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7.4 Umgang von Medien, Regierung und Exekutive mit der Querdenken-Bewegung

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Von Rabea Corinna Westarp 

Während die Zusammensetzung der Querdenken-Bewegung sich zweifellos durch Diversität auszeichnet und sich kaum auf bestimmte Bevölkerungsgruppen oder allgemeingültige Merkmale festnageln lässt, gibt es unter den Beteiligten doch einen grundlegenden Konsens: generelles Misstrauen gegenüber „medialen, wissenschaftlichen und politischen Eliten“ (Pantenburg, Reichardt, Sepp 2021: 3). Das zeigen sie durch das Zurückgreifen auf vermeintlich „alternative“ Einschätzungen zur Pandemie und Äußerungen „alternative“ Wissenschaftler*innen, womit sich die Beteiligten eine regelrechte Parallelwelt der Wissenschaften errichten (vgl. Pantenburg, Reichardt, Sepp 2021: 3).

Querdenken in der medialen Berichterstattung

Bei der Untersuchung der Berichterstattung etablierter Medien seit Beginn der Pandemie und damit der Querdenken-Bewegung wird schnell klar: Noch bevor sich Regierende oder Exekutive zur Bewegung äußerten, wurde sie medial eingeordnet – und scharf verurteilt. Betont wurden ihre verfassungsfeindlichen, antisemitischen und rassistischen Äußerungen sowie das ständige Verbreiten von Unwahrheiten. So hieß es in einem Bericht des Tagesspiegels rund einen Monat nach Lockdown-Beginn: „Eine Frau hat auf ihrem Pullover den Slogan „Trump 2020“ stehen, ein anderer mit gelber Weste und Mundschutz gibt sich als Anhänger von „QAnon“ zu erkennen. Ein wirres, rechtsextremistisches Netzwerk von Verschwörungstheoretikern.“ (Betschka / Kluge 2020)

Journalist*innen, Fotoreporter*innen und Medienmacher*innen etablierten sich dadurch schnell als eines der größten Feindbilder innerhalb der Querdenken-Bewegung. Das spiegelt sich auch in Taten wider: Laut Zahlen des European Centre for Press and Media Freedom haben die Angriffe auf Journalist*innen im Jahr 2020 mit rund 70 erfassten Angriffen den höchsten Stand seit fünf Jahren erreicht – fast drei Viertel dieser Angriffe geschahen durch Demonstrant*innen auf Querdenken-Demos. Zudem ist die Hälfte der Täter*innen – die vorwiegend männlich sind – eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen (Hoffmann / Kinkel 2021: 9). Viele Journalist*innen berichten u.a. in den Sozialen Medien von Übergriffen durch Demonstrierende, wobei besonders die leicht erkennbaren Fernsehteams ein beliebtes Angriffsziel darstellen (Zündfunke Corona: Gewalt gegen Journalisten 2020). 

Politische Stimmen zur Querdenken-Bewegung

Mit Beginn der ersten Demonstrationen und der damit einhergehenden Berichterstattung äußerte sich auch eine Vielzahl von politischen Akteur*innen zum Demonstrationsgeschehen. 

Mit generellen Verurteilungen hielten sich viele von ihnen zunächst zurück. So sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer Mitte Mai 2020 noch, er verstehe die Demonstrierenden und wäre dagegen, „alle Proteste in einen Topf zu werfen“ (Kretschmer fordert Differenzierung 2020). Auch Gesundheitsminister Jens Spahn rief in dieser Zeit noch zu Nachsicht auf. Selbst wenn Abstandsregelungen nicht eingehalten würden, wäre das Auflösen der Hygienedemonstrationen nicht verhältnismäßig (Kretschmer fordert Differenzierung 2020).

Eine gemeinhin kritische Position gegenüber der Bewegung seitens etablierter Politiker*innen stellte sich erst im Laufe des Sommers 2020 ein. Spätestens nach dem ‚Sturm auf den Reichstag‘ am 30.08.2020 zeigte sich das sehr deutlich.„Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie. Das werden wir niemals hinnehmen“, äußerte sich Bundespräsident Walter Steinmeier, und auch Berlins Bürgermeister Michael Müller bezeichnete die Mobilisierungen als demokratiefeindlich (vgl. Entsetzen über Reichstags-Eskalation 2020).

