Empfehlung Lebensbericht

Himmelstraße - Geschichte meiner Familie

Erica Fischer. Himmelstraße. Geschichte meiner Familie. (2007) Rowohlt Verlag Berlin, 250 S., 19,90 €

Das bekannteste Buch der Autorin ist "Aimée & Jaguar", die reale Geschichte einer verbotenen Liebe zwischen zwei Frauen in der Nazizeit: Lilly Wust, einer mit einem Nazi verheiratete Mutter von vier kleinen Kindern und Felice Schragenheim, Jüdin, Nichte von Lion Feuchtwanger. Felice wurde denunziert, von der Gestapo verhaftet und in Auschwitz ermordet. Lilly Wust, Nazi-Sympathisantin erzählte Erica Fischer ihre verklärte Version der Geschichte im Alter von 80 Jahren ohne Reflektion über eigene Mitschuld.

Die Recherchen über die reale Geschichte der Felice Schragenheim veranlassten Erica Fischer, sich mehr und mehr für die jüdische Geschichte zu interessieren, die auch die ihrer Familie ist.

Mit "Himmelstraße" erzählt die Autorin in der Rückschau die Geschichte von drei Generationen ihrer eigenen Familie. Sie beginnt mit der Schilderung der Rückkehr nach Wien an einem nasskalten Januartag an den Ort ihrer Kindheit, die Wohnung der Mutter und des Bruders.

Kurz zuvor war die Mutter gestorben. Nun ist der Bruder Paul aus der gemeinsamen Wohnung verschwunden. In einem Abschiedsbrief teilt er mit, nach Übersee ausgewandert zu sein. Sie vermutet jedoch Selbstmord, was sich später als zutreffend herausstellt.

Erica Fischers jüdische Mutter floh Anfang der 1930er Jahre vor den Antisemiten in Polen nach Wien, um dort zu studieren, und verliebte sich in einen österreichischen Sozialisten. Nach dem von den Österreichern 1938 umjubelten Einmarsch der Nazis in Österreich mussten beide fliehen. In England baute sich die Familie nach dem Ende der Internierung des Vaters als „feindlicher Ausländer“ ein neues Leben auf.

Die ungleichen Geschwister Erica und Paul wurden geboren. 1948 wollte der Vater jedoch unbedingt wieder nach Wien zurückkehren und zwang damit die Mutter, wieder in dem Land zu leben, in dem sie sich zeitlebens fremd fühlte. Die in Warschau verbliebenen Großeltern waren in Treblinka ermordet worden, weshalb ein "normales" Weiterleben umgeben von einer Gesellschaft ehemaliger Nazis ihr unerträglich erschien.

Doch auch die Überlebenden, die Kinder und Enkelkinder bleiben, so die Autorin, von der Katastrophe weiter psychisch geprägt. Während die Schwester sich als eine "Davongekommene" empfindet, sich ein eigenes Leben aufbaute, gelang das dem Bruder nicht. Er blieb symbiotisch an die Mutter gebunden. Ihre Depressionen über den fürchterlichen Tod ihrer Eltern trieben letztlich auch ihn in Fluchtgedanken und Selbstmord.

Die unsentimentale, ehrliche und zugleich bewegende Schilderung dieser Familiengeschichte verknüpft Erica Fischer mit den jeweils relevanten politischen Hintergrundinformationen, so dass das Buch damit auch eine aufschlussreiche Darstellung der österreichischen Nachkriegszeit ist.

Erica Fischer, geboren 1943 in der englischen Emigration der Eltern, 1948 Rückkehr nach Österreich, Sprachen Studium an der Universität Wien, Feministin, Mitbegründerin der Neuen Frauenbewegung in Österreich sowie der feministischen Zeitschrift "Auf - Eine Frauenzeitung" und der Buchhandlung "Frauenzimmer". Arbeit als Übersetzerin und Publizistin seit den 1970er Jahren, lebt seit 1988 als Schriftstellerin und Übersetzerin in Deutschland, seit 1994 in Berlin.

 

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