Täterschaft in der historisch-politischen Bildung
Von Matthias Heyl
"Aber im Hause des Henkers soll man nicht vom Strick reden; sonst gerät man in den Verdacht, man habe Ressentiment." Theodor W. Adorno
Es war, ist und bleibt schwierig mit der Täter-Auseinandersetzung. Zwar füllt die Bekenntnisliteratur von Angehörigen der zweiten, dritten und vierten Generation, die von der Auseinandersetzung mit Täterschaft in der eigenen Familie kündet, mittlerweile ganze Bücherregale, und im Feuilleton stößt dieses Thema in bestimmten erinnerungskonjunkturellen Phasen auf größeres Interesse.
Aber selbst mit mehr als sechzig Jahren Abstand bleibt das Bild nationalsozialistischer Täterschaft in der bundesdeutschen Gesellschaft weithin im Vagen. Durch verschiedenste Formen der Entwirklichung (Psychoanalytiker sprechen von »Derealisierung«) machen wir uns die Geschichte und ihre Akteure fremd. Grauzonen in den Bereichen zwischen »Tätern«, »Opfern« und »Zuschauern« bleiben grauer, als sie müssten.
Im sehr selbstbezogenen, minoritären und hoch effizienten Erinnerungsdiskurs feiern die Strategien der Abwehr, Verleugnung, des Wegschauens, der Verfälschung und Umdeutung fröhlich Urständ, und manchmal klingen die Aussagen der Enkel wie ein seltsames Playback dessen, was ihre Großeltern schon sagten. Das ließe sich mit moralischer Verve oder gar mit moralischer Hybris geißeln, wodurch der Geißelnde zumindest den Lustgewinn des unhinterfragten Gutseins hätte.
Besser vielleicht, wenn wir es einfach zur Kenntnis nehmen: es war, ist und bleibt offenbar schwierig mit der Täter-Auseinandersetzung. Auch in der historisch-politischen Bildung. Die Akteure historisch-politischer Bildung sind eben nicht nur die Profis ihrer Zunft, sondern – wie in anderen Zünften auch – Kinder ihrer Eltern, Enkel ihrer Großeltern, Urenkel ihrer Urgroßeltern. Und in diesem generationellen Rahmen eben scheint es noch immer besonders schwierig, sich der Geschichte so ganz zu stellen.
Aber unabhängig davon, ob wir als Kinder, Enkel oder Urenkel mit diesem Geschehen verbunden sind, oder aber ob diese Geschichte erst durch Migration auch zu unserer geworden ist: Grundsätzlich ist die Attraktivität der Auseinandersetzung mit einer so grauenhaften Geschichte für die meisten gering bis begrenzt, da schmerzhaft, konfliktreich, peinlich und unangenehm.
Und noch immer scheint mir der Satz von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno richtig, dass sich »die Abwehr der Erinnerung an das Unsägliche, was geschah, […] sich eben der Motive« bedient, »welche es bereiten halfen«. Aus dieser seltsamen Verschränkung heraus lohnt es sich einmal mehr, unsere Probleme in der Konfrontation mit dieser Geschichte ernst und genauer in den Blick zu nehmen, weil wir so auch wieder etwas über die Motive der Täter erfahren. Sich mit den Umständen der Tat und mit den Motiven der Täter auszukennen, soll helfen, einer Wiederkehr vorzubeugen, weil das Wiederholungsrisiko nicht auf der Seite der Opfer, sondern auf der der Täter und Zuschauer liegt. Aber wie?
Der Historiker Michael Wildt schreibt in seinem Nachwort zu Katrin Himmlers Buch über »Die Brüder Himmler«, ihre Studie markiere vielleicht »einen Wendepunkt in der Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit. […] Familiengeschichten, wie sie Katrin Himmler schildert, nüchtern, ernsthaft, distanziert, ohne falsche Empathie und dennoch stets der unauflösbaren Bindung eingedenk, öffnen einen Zugang zur Geschichte, der anders als in den großen Erzählungen der Historiker handelnde Menschen im Alltag sichtbar macht, die nicht Rädchen in einem anonymen Getriebe sind, sondern Individuen, die Entscheidungen fällen – auch mörderische.«
Und Wildt knüpft die Hoffnung an solche Familiengeschichten, sie setzten »einen klaren Kontrapunkt« gegenüber »dem Untersuchungsbefund des Sozialpsychologen Harald Welzer, dass in der deutschen Familienerinnerung die Verantwortlichkeit der Tätergeneration gerade von den Enkeln verleugnet wird«.
Die biographisch konkrete Täterauseinandersetzung, die multiperspektivische Auseinandersetzung mit Täter/innen, Verfolgten, Helfer/innen (der Täter und der Verfolgten), Zuschauer/innen und all denen, die sich dazwischen bewegten, mag die Augen öffnen.
Die Auseinandersetzung wird dadurch ausdrücklich nicht leichter, sondern facettenreicher, komplexer, ambivalenter und ergiebiger – so, wie im richtigen Leben eben. Die Auseinandersetzung mit einer Verbrechensgeschichte wie der nationalsozialistischen ist so unangenehm und schmerzhaft, wie die anlassgebende Geschichte selbst. Den Wunsch, sich abzuwenden, kann ich niemandem verübeln. Aber besser, wir haben diese Geschichte im Blick, nicht im Nacken – und so sind wir es nicht nur den Opfern, sondern auch uns, unseren Kindern und Kindeskindern schuldig, den Blick nicht abzuwenden.
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- 20 Jan 2010 - 14:36