Methode

Gender im Geschichtsunterricht

Methoden historischen Lernens

Brigitte Dehne: Gender im Geschichtsunterricht. Methoden historischen Lernens. Schwalbach/TS, Wochenschau-Verlag, 2007, 320 S., € 19,80
Von Berit Pleitner

„Die Bedeutung, die Gender in der Geschichtsdidaktik inne hat, ist schnell gesagt: Sie ist äußerst gering.“[1] Obwohl die Frauen- und Geschlechtergeschichte bereits seit längerem ihren festen Platz in der Wissenschaft hat und dort intensiv verhandelt wird, beklagt Brigitte Dehne den Missstand in der Didaktik zu Recht. Es mangelt sowohl an theoretischen als auch an empirischen und unterrichtspraktischen Publikationen. Die gängigsten geschichtsdidaktischen Zeitschriften wie „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“, „Geschichte lernen“ oder „Praxis Geschichte“ weisen kein Themenheft zu Genderforschung oder Gender im Geschichtsunterricht auf. Erst 2004 befasste sich die „Zeitschrift für Geschichtsdidaktik“ schwerpunktmäßig mit dieser Thematik.

In der Reihe „Methoden historischen Lernens“ legt Dehne nun den Band „Gender im Geschichtsunterricht. Das Ende des Zyklopen?“ vor, in dem sie ein grundlegendes didaktisches Konzept zum Umgang mit der Kategorie „Geschlecht“ im Geschichtsunterricht entwickelt und dazu zahlreiche praktische Beispiele anführt.

Der etwas reißerische Untertitel, der mit dem Verweis auf den einäugigen Zyklopen Polyphen darauf anspielt, dass Geschichte bislang vor allem eindimensional – das heißt männlich – konstruiert, wahrgenommen und vermittelt wurde (und wird), hätte gar nicht Not getan. Dehne macht auch so in ihrem Buch deutlich, dass eine komplementäre Sicht notwendig ist, die Männer und Frauen nicht nur gleichermaßen wahrnimmt, sondern sie in ihren jeweiligen Beziehungen zueinander und in ihren Auseinandersetzungen mit den Fragen ihrer Zeit betrachtet.

Darüber hinaus plädiert Dehne dafür, Gender als analytische Kategorie einzuführen, um nicht nur Individuen und ihr Handeln, sondern auch abstrakte Begrifflichkeiten, Strukturen und Prozesse beleuchten zu können. Wird Gender als „Regulator“ verstanden, so können auch Symbole, normative Konzepte oder Wissensbestände analysiert und dekonstruiert werden. Dehne propagiert einen Paradigmenwechsel, der sich nicht darauf beschränkt, Frauen ins Blickfeld zu rücken, sondern auf eine gravierende und grundsätzliche Umstrukturierung der Geschichtsschreibung abzielt (S. 113).

Das Buch verbindet wissenschaftliche Debatten der Genderforschung mit fachdidaktischen Überlegungen und unterrichtspraktischen Hinweisen. Auf letzteren liegt – daher auch die Publikation in der Reihe „Methoden des Geschichtsunterrichts“ – der Schwerpunkt. Dehne beweist in allen Bereichen große Fachkompetenz und kann als Lehrerin mit jahrelanger Berufserfahrung anregende, allesamt bereits praktizierte Vorschläge für den Unterrichtsalltag machen. Umfangreiches Material - Texte und Bilder - sowie mögliche Aufgabenstellungen und Arbeitsanregungen schaffen eine wahre Fundgrube für Lehrerinnen und Lehrer.

Die Verzahnung zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wissenschaft und Unterricht ist zwar sinnvoll, geht jedoch ab und an ein wenig zu Lasten der Struktur. Dehne stellt denn auch ihrem Buch statt einer Einleitung einen „Wegweiser“ voran, der den Leserinnen und Lesern einen ersten Überblick verschafft, wie das Buch zu nutzen ist. Grundsätzlich widmen sich die Teile II und III der Theorie, der Teil IV der praktischen Umsetzung im Unterricht. Teil I soll erste Orientierungen bieten – inhaltlich und methodisch. In diesem Teil werden bereits die grundsätzlichen Thesen des Buches genannt und sowohl Theorie als auch Praxisbeispiele angeführt. Die Anwendung von Gender als historische und soziale Kategorie bedeutet für Dehne 1.) die Verknüpfung von Geschlechterordnung mit gesellschaftlichen Faktoren, 2.) die Beleuchtung der Wahrnehmungs- und Denkweisen, die mit der Geschlechterperspektive einhergehen und 3.) die Neubewertung historischer Gesellschaften aus Genderperspektive (S. 17).

Im Teil I wird zudem ein grundlegendes Dilemma angesprochen: Einerseits soll Gender als Kategorie fortlaufend in den Unterricht integriert werden, andererseits ist eine in sich geschlossene Gendergeschichte gerade aus Sicht der Genderforschung nicht möglich, ja gar nicht erwünscht (S. 16). Dennoch verdeutlicht Dehne auf beeindruckende Weise anhand mehrerer Beispiele aus der Geschichte, wie Geschichtsdarstellung sich verändert, wenn sie über die „traditionelle“, das heißt männliche Sichtweise hinausgehoben wird (Kapitel 1). Im Anschluss folgen zwei Unterrichtsbeispiele (Amerikanische und Französische Revolution), anhand derer eine mögliche didaktische Aufbereitung beispielhaft vorgenommen wird (Kapitel 2).

