Lernen aus der Geschichte des geteilten Deutschlands
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Von Dr. Jens Hüttmann
Schülerinnen und Schüler wissen zu wenig über die jüngste deutsche Zeitgeschichte. Darin sind sich alle empirischen Studien, die seit 2004 von unterschiedlichen Institutionen durchgeführt werden, einig. Die Studien weisen aber auch einstimmig auf einen zweiten Punkt hin: Junge Leute in Deutschland haben großes Interesse an der Geschichte des geteilten Deutschlands. Gleiches gilt für die friedliche Revolution und die innere Selbstdemokratisierung in der DDR im Herbst 1989, genauso wie für den Einheitsprozess seit 1990.
Auf den ersten Blick mag das Thema für die nach der Vereinigung geborenen Schüler abstrakt sein. Wer aber einmal im Unterricht darüber diskutiert hat, auf welche Weise Bürgerinnen und Bürger seit dem Spätsommer mit friedlichen Mitteln, Flucht und Protest gegen die Staatsmacht so erfolgreich wie unvermutet individuelle und kollektive Freiheitsrechte einforderten, die ihnen das Regime jahrzehntelang vorenthalten hatte, wird merken, dass dies auch für die Nachgeborenen eine faszinierende Angelegenheit ist. Ein Indiz hierfür ist, dass sich 20 Jahre später eine Vielzahl von Schulen bundesweit an kaum überschaubaren Wettbewerben beteiligen, die diesen Glücksfall der deutschen Nachkriegsgeschichte würdigen.
Wenn Lehrerinnen und Lehrer ebenso wie Kollegen und Kolleginnen aus der politischen und außerschulischen Bildung in den Erinnerungsjahren 2009 und 2010 tiefer in das Thema einsteigen wollen, können sie mittlerweile auf ein breites und vielfältiges Angebot von didaktischen Materialien wie DVDs, Websites und Filmen mit Begleitmaterialien zur doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte zurückgreifen.
Dies zeigt der [node:7586], der auf 270 Seiten sage und schreibe über 140 solcher Angebote zusammengetragen hat und der vor kurzem im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur veröffentlicht wurde. Der Bildungskatalog ist eines der Beispiele dafür, auf welche Weise die Bundesstiftung Aufarbeitung versucht, zur Auseinandersetzung im Unterricht anzustoßen und das vorhandene Interesse zu fördern, um den immer wieder konstatierten Wissensdefiziten entgegenzutreten.
Nicht unter den Tisch fallen darf jedoch folgende Einsicht: Nicht allein im mangelnden Faktenwissen, sondern ebenso in einem ungenügenden Orientierungswissen bestehen die Defizite.
Denn es kommt nicht nur darauf an, dass Schülerinnen und Schüler wissen, wann die Mauer gebaut wurde oder wie der SED-Generalsekretär in den 70er Jahren hieß. Sondern sie sollten im Unterricht verstehen lernen, wo der Unterschied zwischen der demokratischen Entwicklung in der Bundesrepublik und der Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes nach 1945 liegt, wenn man diese mit dem diktatorischen Herrschaftssystem vergleicht, wie sie die Sowjetunion und SED nach dem Zweiten Weltkrieg in der SBZ etablierten.
Auch die nach 1990 Geborenen sollten unterscheiden können zwischen einem Geheimdienst einer parlamentarischen Konkurrenzdemokratie und einer Geheimpolizei wie der Staatssicherheit, die mit Hilfe von weichen wie auch von harten Repressionsformen nicht davor zurückschreckte, den Bürgerinnen und Bürgern im Auftrag der SED elementare Freiheitsrechte zu verweigern.
Schülerinnen und Schüler lernen diese Dinge am besten in der Diskussion - mit Lehrkräften und Gleichaltrigen genauso wie mit Zeitzeugen und Wissenschaftlern. Um diese Prozesse zu befördern und um mehr DDR-Geschichte im Unterricht zu verankern, sind weitere niedrigschwellige webbasierte Angebote ein idealer Anlaufpunkt.
Dazu zählt etwa das von der Bundesstiftung Aufarbeitung gemeinsam mit den Bundesländern und dem BMI entwickelte http://www.zeitzeugenportal8990.de, das seit dem zweiten Halbjahr 2009 friedliche Revolutionäre an Schulen vermittelt. Darüber hinaus finden Jugendliche und Pädagogen auf der Website Daten, Fakten und Dokumente zum Thema wie auch weitere Handreichungen.
Darüber hinaus können sie auf der auf dem Webportal [node:7591] - quasi wie bei You Tube - lernen, auf welche Weise Zeitzeugengespräche durchgeführt und diese dokumentiert, gefilmt und geschnitten werden können.
Fazit: Die Angebote für Schulen sind längst vorhanden. Sie müssen nur aufgegriffen werden. Umso wichtiger ist es deshalb, über diese Angebote zu informieren und Netzwerke zur weiteren Verbreitung zu befördern.
Gerade zum 20. Jahrestag der friedlichen Revolution bietet sich die Chance, mithilfe dieser Angebotsvielfalt auch im Unterricht in Erinnerung zu rufen, was für ein Wunder der Sturz der kommunistischen Diktaturen in Ostmitteleuropa darstellt. Schülerinnen und Schüler können lernen, dass es mit Zivilcourage und Bürgermut möglich ist, dass auch die scheinbar Machtlosen ungeahnte Verbesserungen erreichen können.
Die weltweite Ahnungslosigkeit der Jahre 1989/1990 war im Übrigen sogar ein entscheidender Vorteil der Bürgerrechtsbewegung. Denn das Unvermögen in Ost und West, sich eine abrupte Überwindung der SED-Herrschaft und der deutschen Teilung überhaupt vorstellen zu können, war vielleicht die elementarste Voraussetzung für das Gelingen der Revolution schlechthin.
Hätte die kleine, von der Staatssicherheit infiltrierte DDR-Opposition 1989 die Überwindung der SED-Diktatur offen oder im Geheimen zum Ziel gehabt, wäre sie dabei vom Westen auch nur propagandistisch unterstützt worden, die SED-Führung und wohl auch Moskau hätten nicht gezögert, die Machtmittel einzusetzen, über die die SED bis in den Herbst 1989 uneingeschränkt verfügte.
Bei Jugendlichen hierfür mehr Kenntnis und Deutungskompetenz zu entwickeln, das ist eine wichtige bildungspolitische Herausforderung der nächsten Jahre.
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- 8 Jan 2010 - 13:30