Projekt

Die Reichsfinanzverwaltung und die Judenverfolgung

Eckdaten

Ort/Bundesland: Berlin
Institution: Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Autorin: Annegret Ehmann
Altersgruppe: 16 Jahre und älter

Bibliografie

  • Voss, Reimer: Steuern im Dritten Reich. Vom Recht zum Unrecht unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 1995
  • Mußgnug, Dorothee: Die Reichsfluchtsteuer 1931-1953, Berlin 1993
  • Kumpf, Johann Heinrich: Die Finanzgerichtsbarkeit im Dritten Reich. In: Diestelkamp, Bernhard / Stolleis, Michael ( Hg.): Justizalltag im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1988
  • Empfehlenswerte Dokumentarfilme: "Der ewige Beamte", Regie: Armin D. Steuer, WDR 1997, "Das war alles so schrecklich normal", Regie: Johannes Ludwig, SFB 1991 (Verleih: Landeszentrale für politische Bildung Berlin)

Schüler des Faches Steuerwesen erarbeiten in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz anhand von Dokumenten die Rolle der Berliner Oberfinanzdirektion während der NS-Judenverfolgung. Sie erkennen mit Hilfe von Originaldokumenten, in welchem Maß Beamte und Angestellte der Finanz- und Steuerverwaltung in Berlin an der nationalsozialistischen Entrechtungspolitik mitgewirkt haben.

Einleitung

Seit 1992 entwickelt die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz verschiedene Projektvariationen ein- bis fünftägiger Seminare für die verschiedenen Berufsgruppen der öffentlichen Verwaltung. Die Seminare haben zum Ziel, Berufstätige, aber auch Auszubildende mit ihrer jeweiligen Berufsgeschichte in der NS-Zeit zu konfrontieren, indem ihnen Gelegenheit gegeben wird, die nationalsozialistische Verfolgungs- und Völkermordpolitik auf der Basis von Dokumenten als arbeitsteilige Verwaltungsvorgänge zu analysieren, an denen ganz "normale" Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes beteiligt waren. Dabei stellen sich zwangsläufig Fragen, inwieweit allgemeine Verwaltungsstrukturen und berufsspezifische Denk- und Verhaltensweisen Voraussetzungen für die weitgehend reibungslose massenhafte Kollaboration boten. Zugleich werden aber auch ideologische Kontinuitäten und Brüche in der Verwaltungspraxis sowie der Berufsethik heute problematisiert.

Das hier beschriebene Projekt umfasst einen Seminartag. Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler in der Berufsausbildung an einem Oberstufenzentrum in Berlin sind Auszubildende für Büroberufe in der freien Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung in den Berufen Immobilienwirtschaft/Wohnungsverwaltung, Steuerveranlagung und Steuerberatung. Die Berufsausbildung findet sowohl praktisch im Betrieb als auch theoretisch an zwei Wochentagen in der Berufsfachschule des Oberstufenzentrums statt. Im Rahmen des Fachunterrichts können auch Projekttage außerhalb der Schule stattfinden, wie z.B. ein solcher Seminartag in der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz.

Voraussetzungen für den Projekttag

In einer Vorbesprechung mit der Lehrerin bzw. dem Lehrer wird geklärt, welche thematischen Schwerpunkte die Schülerinnen und Schüler bearbeiten wollen. Dabei werden die Schülerinteressen vorrangig vor denen des Lehrers berücksichtigt. Der Projekttag in der Gedenkstätte setzt bei den Teilnehmern und Teilnehmerinnen Motivation für das Thema "Nationalsozialismus" und die Fähigkeit zur Eigenaktivität in Kleingruppenarbeit voraus. Es geht nicht um Schule am anderen Ort, d.h. klassische Unterrichtsarbeit mit Textbuch nach Vorschriften eines Lehrplans. Daher soll der Tag frei sein von jeglicher Leistungskontrolle und sich nicht an starren Modellen orientieren. Jeder Projekttag wird speziell für die jeweilige Gruppe erarbeitet. Informationen über die Gruppe, ihre Vorkenntnisse, Interessen und ihr Lernverhalten sind wichtige Faktoren für die Konzeption.

