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Lernort Kriegsgräberstätte – Eine Handreichung zur pädagogischen Arbeit an Kriegsgräberstätten

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Von Ingolf Seidel

Mit „Lernort Kriegsgräberstätte. Pädagogische Formate und Beispiele“ ist eine neue Handreichung zur Erschließung von Kriegsgräberstätten als historische Lernorte erschienen. Die Publikation ist eingebettet in die aktuelle Themenreihe „Helden – Opfer – Täter“ des herausgebenden Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

In das Heft führen Oliver Plessow und Jakob Böttcher in je einem Beitrag mit didaktischen Überlegungen ein. Plessow setzt die pädagogische Arbeit am Kriegsgrab in Relation zu anderen Feldern historischen Lernens, insbesondere zur NS-Gedenkstättenpädagogik. Er betont eingangs, dass ein Lernen aus historischen Extremereignissen nicht garantiert ist. Insbesondere dann nicht, wenn daran allzu hohe moralpädagogische Erwartungen geknüpft sind. Im Weiteren geht der Autor auf die institutionelle Besonderheit der Vermittlungsarbeit des Volksbundes ein, der im Unterschied zur NS-Gedenkstättenpädagogik lange Zeit durch „große Verankerung der Arbeit in den Familien der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Wehrmachtssoldaten, die Kooperation mit Bundeswehr und Reservisten“ (S.3) sowie durch den Umstand geprägt war, dass die Bildungsarbeit nicht zu den eigentlichen Schwerpunkten von Verbandsaktiven gehörte. In den vergangenen zehn Jahren lässt sich eine deutliche Umorientierung des Volksbundes erkennen, die ihren Ausdruck darin findet, aktuelle didaktische und methodische Diskussionen aufzugreifen, aber auch Projekte zur NS-Verfolgung und zu sexueller Vielfalt zu initiieren.

Jakob Böttcher gibt einen Überblick zum sich verändernden Verständnis der Bedeutung von Kriegsgräberstätten seit dem Kriegstotengedenken im 19. Jahrhundert bis hin zur Kriegsgräberfürsorge nach 1945. Wurden in der Weimarer Republik – auch durch den Volksbund, der später durch eine „enge Anbindung an das NSW-Regime“ (S.7) (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) negativ hervortat – noch „Frontkämpfermythen“ (ebda.) bedient, so wurde sich nach der militärischen Niederlage des NS-Staates allmählich von solchen Traditionen verabschiedet. Die Nachkriegsgestaltung der Kriegsgräber setzte an die Stelle eines militaristischen Heldengedenkens die unterschiedslose Erinnerung an die „erlittene Gewalt in Krieg und Diktatur“ (S.8). Damit wurde über den Umstand hinweggegangen, dass in den Kriegsgräbern auch Opfer von NS-Verbrechen bestattet worden sind. Dieses Spannungsfeld, Böttcher schreibt von der Existenz eines moralischen Dilemmas, lässt sich eher thematisieren als aufheben, weshalb „der Erhalt von Kriegsgräbern heute nicht mehr ohne die begleitende Bildungsarbeit auf deutschen Kriegsgräberstätten denkbar“ (ebda.) ist.

An die geschichtsdidaktischen Reflexionen schließen sich im Heft zehn praxisorientierte Kapitel zur Vermittlungsarbeit an. Den einzelnen Kapiteln vorangestellt ist jeweils ein einführender Text. Angaben zur Dauer, der Zielgruppe und Gruppengröße der vorgestellten Angebote und Projekte finden sich in den jeweiligen Beispieltexten. Thematisch angesprochen werden dabei an erster Stelle Friedhofserkundungen, in einem interaktiven Format sowie mit Tablets und der App „Actionbound“, in Form von Berichten aus der Praxis. Es folgen Anregungen zur Errichtung von historisch kontextualisierenden Erinnerungstafeln anhand der Kriegsgräberstätte in Clausthal-Zellerfeld, auf dem Gräberfeld Erster Weltkrieg, gelegen auf dem Hauptfriedhof Wolfenbüttel, sowie zur Kriegsgräberstätte Schönau am Königssee. Derartige Projekte sind weniger kurzzeitpädagogisch angelegt, sondern erfordern einen zeitlichen Aufwand von sechs Monaten bis hin zu zwei Schulhalbjahren.

