Der Zweite Weltkrieg jenseits Europas
Von Franziska Ehricht
Schon das Umschlagsfoto dieses zugleich interessanten wie auch irritierenden Buches macht neugierig. Es zeigt zwei schwarze Soldaten im Schnee. Assoziieren wir nicht das Thema des Buches – den Zweiten Weltkrieg – in der Regel eher Europa, den USA und weißen Soldaten? Wer sind also diese beiden Soldaten? Woher kommen sie? Wie sind sie an die Front geraten? Haben sie sich freiwillig gemeldet oder wurden sie zwangsweise rekrutiert? Haben sie überlebt? Wie erging es ihren Familien während des Krieges?
Gibt man der durch das Foto geweckten Neugier nach und liest in den Unterrichtsmaterialien, so eröffnen sich Pädagog/innen und Schüler/innen Welten, die außerhalb von Fachkreisen bis dato weitgehend verschlossen waren und wohl erst langsam in den hiesigen Geschichtsunterricht Einzug halten werden. So erfährt man zum Beispiel, dass Soldaten aus allen Regionen der Welt sowohl auf Seiten der Alliierten als auch auf Seiten der Achsenmächte gekämpft haben. Thematisiert wird der menschenverachtende Umgang der Deutschen mit schwarzen Kriegsgefangenen wie auch die kolonialen Pläne der Nationalsozialisten. Die Kolonisierung Afrikas durch europäische Mächte wie auch die Ausbeutung der Rohstoffe kolonisierter Länder für den Zweiten Weltkrieg durch die europäischen Mächte finden ihren Platz. Kollaboration mit den Achsenmächten wird benannt, japanische Kriegverbrechen in China und andernorts werden dargestellt. Das Unterrichtsmaterial enthält einführende Sachtexte zu verschiedenen Themen, auf Interviews basierende Portraits einzelner Personen, Fotos, Quellen und Zitate aus historischer Fachliteratur. Zu einigen Themen kommen hier auch diejenigen Menschen zu Wort, von denen die Rede ist.
Die Materialsammlung sowie jedes der drei Kapitel beginnen jeweils mit einer Fotogalerie. Die vorgestellten Fotos tragen, ähnlich wie das Foto auf dem Umschlag, zu einer anregenden Irritation bei. Sie zeigen unter anderem Soldaten aus der Karibik auf dem Weg nach Europa, einen jüdischen Brigadisten aus Palästina, einen muslimischen Partisanen aus den Philippinen, Funker aus Westafrika in Burma und vieles mehr. Knapp formulierte Erläuterungen zu den Fotos vermitteln den Pädagog/innen und Schüler/innen zentrale Informationen über die Rolle Afrikas, Asiens und Ozeaniens im Zweiten Weltkrieg. So können bei Jugendlichen (und Erwachsenen) Neugier und Interesse für ungewohnte Perspektiven auf das Thema Zweiter Weltkrieg geweckt werden.
Eine Irritation anderer Art löst die Verwendung des - durchaus umstrittenen - Begriffs „Dritte Welt“ im Titel wie auch im Unterrichtsmaterial aus. Vor dem Hintergrund des Anliegens der Autor/innen, das Thema Zweiter Weltkrieg aus der gängigen eurozentristischen Betrachtungsweise herauszulösen, ist nur schwer nachvollziehbar, warum hier nun Menschen aus sehr unterschiedlichen Teilen der Welt ganz nach eurozentristischer Art unter einen Begriff gefasst werden. Diese Frage wird auch nicht durch die Erklärung der Autor/innen beantwortet, dass es für diesen Begriff, dessen Problematik ihnen bewusst sei, keine angemessene Alternative gebe (Fußnote 5, S. 24). Auf jeden Fall aber sollte ein Unterrichtsmaterial, das Schüler/innen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der behandelten Thematik anregen soll, eine derartig gewichtige Problematik nicht in einer Fußnote abhandeln, sondern den Schüler/innen entsprechende Quellen für eine kritische Diskussion zur Verfügung zustellen.