In Teil II analysiert Dehne zunächst Schulbücher der Real- und Hauptschule daraufhin, wie sehr sie die Kategorie Gender bereits beherzigen (Kapitel 3). Ihr Urteil fällt negativ aus: Frauen kommen vor, ihnen werden aber in der Regel nicht viel mehr als ein bis zwei Extraseiten angeboten, auf denen sie – immer noch aus männlicher Sicht und zumeist anhand von männlichen Quellen – in ihrer (vermeintlichen) Lebenswelt vorgestellt werden. Dehne fundiert ihre Kritik anhand einer hervorragenden Einzelfallanalyse [2], die sie durch eigene Vorschläge zur didaktischen Aufbereitung der Schulbuchmaterialien ergänzt und erweitert. Die Kapitel 4 und 5 bieten einen kurzen Überblick über die Debatten der Genderforschung und Geschichtswissenschaft, wobei Dehne sich schwerpunktmäßig auf Hanna Schissler und Joan W. Scott bezieht. In einem sehr kurzen Kapitel 6 spricht Dehne das wichtige Thema der Projektionen unserer gesellschaftlichen Vorstellungen auf vergangene Epochen an. Gerade weil sie hierfür außerschulische Beispiele wählt (einen prähistorischen Park, ein Sachbuch), wird deutlich wie sehr diese Darstellungsweise unsere Gesellschaft durchzieht und eben deshalb im Schulunterricht aufgegriffen werden muss.

Teil III bezeichnet Dehne selber als „Herzstück“ ihres Werks, da es hier um die Schülerinnen und Schüler geht. Die genderspezifischen Bedingungen innerhalb der Lerngruppe zu kennen und zu beachten, hält Dehne für elementar: „Wer trotz aller theoretischen Kenntnisse in der historischen Genderforschung die Voraussetzungen der Schüler und Schülerinnen übergeht, kann (…) fast alles falsch machen“. (S. 10f.) Nach einem Kapitel über Ziele des genderbewussten Unterrichts (Kapitel 7, wiederum mit einem Praxisbeispiel) folgen Erläuterungen zu geschlechterdifferenten Voraussetzungen (Kapitel 8), Lernhaltungen und Lerninteressen (Kapitel 9) sowie verschiedenen Ansätzen der Koedukation (Kapitel 10). Die Ausführungen beziehen sich größtenteils auf Beobachtungen, die Dehne in ihrem eigenen Unterricht gemacht hat. Hier wären weitere Verweise auf empirische Studien wünschenswert gewesen [3], einerseits um über die Schülerschaft der Haupt- und Realschule hinauszugehen, andererseits um den Prozess des „doing gender“ etwas differenzierter beleuchten zu können. Auch die Frage, welche Auswirkungen das Geschlecht des Lehrers bzw. der Lehrerin auf diesen Prozess hat, wird leider nicht gestellt.

Teil IV bildet in Umfang und Inhalt den Schwerpunkt der vorliegenden Publikation. Dehne liefert hierin viele praktische Unterrichtsbeispiele, die sie stets theoretisch fundiert. Dass sie nicht eins zu eins übernommen werden können, weiß Dehne selber (S. 11f.). Doch das umfangreiche Material und die reichhaltigen didaktischen Hinweise bieten dennoch genügend Anregungen für den eigenen Unterricht. Die Beispiele werden mit unterschiedlichen Schwerpunkten bearbeitet: 1.) Gleiche Repräsentation von Männern und Frauen, 2.) zeitbedingte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit im Wandel, 3.) soziale Verhältnisse der Geschlechter und 4.) Zusammenhang von Politik und Geschlecht.

Genderbewusstes historisches Lernen verfolgt auch das Ziel, Schülerinnen und Schüler auf ihre eigenen Verhaltensmuster aufmerksam zu machen (S. 133). Schule wird somit als ein Raum verstanden, in dem Schülerinnen und Schüler in ihren Unterschieden wahrgenommen, aber nicht auf sie festgeschrieben werden und ihre jeweils eigenen Potentiale möglichst frei entfalten können. Dass es Dehne so gut gelingt, Theorie und Praxis aufeinander zu beziehen, hat sicherlich nicht zuletzt damit zu tun, dass sie die Interessen und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler stets im Blick hat.

Anmerkungen:
[1] Dehne, Brigitte, Genderforschung und Geschichtsdidaktik, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 2004, S. 9-33, hier S. 9.
[2] Vgl. Frauen im Nationalsozialismus, in: von der Heide, Thomas Berger, Oomen, Hans G. (Hrsg.), Entdecken und Verstehen 9/10. Geschichtsbuch für Brandenburg, Berlin 1999.
[3] Vgl. etwa Faulstich-Wieland, Hannelore u.a., Doing Gender im heutigen Schulalltag. Empirische Studie zur sozialen Konstruktion von Geschlecht in schulischen Interaktionen, Weinheim und München 2004, King, Vera, Flaake, Karin (Hrsg.), Männliche Adoleszenz. Sozialisations- und Bildungsprozesse zwischen Kindheit und Erwachsensein, Frankfurt/Main und New York 2005.

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