Was Leute denken, untersuchen heutzutage Meinungsforschungsinstitute. Fast täglich werden systematische und repräsentative Befragungen der Bevölkerung zu aktuellen politischen Themen durchgeführt. Keine Regierung kann mehr ohne objektive sozialwissenschaftlich gesicherte Demoskopie in Zeiten hochkomplizierter Lebensverhältnisse auskommen. Auch die NS Führung interessierte sich bereits stark für die Beurteilungen des politischen Alltags und die Gefühle des "Volkes".
Sie verschaffte sich ihre Informationen jedoch nicht wie demokratische Staaten mittels Methoden der offenen Meinungsumfrage oder aus den Medien. Sie bediente sich eines Überwachungs- und Spitzelapparats, nutzte die regelmäßigen Berichte von Behörden der allgemeinen Verwaltung und der Justiz sowie ab 1938 bis in die letzten Kriegstage den Inlandsnachrichtendienst des Sicherheitsdienstes (SD) der SS im Reichssicherheitshauptamt. Ergebnis von dessen Tätigkeit waren die „Meldungen aus dem Reich“ der einen möglichst genauen Kenntnisstand des Meinungsklimas verschaffen sollte. Selbstverständlich sind auch diese Quellen kritisch zu prüfen.
Über die politischen Meinungen und Stimmungslagen der Deutschen während der Naziherrschaft wurde und wird bis heute immer wieder viel spekuliert. Was wussten sie von den Verbrechen, was konnten sie wissen, was nicht? Der Historiker Götz Aly, dessen Publikationen über den Nationalsozialismus sich stets durch neue Themen und originelle Forschungsansätze auszeichnen, durch die er die Historikerzunft immer wieder herausforderte, hat mit Studenten an der Universität Frankfurt am Main, an der Aly eine Gastprofessur innehatte, anhand konkreter Indikatoren historische Demoskopie betrieben um ein NS-Politbarometer zu rekonstruieren.
In sechs von den Studierenden verfassten Kapiteln wird dargestellt, inwiefern sich z.B. an der Namensgebung von Kindern, - Adolf, Horst oder Hermann - Trends der Zustimmung ablesen ließen, ebenso wie an Kirchenaustritten, an Sparwilligkeit und Sparquoten. Untersucht werden die Strafjustiz in ihren Auswirkungen auf das "Volk" ebenso wie in Todesanzeigen für gefallene Soldaten geäußerte Zuversicht oder Zweifel am "Heldentod". Abschließend werden Überlegungen angestellt, wie sich aus den repräsentierten Daten ein Gesamtbild der Stimmung im NS-Staat entwickeln lässt.
Die ausführlichen, viele neue Erkenntnisse vermittelnden Einführungs- und Abschlusskapitel von Götz Aly, die Edition einer Göringrede zum Erntedank von 1942 nach einer Tonaufzeichnung sowie ein Anhang mit Diagrammen, statistischen Daten und weiterführenden Literaturangaben runden den auch sprachlich gut lesbaren Band ab, der nicht zuletzt als beispielhaft für die Arbeit mit Studierenden nachdrücklich zu empfehlen ist.
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- 26 Nov 2009 - 01:53