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Jüdisches Leben in Thüringen zur DDR-Zeit. Ein Oral History-Projekt mit Jugendlichen

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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In den Jahren 2020/2021 hat die Agentur für Bildung - Geschichte, Politik und Medien gemeinsam mit dem Thüringer Archiv für Zeitgeschichte "Matthias Domaschk" ein filmpädagogisches Oral History-Projekt mit Jugendlichen der Leonardo-Schule in Jena durchgeführt. Sie finden auf dieser Webseite Links zu dem in diesem Rahmen entstandenen Projektfilm sowie zu einer durch das Projektteam erstellten Handreichung.

Die Geschichte und die Gegenwart jüdischen Lebens in Deutschland sind durch die Entrechtung, Entmenschlichung und Ermordung von Jüdinnen*Juden in der Shoah geprägt. Dass jüdisches Leben als etwas „fremdes Anderes“ gelesen wird und dass es tatsächlich aus dem lebensweltlichen Alltag vieler verschwunden ist, zeigt die Folgewirkung dieser Vernichtungsgeschichte. Mit diesem Erbe haben wir uns heute - im Angesicht zunehmender antisemitischer Aggressionen - mehr denn je auseinanderzusetzen. Thüringen als ostdeutsches Bundesland blickt auf eine 40jährige DDR-Vergangenheit zurück, die vor allem für die Eltern- und Großelterngeneration heutiger Jugendlicher prägend hinsichtlich historischer Bildung und menschenrechtlicher Bewusstseinslagen war. Der DDR-Staat definierte und legitimierte sich grundlegend über eine antifaschistische Erzählung der NS-Geschichte. Vermittelt wurde die Heldenperspektive der kommunistischen Widerstandskämpfer. Die Verfolgungsgeschichten der Jüdinnen*Juden und anderer Opfergruppen führten ein marginales Dasein. Auch der Modus von Erinnerung und Aufarbeitung war fest in staatlicher Hand, regionale eigen-Sinnige Bürgerinitiativen bottom-up waren nicht vorgesehen und auch rechtlich kaum möglich. Angesichts dieses komplexen Bedingungsgefüges erschien eine Projektidee sinnvoll, die nicht nur die Geschichte jüdischen Lebens als integralen Bestandteil deutscher Allgemein- und thüringischer Landesgeschichte thematisiert, sondern der Leerstelle „Jüdisches Leben in der DDR“ zudem durch die direkte Begegnung von Jugendlichen mit jüdischen Zeitzeug*innen entgegenwirkt. Über das Medium bzw. die Methode des Oral History-Interviews erschien es möglich, Jüdinnen*Juden als souveräne Subjekte ihrer Geschichte einzubeziehen und ihre Perspektiven und Positionen sichtbar zu machen. In der Aneignung der persönlichen, bis in die Gegenwart erzählten Lebensgeschichten der Zeitzeug*innen reicht zudem in die eigene Gegenwart der Jugendlichen hinein. Indem sie Interviewfragen an eine konkrete Person entwickeln, befragen die Schüler*innen zudem auch sich selbst, ihre eigenen Lebenszusammenhänge, die ihrer Familienangehörigen und auch ihre eigenen Wissens- und Wertehintergründe. 

Wichtig war uns in einem zweiten Schritt, handhabbare Projektergebnisse zu erzielen und diese auch öffentlich zu präsentieren. Das Projekt endet daher nicht mit den abgedrehten Interviews, sondern mündet in eine zweite Projektphase – die selbstständige, aber professionell begleitete Produktion eines Films aus den entstandenen Materialien. Der Umgang mit dem Medium Film hält ein zusätzliches motivierendes und aktivierendes Moment für Projektarbeit mit jungen Menschen bereit. Jugendliche werden selbst zu Erzähler*innen von Geschichte(n). Sie setzen sich in dieser zweiten Projektphase noch einmal intensiver damit auseinander, was sie filmisch erzählen wollen und weshalb sie bestimmte Interviewsequenzen auswählen und andere nicht.

Mit der abschließenden Handreichung wollen wir das Projekt nicht nur dokumentieren, sondern auch dazu einladen, weitere Projekte mit jüdischen Zeitzeug*innen in Thüringen durchzuführen. 

Darüber hinaus nehmen wir Bezug auf die besonderen Rahmenbedingungen und Schwierigkeiten eines Schüler*innenprojekts, das im Jahr 2021 und damit während der Corona-Pandemie stattgefunden hat. Die Jenaer Leonardo-Schule bot an, das Projekt in den Geschichtsunterricht zu integrieren. Dadurch ergab sich zumindest eine feste Seminargruppe, die sich aus Schüler*innen mehrerer Klassen der Schule zusammensetzte und an allen Seminartagen in einem Raum zusammenkam. Unabdingbar für das digital dazu geschaltete Projektteam war die Begleitung des Projekts durch zwei Lehrkräfte. Sie unterstützten das Seminarprogramm in seiner Durchführung und gaben den Teilnehmenden ad hoc Hilfestellungen.

Das Projekt wurde von der Agentur für Bildung ­– Geschichte, Politik und Medien e.V. gemeinsam mit dem Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“ (ThürAZ) durchgeführt. Vonseiten der Agentur für Bildung waren Ulrike Rothe und Ingolf Seidel Projektverantwortliche und Mitarbeiter*innen. Als Mitarbeiter war zudem Christian Hermann (ThürAZ) beteiligt. Gefördert wurde das Projekt über die Sonderausschreibung „Neun Jahrhunderte jüdisches Erbe und jüdisches Leben in Thüringen“ im Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „Denkbunt“ sowie durch die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen.

 

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