Empfehlung Fachdidaktik

Ein Blick über den Tellerrand?

Die Friedliche Revolution in den Lehrplänen

Im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat Oliver Igel eine Analyse der Lehrpläne für die Fächer Geschichte, Politik, Deutsch und Religion vorgelegt, die den Stellenwert der Herbstereignisse 1989 im Schulunterricht der jeweiligen Bundesländer ermittelt. Er kommt zu dem Schluss, dass den Ereignissen bisher nicht der angemessene Stellenwert eingeräumt wird. Dies belegt er mit einer Beschreibung der jeweiligen inhaltlichen Ländervorgaben, unterschieden für Schulformen und Jahrgangstufen, sowie den für die Ereignisse verwendeten Termini.  

Unterbelichtet bleibt die Frage, in welchen europapolitischen bzw. weltpolitischen Kontext die jeweiligen Lehrpläne das Geschehen verorten. Symptomatisch für eine nationale Verengung steht die Beschreibung des bayrischen Lehrplans zur Vermittlung des Endes der DDR: „verdeckte Krise und zunehmende innere Erstarrung des Systems, Opposition und Protest, Massenflucht und friedliche Revolution“.

Nur in wenigen Bundesländern wie z.B. in Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz wird dezidiert auf außerdeutsche Akteur/innen und Ereignisse verwiesen. So wird in Hessen unter der Leitfrage „Die deutsche Einheit – wessen Erfolg?“ unter anderem die Liberalisierung in der Sowjetunion (Gorbatschow, Glasnost, Perestroika) aufgeführt.

Sachsens Mittelschulen sollen im Lernbereich „Europa im Aufbruch“ die „friedliche Revolution in der DDR 1989“ in einer Reihe mit den osteuropäischen Freiheitsbewegungen des Prager Frühlings und der Solidarność sowie Glasnost und Perestroika Michail Gorbatschows behandeln.

Nimmt man die Forderung nach einem multiperspektiven europäisch orientierten Geschichtsunterricht jenseits von Nationalgeschichte ernst, so erweist sich die Mehrzahl der Lehrpläne als unangemessen. So wie ohne Solidarność, Glasnost und die Grenzöffnung in Ungarn die politische Wende in der DDR nicht so eingetreten wäre, wie sie passierte, so ist sie ohne Kenntnis dieses Kontextes für die Lernenden auch nicht nachvollziehbar.

Die politische Wende in der DDR allein über die Beschreibung des Handelns der Ost- und Westdeutschen zu vermitteln ist jedoch nicht nur fachlich fraglich, sondern auch ignorant gegenüber all Denjenigen, die durch politisches Handeln in den anderen Staaten des Ostblocks entscheidend dazu beitrugen, dass im November 1989 die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten geöffnet wurde.

Link zur Studie von Oliver Igel: http://www.stiftung-aufarbeitung.de/downloads/pdf/2007/fr-lehrplaene.pdf 

 

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