eindruck eines Sammelsuriums verfestigt sich während der Lektüre.
Anstatt sich auf die unterschiedlichen Grade von Verantwortung einzulassen oder die Forschung auch nur danach zu befragen, welche Formen von Täterschaft, Mittäterschaft, Selbstmobilisierung oder Mobilisierung bei den einzelnen Frauen vorlagen, werden alle über einen Kamm geschoren. Der marktschreierische Titel soll natürlich das Lesepublikum locken, geschenkt. Aber dem Buch selbst fehlt die inhaltliche Differenzierung.

Schon in der Einleitung kann sich Kathrin Kompisch nicht für eine Definition von Täterinnen entscheiden, stattdessen liefert sie gleich vier. Erstens seien Täterinnen »Frauen, die innerhalb der Strukturen des Nationalsozialismus die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzten, um in die körperliche oder seelische Unversehrtheit anderer Personen zu deren Nachteil einzugreifen.«

Damit entwirft sie eine Definition, die durch die Aufnahme von »seelischen« Quälereien recht weitgehend ist. Dann allerdings möchte sich die Autorin Angelika Ebbinghaus anschließen, »die als NS-Täterinnen all jene Frauen ansieht, die sich durch aktive Handlungen massiv am NS-Terror beteiligt haben«, eine Auslegung, die sich eng an den juristischen Normenbereich anlehnt, aus dem der Begriff stammt.

Schließlich aber will sie doch Annette Kuhn folgen, die unter »Täterinnen« Millionen von Frauen verortet: »Es handelt sich um die nicht-verfolgten, deutschen, ›arischen‹ Frauen, die sich in keinen erkennbaren Gegensatz zu den Zumutungen des NS-Regimes brachten, die, im Gegenteil, durch ihr Handeln und ihre Gesinnung das unmenschliche und verbrecherische Regime zwölf Jahre lang auf unterschiedlichste Weise direkt oder indirekt unterstützten«.  Eine Seite später ist dann von »alle[n] aktiv politisch agierenden Frauen« (alle Zitate S. 16–18) die Rede.

Offenbar merkt die Verfasserin gar nicht, dass diese Definitionen völlig inkongruente Gruppen von Akteurinnen in den Blick nehmen, für die dann die Messlatte der »Täterin« auch noch einmal genauer anzulegen wäre.

Aus diesem wenig systematischen und die Forschung kaum reflektierenden Vorgehen resultiert ein zweiter Leseeindruck: Frauen agierten wie Männer – oder wie es in einer Rezension der Rheinischen Post vom 27.12.2008 heißt: »Kathrin Kompischs viele neue Einsichten gewährende, ernüchternde Bilanz stellt NS-Täterinnen den männlichen Tätern gleichberechtigt zur Seite – ganz im Sinne der Betonung der ›gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für nationalsozialistisches Unrecht‹ (S. 246).«

Die Bilanz der NS-Forschung zu der Verantwortung der »Volksgenossinnen« für die Funktionsfähigkeit des NS-Regimes ist in der Tat ernüchternd, weil sie ein hohes Maß an Selbstmobilisierung gerade auch junger Frauen für das »Dritte Reich« belegt. Aber das Auffällige ist doch, wie diese Selbstmobilisierung einherging mit einer nach wie vor existierenden Geschlechterordnung – und zwar gerade im Bereich der tatnahen wie der politisch verantwortlichen Täter.

Diese Struktur belegen auch die Fotos in dem Band: Speer wie Schaub diktierten namenlos bleibenden Sekretärinnen (S. 89, 93). Das NS-Unrechtsregime brauchte beide Geschlechter, aber in unterschiedlichen Positionen und mit anderen Aufgaben. Frauen waren seltener als Männer mit der Konzeption von Massenmord oder anderen Verbrechen befasst, und auch im tatnahen Umfeld von Morden finden sie sich seltener als Männer. Diese in weiten Teilen ungleiche Partizipation beider Geschlechter am Unrechtsstaat hat mit »Gleichberechtigung« nichts zu tun. Das NS-Regime erweiterte einerseits die Handlungsmöglichkeiten und Tätigkeitsfelder von Frauen unter den Prämissen von Rasse und Raum, behielt gleichzeitig aber den Geschlechterdualismus (noch) im Auge – auch bei seinen Verbrechen und Morden.

Schließlich stört ein drittes Moment die Lektüre, nämlich die permanente Wiederholung der alten Leier, die »feministische Geschichtsforschung« habe sich im Gegensatz zu der »modernen Genderforschung« (S. 16) nicht für »Täterinnen« interessiert und jahrelang nur »Opferforschung« betrieben. Entschuldigung, aber wo, glaubt die Autorin, kommen denn Gudrun Schwarz, Katrin Dördelmann, Insa Eschebach, Ursula Nienhaus, Kirsten Heinsohn, Liz Harvey usw. her? Die Gegenüberstellung von verbohrten Altfeministinnen und aufgeschlossenen Genderforscherinnen klingt eher wie der Versuch einer Selbstverortung auf der richtigen Seite.

Ebenso wenig ist die Schmähung der frühen NS-Frauenforschung als ausschließliche »Opferforschung« historiografisch haltbar. In den 1970er und 1980er Jahren existierte ein wesentlich breiteres Spektrum an Forschungs- und Interpretationsansätzen, als uns Kompisch aufzeigt.

Zur ersten Orientierung bietet der Band einen Einstieg. Wer aber genauer wissen will, unter welchen Bedingungen »Volksgenossinnen« unter anderem auch zu »Täterinnen« wurden, was sie taten oder unterließen, wie sie sich mit ihren Taten auseinandersetzten, was weibliche und männliche Täterschaft vereinte oder trennte, muss weiterhin die einschlägigen Spezialstudien lesen und sich ein eigenes Bild machen.

Diese Rezension erschien erstmals in: Einsicht 01 Bulletin des Fritz Bauer Institut. Rezensionen / Frühjahr 2009: http://www.fritz-bauer-institut.de/rezensionen/einsicht01/09-kundrus.pdf

Auszüge aus dem Buch von Kathrin Kompisch können unter folgendem Link angehört werden: http://www.podcast.de/episode/963985/Kathrin_Kompisch

 

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