Mit dem Projekt „Namensziegeln für sowjetische Kriegsgefangene“ wird an eine heterogene Gruppe erinnert, die über 3 Millionen Tote im Zuge des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion zu verzeichnen hat. Auf tönerne Namensziegel wird dabei in schulischen Projekten nach einer Recherche in Dokumenten von Kriegsgefangenen deren Vor- und Zuname sowie Geburts- und Sterbedatum geschrieben. Auf diesem Weg soll den anonym Bestatteten ein stückweit ihre Individualität zurückgegeben werden. Die gebrannten Namensziegel werden anschließend auf einer Kriegsgräberstätte im Rahmen einer Gedenkzeremonie angebracht. Die Beispiele eines Tontafelprojekts auf dem Friedhof des ehemaligen Kriegsgefangenen-Stammlagers Bergen-Belsen sowie im hessischen Kassel-Niederzwehren, bzw. Klein-Zimmern bieten jeweils einen Einblick in praktische Erfahrungen.

Die Methode des biografischen Lernens wird in den beiden folgenden Kapiteln aufgegriffen. Biografische Nachlässe, wie Briefe, Fotos, Urkunden, oder andere Dokumente, die von Angehörigen dem Volksbund zur Verfügung gestellt wurden, können mit Hilfe von Bildungsreferent*innen im Geschichtsunterricht eingesetzt werden. Der Verband verfügt dazu über eine digitale Biografie-Datenbank. Am Beispiel einer Fortbildung in Form einer Studienfahrt zu Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs in Frankreich wird aufgezeigt, wie die biografischen Nachlässe in den Unterricht implementiert werden können. Ein weiteres Beispiel bietet die pädagogische Arbeit an der Kriegsgräberstätte in Lembach/Saar. Hier wurden „die Geschichte der Kriegsgräberstätte und der NS-Zeit in Lebach sowie die Einzelschicksale der dort ruhenden Kriegstoten recherchiert und dokumentiert“ (S.28), um den Ort zu einem „friedenspädagogischen Lernort umzugestalten“. Unter der Überschrift „Die Bedeutung der biografischen Recherche“ (S.31) wird der biografische Ansatz noch einmal vertieft. Als Altersstufe wird wie bei anderen vorgestellten Formaten die Jahrgangsstufe 9 angegeben. Neben der Arbeit mit biografischen Daten und Quellen sind Exkursionen zu einer Kriegsgräberstätte und eine Spurensuche nach den Gruppen der dort bestatteten Toten sowie nach Nationalität, Alter und Geschlecht notwendige Bestandteile eines Rechercheprojekts mit Jugendlichen. Vorgeschlagen wird auch lokale Archive oder Bibliotheken einzubeziehen. Beispielhaft vorgestellt werden in diesem Abschnitt die Möglichkeit einer Gräbersuche online und der Einsatz von Feldpostbriefen.

Pflegepatenschaften für Kriegsgräber sind ein Angebot des Volksbundes für die Jugendarbeit, das längerfristig angelegt und über den Schulunterricht hinausgeht. Auch hier wird Wert auf die historische Auseinandersetzung gelegt und den Teilnehmer*innen soll verdeutlicht werden, „dass es bei der Gräberpflege nicht um Heldenverehrung“ (S.35) geht. Solche Projekte erfordern nicht nur eine inhaltliche Vorbereitung, sondern auch genaue Vorabsprachen und -abmachungen mit den beteiligten Schulen. Sie können bereits mit Kindern im Grundschulbereich durchgeführt werden wie das Beispiel der Regenbogenschule Oberbrügge zeigt.

Schulische Projektfahrten „zu den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs“ in Belgien und Frankreich (S.40) gehören zu den Kernangeboten ebenso wie „Fahrten in die Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten des Volksbundes“ (S.44) sowie friedenspädagogische „Jugendbegegnungen und Workcamps“ (S.48). Sämtliche Formate werden in Beispielen vorgestellt, die einen Einblick in die Möglichkeiten und die Breite der Angebote geben. Abgeschlossen wird die Handreichung mit einem Kapitel über „Schulische Gedenkfeiern auf Kriegsgräberstätten“ (S.52), in dem auf notwendige Schritte wie die Motivation zu einer Gedenkfeier, also die Frage der Sinngebung, die Erarbeitung (regional-) historischer Hintergründe sowie die Programmplanung, Gestaltung von Einladungen, logistische Fragen, aber auch auf die notwendige Reflexion des Projekts hingewiesen wird.

Eine Seite mit Adressen der Ansprechpartner*innen beim Volksbund auf Landes- und Bundesebene bietet Interessierten die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme.

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (Hg.): Lernort Kriegsgräberstätte. Pädagogische Formate und Beispiele. Bestellmöglichkeit: https://www.volksbund.de/aktuell/mediathek/detail/lernort-kriegsgraeberstaette

 

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