Bildungsträger

History will teach us nothing?

Dominik Kretschmann ist Mitarbeiter der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung in Krzyzowa/ Kreisau (Polen) und leitet Projekte in der Gedenkstätte der Stiftung Kreisau, die den Widerstand und die Opposition in den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts würdigt.
Von Dominik Kretschmann

Lernen an einem historischen Ort, Lernen über die Geschichte, Lernen aus der Geschichte als Hauptaufgabe einer Bildungsstätte? Ein Lied des Popmusikers Sting trägt den Titel „History will teach us nothing“ - Die Geschichte wird uns nichts lehren. Dem will und kann natürlich niemand der in Kreisau arbeitenden Bildungsreferenten und Bildungsreferentinnen zustimmen. Auch die in Kreisau lernenden Jugendlichen und jungen Erwachsene machen andere Erfahrungen. Hat Sting also Unrecht? 1987 veröffentlicht, stammt das Lied aus einer anderen Epoche. Und doch kann uns der Titel zwei wichtige Hinweise für unsere Bildungsarbeit geben:

Was für uns, das Team der Bildungsreferenten selbst erlebte oder jedenfalls greifbar nahe Geschichte ist, ist für die Teilnehmenden unserer Veranstaltungen in der Regel bereits weit, weit weg. Das Jahr 1989, der Umbruch in Europa, die ersten (halb-)freien Wahlen in Polen, der Fall der Mauer in Deutschland – ferne Geschichte, die sie aus Büchern oder Filmen kennen. Was noch weiter zurückliegt, wie der Zweite Weltkrieg oder die Jahre 1946 bis 1989, ordnen die Jugendlichen oft kurz hinter dem Mittelalter ein. Abstrakte, ferne und nicht selbst erlebte nahe Vergangenheit – das ist was wir unseren Teilnehmer nahebringen müssen.

Bei unseren internationalen Jugendbegegnungen kann Geschichtsvermittlung nicht das zentrale Element sein. Wichtiger ist das gegenseitige Kennenlernen, das Überwinden oder wenigstens Verringern der Sprachbarriere, das Anregen zu einem neugierigen Austausch über Hobbys, Musikgeschmack oder den Schulalltag. Natürlich ist es uns wichtig, einer deutsch-polnischen Gruppe von Jugendlichen (deutsch-polnische) Geschichte zu vermitteln. Aber noch wichtiger ist uns, das gegenseitige Kennenlernen und ein echtes Interesse am anderen Land und an den Personen der anderen Gruppe zu fördern und historisches Lernen so mit der Gegenwart und Zukunft zu verbinden. Deshalb gibt es in unseren Begegnungen eine ausführliche und gut vorbereitete Kennenlernphase, die beide Sprachen einbezieht. Sport- und anderen Freizeitangebote ermöglichen eine „andere“ Begegnungen jenseits des Seminarraumes.

Im Jahr 2009, 20 Jahre nach der Gründung der Stiftung Kreisau und 20 Jahre nach dem Umbruch in Mitteleuropa, ist das Jahr 1989 natürlich ein Thema, mit dem sich deutsch-polnische Gruppen beschäftigen. Mit Polen, der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sind es drei Länder, für die man die Geschehnisse dieses Jahres näher betrachten und vergleichen kann. Eine Methode, um die „ferne Vergangenheit“ des Jahres 1989 greifbarer zu machen, ist es, die Eltern der Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Zeitzeugen einzubeziehen. Idealerweise haben alle Teilnehmenden ihre Eltern bereits vor der Begegnung mit Hilfe eines Fragenkatalogs zum Jahr 1989 und ihren persönlichen Erlebnissen interviewt. Diese persönlichen Sichten sind dann der Ausgangspunkt für weitere Recherchen und den Austausch über das Jahr in den verschiedenen Ländern.

Ein anderer zentraler Abschnitt der deutsch-polnischen Geschichte ist natürlich die Zeit des Nationalsozialismus und der deutschen Besatzung Polens 1939 - 1945. Dabei ist es für die polnischen Schülerinnen und Schüler etwas Neues, von deutschen Widerstandsgruppen gegen das nationalsozialistische Regime zu hören. Für die deutschen Schülerinnen und Schüler bietet sich die Möglichkeit, ihr auf den „20. Juli“ und die „Weiße Rose“ verengtes Wissen zu erweitern.

In der Beschäftigung mit dem polnischen Untergrundstaat und Personen wie dem polnische Rittmeister Pilecki, der 1940 freiwillig nach Auschwitz ging, um im dortigen Konzentrationslager Informationen zu sammeln und Widerstand zu organisieren, eröffnet sich für deutsche Teilnehmende eine neue (Wissens-)Welt. Eine binationale, gemeinsame Auseinandersetzung ist für deutsche wie auch für polnische Teilnehmende spannend und neu. Zeitzeugengespräche mit Menschen, die im Untergrundstaat oder der Heimatarmee (Armia Krajowa) aktiv waren, können ein lebendiges Bild vermitteln und die Zeitzeugen betonen oft, dass sie es besonders wertschätzen, dass sie heute vor einer deutsch-polnischen Gruppe über ihre Erfahrungen berichten können.

Kreisau, polnisch Krzyzowa, 60km südwestlich von Breslau gelegen und bis 1945 das Gut von Helmuth James von Moltke, ist heute Sitz der polnischen „Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung“. Über die Hälfte aller Besucher Kreisaus machen deutsche und polnische Jugendliche aus, die sich hier zu schulischen und außerschulischen Begegnungen treffen. In Kreisau findet man heute die größte Jugendbegegnungsstätte Polens – und ideale Möglichkeiten für ein „Lernen an historischem Ort“, denn in Kreisau traf sich 1942/43 die Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises und in Kreisau/ Krzy&#380,owa fand am 12. November 1989 die deutsch-polnische Versöhnungsmesse statt, an der die damaligen Regierungschefs Kohl und Mazowiecki teilnahmen.

Eine der nächsten Gelegenheiten zur Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte wird das Projekt „Meine Geschichte – Deine Geschichte“ sein, das vom 30.9. bis 5.10. 2009 in Kreisau stattfinden wird. Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler werden sich mit der Darstellung des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs in den deutschen und polnischen Medien beschäftigen.

Kontakt

Joanna Szaflik: szaflik [at] kreisau [dot] de
http://www.krzyzowa.org.pl/

 

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