Besonders irritierend ist das Kapitel „Deutsche Kriegsziele und Judenverfolgung in Nordafrika und im Nahen Osten“. In diesem Abschnitt brechen die Autor/innen in mancherlei Hinsicht mit dem sonstigen Konzept des Buches. Wie in den anderen Kapiteln auch gibt es einen Sachtext mit Hintergrundinformationen zum Thema sowie eine Auswahl an Quellen. Der einführende Text zu diesem Abschnitt beginnt nicht mit einem historischen Abriss, sondern fokussiert zunächst die anhaltende Leugnung des Holocaust durch arabische und iranische Politiker, Theologen und Publizisten. Die aufgeführten 21 Quellen thematisieren fast ausschließlich die heutige Holocaustleugnung und ihre Instrumentalisierung im Nahostkonflikt sowie aus historischer Perspektive die Kollaboration mit den Nationalsozialisten durch arabische Politiker und einfache Menschen. Nur eine kleine Anzahl der Quellen thematisieren die Judenverfolgung in Nordafrika. Die Autor/innen möchten anhand der ausgewählten Quellen die „bis heute in den arabischen Ländern weit verbreitete Meinung, Araber hätten mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung nichts zu tun […] diskutieren und widerlegen.“ (S. 74) Dies geschieht, indem Quellen angeführt werden, die „die Beteiligung von Arabern an der Judenverfolgung in Nordafrika“ und die „Kollaboration hoher arabischer Funktionsträger mit dem NS-Regime bis hin zur Judenvernichtung“ dokumentieren. Der hier gemachte Versuch, den antijüdischen und antiisraelischen Hasstiraden Ahmadinejads und anderer Politiker mit dieser Argumentationskette zu begegnen, birgt jedoch die Gefahr, die deutsche Verantwortung am Holocaust zu relativieren.
Für die pädagogische Arbeit stellt sich ein weiteres Problem: Hinlänglich bekannt ist, dass kein politisch-historisches Thema emotional so aufreibend ist, wie der Konflikt im Nahen Osten. Und kein Thema wird wohl so heftig diskutiert ohne dass die Diskutanten auch nur ansatzweise Kenntnisse der historischen und politischen Fakten einbringen könnten. Dies gilt gleichermaßen für viele Jugendliche und Erwachsene mit und ohne familiäre Bindung in die Region. Vor dem Hintergrund dieser Emotionalität erscheint der hier gewählte Umgang mit diesen Positionen, deren antisemitischer Gehalt außer Frage steht, kontraproduktiv. Um die Instrumentalisierung des Themas Holocaust im Konflikt um Palästina kritisch diskutieren zu können, ist vielmehr eine gute Kenntnis der Geschichte dieses Konfliktes spätestens ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert, der arabischen, insbesondere der palästinensischen Gesellschaften im 20. Jahrhundert, der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Strömungen, der vertretenen politischen Parteien, der zionistischen Bewegung, der arabischen Nationalbewegungen, der Kolonial- und Mandatsmächte und vieles mehr erforderlich. Diese Facetten werden in dem vorliegenden Material jedoch nicht beleuchtet.
Anstatt also die notwendige Auseinandersetzung über das Thema Zweiter Weltkrieg und Judenverfolgung in Nordafrika und im Nahen Osten mit der Problematik des Nahostkonfliktes zu überfrachten, hätten die Autor/innen gut daran getan, die Auswahl der Quellen umgekehrt zu gewichten und dadurch eine unaufgeregte Wissensvermittlung zu ermöglichen. Dies würde bedeuten, eine breitere Auswahl an Quellen über das eigentliche Thema des Buches zu präsentieren. Dabei könnte die Rolle der Deutschen in Tunesien, die antisemitische Gesetzgebung ihrer europäischen Verbündeten, die Rolle des marokkanischen Königs oder des Bey von Tunis, Berichte jüdischer Zwangsarbeiter und vieles mehr beleuchtet werden. In diesen Kontext gehört selbstverständlich auch eine adäquate Thematisierung von arabischer Kollaboration, arabischer Hilfeleistung sowie der Gleichgültigkeit weiter Teile der Bevölkerung. Im Sachtext über die Judenverfolgung in Nordafrika machen die Autor/innen durchaus korrekt deutlich, dass die Judenverfolgung, die antisemitische Gesetzgebung wie auch die Errichtung von Zwangsarbeitslagern in erster Linie das Werk der Deutschen und der mit Deutschland kollaborierenden Kolonialmächte war. In der Gewichtung der Quellenauswahl spiegelt sich dieser Fakt jedoch nicht wieder.
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- 5 Dez 2010 - 11:26