Eine klare und ablehnende Haltung manifestierte sich also – anders als im Gros der journalistischen Berichterstattung – erst nach einigen Monaten der Beobachtung und des Abwartens. 

Querdenken und die Polizei

Besonders seitens einiger Journalist*innen wurde der Umgang der Polizei mit den Demonstrierenden häufig kritisiert. Die Polizei, so schien es, wusste nicht ganz mit der heterogenen Gruppierung umzugehen, setzte zunächst – trotz nicht nur grober Verstöße gegen die Corona-Auflagen, sondern aktiver Aufrufe aus der Menge, die Leute sollen ihre Masken ablegen – auf Durchsagen und Einzelansprachen (vgl. Unruh 2020). Hartes Durchgreifen, wie man es von dezidiert linken Demonstrationen von der Polizei kennt, war zunächst kein Thema – obwohl zu diesem Zeitpunkt schon viele Menschen mit verfassungsfeindlichen Symbolen und Kleidung, die der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind, auf den Demos gesichtet wurden (vgl. Unruh 2020).

Eine vielfach diskutierte Causa seit Beginn der Massendemonstrationen stellt außerdem die Frage nach Querdenken-Sympathien in den Reihen der Polizei dar. Bei einer Demonstration in Kassel im März 2021 wuchs die Debatte um die querdenkerfreundlichen Polizist*innen nochmal zu neuer Größe heran. Auslöser war ein Bild, auf dem eine Polizistin mit den Händen ein Herz formt; offenbar gerichtet an die gegen Corona-Auflagen protestierenden Querdenker*innen (vgl. Bölter 2021). Hierbei handelt es sich um die vielleicht offensichtlichste, aber bei Weitem nicht einzige Solidaritätsgeste seitens der Polizei gegenüber der Bewegung (vgl. Geiler 2021). 

Literatur und Quellen:

Betschka, Julius / Kluge, Christoph (2020, 18.04.) Das steckt hinter der Querfrontdemonstration in Berlin. Der Tagesspiegel. https://www.tagesspiegel.de/berlin/kritik-an-corona-massnahmen-das-steckt-hinter-der-querfrontdemonstration-in-berlin/25752958.html (20.03.2021)

Bölter, Felix (2021, 23.03.) Ein Herz für Querdenker? Zeit Online. https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-03/polizei-querdenker-corona-demos-kassel-neutralitaet-polizeigewalt?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

Geiler, Julius (2021, 05.04.) „Ein Herz für Querdenker.“ Der Tagesspiegel. https://plus.tagesspiegel.de/politik/ein-herzchen-ein-daumen-nach-oben-eincheck-mit-der-hand-polizisten-fallen-bei-querdenker-demos-mit-solidaritaetsgesten-auf-125483.html (07.04.2021)

Hoffmann, M. / Kinkel, Lutz (2021): Feindbild Journalist 5: Alliiert im Pressehass. Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit. Leipzig.

Kretschmer fordert Differenzierung. (2020, 14.05.) Tagesschau. https://www.tagesschau.de/inland/demonstrationen-corona-101.html (04.04.2021). 

 Pantenburg, J. / Reichardt, S. / Sepp, B. (2021): Corona-Proteste und das (Gegen-) Wissen sozialer Bewegungen. Universität Konstanz. https://kops.uni-konstanz.de/bitstream/handle/123456789/52555/Reichardt_2-1hyykoj505hxc6.pdf?sequence=1  (29.03.21).

Unruh, R. (2020, 01.08.) Kundgebung der Corona-Leugner am Brandenburger Tor aufgelöst. RBB24. https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/08/demonstrationen-corona-berlin-mitte-polizei.htm/listallcomments=on.html (30.03.2020)

Zündfunke Corona: Gewalt gegen Journalisten. (2020, 08.05.) Deutsche Welle. https://www.dw.com/de/z%C3%BCndfunke-corona-gewalt-gegen-journalisten/a-53374288 (07.04.2021)

 

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