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Rezension: Das ehemalige Reichsparteitagsgelände im 21. Jahrhundert. Transformationen nationalsozialistischer Räume.

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Beitrags-Autor: Lena S. Thurnhausstatter

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Stefan Applis/Ingmar Reither/Richard Rongstock: Das ehemalige Reichsparteitagsgelände im 21. Jahrhundert. Transformationen nationalsozialistischer Räume, Halle/Saale 2025: mdv Mitteldeutscher Verlag, 176 S., ISBN 978-3-96311-973-6, EUR 30,00.

 

Die 176-seitige Monografie von Stefan Applis, Ingmar Reither und Richard Rongstock widmet sich einem ebenso komplexen wie didaktisch herausfordernden Thema: der ästhetischen Erfahrung und der diskursiven Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg im 21. Jahrhundert. Ziel des Werks ist es, diesen historischen Ort als „diskursiven Geschichtsort“ erfahrbar zu machen und ausgehend vom historischen Areal in Form von kurzen themenspezifischen Texten und rund 200 Farbabbildungen räumliche, zeitliche sowie inhaltliche Querverweise zur Diskussion zu stellen.

 

Diese Anliegen werden in den einleitenden Seiten durch die Darstellung und Erläuterung der Orts- und Geschichtsspezifik des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes begründet und materiell sowie metaphorisch mit einem Palimpsest verglichen. Die Autoren verdeutlichen, dass die respektiven Orte in Nürnberg über „zwei Geschichten“ verfügen – die Zeit von 1933 bis 1945 sowie die Phase von 1945 bis in die Gegenwart und Zukunft. Die Entwicklungen dieser „zwei Geschichten“ sind keineswegs rein chronologisch oder stringent zu erklären. Sie lassen sich weder klar voneinander trennen noch unabhängig voneinander erzählen, da sie in komplexen Wechselwirkungen miteinander stehen.

Den Hauptteil der Publikation bilden elf Kapitel, in denen diese „zwei Geschichten“ anhand konkreter Bauten und Überreste der nationalsozialistischen Räume des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes veranschaulicht werden. Auf diese Weise wird der Palimpsestcharakter des Ortes nachvollziehbar gemacht. Besonders hervorzuheben ist dabei die Prägnanz der Texte, in denen die Transformationen der NS-Bauten bis zur Gegenwart auf maximal vier Seiten anschaulich skizziert werden. Die ästhetische Erfahrung sowie das Potenzial zur persönlichen Sinnbildung durch die eigene Betrachtung und eingenommene Perspektive werden dabei maßgeblich durch die umfassende Bilddokumentation innerhalb der Einzelkapitel unterstützt. Lediglich die teilweise durch Bilder unterbrochenen Textabschnitte könnten den Lesefluss stören – ein kleiner formaler Kritikpunkt, der den Gesamteindruck jedoch kaum schmälert.

Im Ausblick wird dem Lesepublikum ein übersichtliches Konzept an die Hand gegeben, das je Leitfragen zu den „zwei Geschichten“ enthält und den fachlichen sowie fachdidaktischen Wert, sich historischen Orten als Palimpsest diskursiv anzunähern, unterstreicht, da es sich, wie von den Verfassern erläutert wird, in seiner übersichtlichen Beschaffen- und Offenheit sicherlich auch auf andere Orte und dem Umgang mit denselben mühelos übertragen lässt.

Im Anhang zitieren die Autoren die „Leitlinien/Leitgedanken zum künftigen Umgang der Stadt Nürnberg mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände“: „Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie“ (S. 175). Und dieses „Wie“ erfordert nicht nur Informationsangebote für ein diverses Besuchspublikum, sondern ebenso innovative und künstlerische Auseinandersetzungsmöglichkeiten – mit dem Ziel, nachkommenden Generationen keine vollendeten Tatsachen zu präsentieren, sondern ihnen die Chance zu eröffnen, sich selbst mit der Geschichte dieses besonderen Ortes auseinanderzusetzen.

Resümierend lässt sich festhalten, dass das Werk von Applis, Reither und Rongstock eine gelungene, kritisch-reflektierte fachliche ebenso wie fachdidaktische Auseinandersetzung mit dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg im 21. Jahrhundert darstellt. Die reichhaltige Bilddokumentation in Kombination mit prägnanten Kurztexten ermöglicht dem Lesepublikum nicht nur eine eigenständige, kritische und ästhetische Sinnbildung, sondern verdeutlicht eindringlich, dass die Auseinandersetzung mit den baulichen Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus ein fortschreitender Prozess ist. Ein Prozess, dem sich nicht nur die Stadt Nürnberg weiterhin stellen muss, sondern der auch auf Unterstützung von Bund, Land und internationalen Akteur:innen angewiesen ist – und der über reine Informationsvermittlung hinausgehen muss, um einen zukunftsgerichteten, verantwortungsvollen Umgang mit dem historischen NS-Areal zu ermöglichen.

 

Eine Leseprobe ist hier verfügbar: https://www.book2look.com/book/luG1ERSXuv