Ablauf des Projekttages

Der kurzen Vorstellungsrunde, in der die Gefühle und Erwartungen hinsichtlich des Themas und des methodischen Verlaufs angesprochen werden, schließt sich ein Einführungsvortrag zur Geschichte des Hauses (siehe pdf-Dokumente) und zur Bedeutung der Wannsee-Konferenz an. Da häufig die Konferenz mit der Beschlussfassung zur Vernichtung der Juden Europas gleichgesetzt wird, wird anhand des Protokolltextes, einer Landkarte und verschiedener Diagramme auf Overhead-Folien die Koordinationsfunktion der Konferenz verdeutlicht (siehe pdf-Dokumente). Das Finanzministerium war ebenso wie das Reichsverkehrsministerium auf dieser Konferenz nicht vertreten, da die notwendige Kooperation mit diesen beiden Behörden bereits funktionierte und die Anwesenheit ihrer Vertreter nicht erforderlich war.

Im nächsten Schritt werden die Stufen des Ausgrenzungs- und Enteignungsprozesses bis zur Deportationsentscheidung erarbeitet (siehe pdf-Dokumente) und dazu jeweils Gesetzestexte herangezogen (Ermächtigungsgesetz, Berufsbeamtengesetz, Nürnberger Gesetze) sowie ein kurzer Dokumentarfilm über das "normale" Funktionieren der Behörden und des Alltags in Berlin. Die Interpretation des sogenannten Arierparagraphen leitet über zur exemplarischen Darstellung der NS-"Rassenlehre" sowie zur Definition der entsprechenden Begriffe (Volk, Blut, Rasse, Arier, artverwandt, artfremd, Ariernachweis). Hierbei werden NS-Bildmaterial und Texte, die damals zur Schulung in Rassenlehre in Schulen und Fortbildungslehrgängen für Angehörige des öffentlichen Dienstes verwendet wurden, analysiert. Anschließend wird durch Auszüge aus einer Video-Dokumentation die historische Entwicklung des Berufsbeamtentums kritisch illustriert. Die teilweise ironische Darstellung provoziert zumeist eine lebhafte Diskussion über die den Staatsdienern zugeschriebenen Denk- und Verhaltensweisen.

In der anschließenden Mittagspause besteht Gelegenheit, in der ständigen Ausstellung die bisher bearbeitete Thematik zu vertiefen. Am Nachmittag findet Quellenarbeit in vier Kleingruppen statt. Die Arbeitsmaterialien werden erläutert durch eine Einführung in die sukzessiven Maßnahmen der Finanzverwaltung: Reichsfluchtsteuer, Vermögensanmeldung, Judenvermögensabgabe beziehungsweise "Sühneleistung" nach dem 9. November 1938, Zwangsarisierung, Enteignung, Vermögensverwertung. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden sich für die jeweiligen Gruppen nach persönlichem Interesse. Die Moderatorin bzw. der Moderator steht den Gruppen für Nachfragen zur Verfügung. Zusätzlich zu den AG-Materialien gibt es eine Handbibliothek und weitere Nachschlagewerke in der Mediothek sowie dort die Hilfe der Bibliothekarinnen. Der Tag schließt mit einer offenen Diskussion im Plenum ab.

Aufgabenstellungen und Fragen für die Arbeitsgruppen

  • AG 1: "Aufgaben und Bedeutung des Reichsfinanzhofs" Reinhardt, Fritz (Staatssekretär im Reichsfinanzministerium) in: Deutsche Steuer-Zeitung 489 unten bis 491. Frage: Wie sollen die Gesetze ausgelegt werden?
  • AG 2: Reichsfluchtsteuer (Befreiung von Juden) Seweloh, Arthur (Reichs-richter beim Reichsfinanzhof) in: Steuer und Wirtschaft 1938, Spalte 1331- 1352 insbesondere: Spalte 1348 unten bis 1352. Frage: Wie werden die Entscheidungen begründet?
  • AG 3: "Die Judenvermögensabgabe" Donandt, W. (Regierungsrat beim Reichsfinanzministerium) in: Deutsche Steuer-Zeitung Januar 1939, Seite 78-84. Frage: Wie wird die Abgabe kommentiert?
  • AG 4: Arisierung am Beispiel der Schriftstellerin Else Ury (Else Ury war Autorin der populären Kinderbuchreihe "Nesthäkchen") Die Deportationsakte Else Urys und Ausstellungsexponate der Sonderausstellung über Else Ury sind im Haus vorhanden. Frage: Welches Bild vermitteln die Materialien vom Umgang der Behörden mit der Person Else Ury und ihrem Eigentum?

 

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