Das Konzentrationslager Natzweiler im Elsass
Von Tanja Kleeh
„Das Konzentrationslager Natzweiler im Elsass. Handreichung zum Besuch der Gedenkstätten am ehemaligen Hauptlager – Wegweiser zu den Gedenkstätten der Außenlager beiderseits des Rheins“ möchte an die Geschichte des KZ-Komplexes Natzweiler heranführen. Die vorgestellten didaktischen Materialien bieten die Möglichkeit, einen Rundgang mit Schüler*innen zu gestalten. Die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) Baden-Württemberg, die als Herausgeberin fungiert, ergänzt die Handreichung zudem mit Online-Materialien.
Als Ziel ihrer Handreichung geben die Herausgeber*innen an, den historischen Ort und seine Geschichte zu erschließen sowie die Gedenkstätten am ehemaligen Hauptlager und an den Standorten der ehemaligen Außenlager vorzustellen. Auch an die Erinnerungsgeschichte, beginnend mit der Entdeckung durch US-Truppen im November 1944, herangeführt.
Historische Einführung
Entsprechend wird einführend ein historischer Abriss geboten. Dieser stellt die Geschichte der Konzentrationslager in drei Phasen dar: Die erste Phase bis 1936 umfasste demzufolge vor allem die Inhaftierung politischer Gefangener, die zweite Phase bis 1942 waren geprägt von wirtschaftlichen Interessen der SS, zum Beispiel durch Zwangsarbeit der Häftlinge. Parallel entstanden die Konzentrationslager, die der systematischen Tötung von Jüdinnen*Juden, Sinti*ze und Rom*nja sowie weiterer Gruppen dienten. Die dritte Phase schließlich von 1942 bis 1945 „ist vor allem durch die rücksichtslose Ausbeutung von bis zu 700.000 Häftlingen aus ganz Europa“ gekennzeichnet. Für den Überblick der Dimensionen ist eine Karte beigefügt, auf der das Hauptlager mit seinen Außenlagern auf beiden Seiten des Rheins verzeichnet ist.
Der KZ-Komplex in Natzweiler selbst wurde 1941 eröffnet und fällt somit in die zweite Phase der Konzentrationslager, der Schwerpunkt seiner Geschichte jedoch in die dritte Phase. Ursprünglich aus wirtschaftlichen Interessen errichtet (Abbau von Granit in den Vogesen), veränderte sich die Nutzung mit der sich verschlechternden Kriegslage. Die Zahl der Häftlinge stieg rapide an. Hauptsächlich wurden nun politische Gefangene aus allen Ländern in Natzweiler untergebracht. Ab 1943 kamen an den Standorten der Kriegsindustrie auf beiden Seiten des Rheins immer mehr Außenlager hinzu, so dass bald „mehr als 50 Außenlager im annektierten Elsass und in Lothringen, an der unteren Mosel, in Hessen und vor allem in Baden und Württemberg“ zum Lagerkomplex Natzweiler zählten. Aufgrund der Größe wurde das Wachpersonal der SS stetig durch die Wehrmacht ergänzt.
Die Erinnerungsarbeit begann auf französischer Seite bereits 1950 mit dem „Freundeskreis der Überlebenden“. Dieser arbeitete an der Umgestaltung des Hauptlagers zu einem Gedenkort. 1960 wurde durch Charles des Gaulle die Gedenkstätte eingeweiht. Dennoch geriet das Lager in der französischen Öffentlichkeit zunehmend in Vergessenheit und rückte erst Anfang der 2000er wieder ins Bewusstsein. Im Südwesten Deutschlands wurden die Außenlager nach Kriegsende verleugnet oder verharmlost. Erst vierzig Jahre nach Kriegsende veränderte sich das Gedenken grundlegend: „bürgerschaftliche Aktionsgruppen erforschten die Geschichte der Außenlager, das ,Konzentrationslager vor der Haustür‘, suchten nach Quellen in den Archiven und machten Überlebende und andere Zeitzeugen in ganz Europa ausfindig“.
Pädagogische Handreichungen
Für die Erkundung des ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler steht das „Logbuch“ zur Verfügung. Darin finden sich 20 sogenannte Haltepunkte, die entweder den konkreten Ort oder ein übergeordnetes Thema behandeln. Eine bestimmte didaktische Methode wird nicht vorgegeben, jedoch wird von den Autor*innen angeraten, auf eine Führung im klassischen Sinne zu verzichten, da diese aufgrund der Gegebenheiten vor Ort rasch an ihre Grenzen stoße. Zudem führe handlungsorientiertes oder entdeckendes Lernen bei einem Gedenkstättenbesuch zu bedeutend nachhaltigeren Ergebnissen. Wie die Autor*innen anmerken, sind die 20 Stationen ein Maximalangebot, das im Rahmen eines Besuchs der Gedenkstätte nicht vollständig bearbeitet werden kann. Es ist daher eine Auswahl erforderlich.
Die vorgegebene Route des Logbuchs folgt in etwa dem Weg der Häftlinge. Der erste Punkt ist beispielsweise der Bahnhof Rothau, Ankunftsort für Gefangene des Konzentrationslagers Natzweiler. Im Logbuch sind Informationen, ein Zeitzeugenbericht über seine Ankunft sowie eine historische Fotografie hinterlegt. Die Stationen 7 bis 14 sind zur Selbsterarbeitung für Schüler*innen konzipiert. Sie enthalten Themen wie das Lagerleben, Zwangsarbeit und die medizinischen Experimente vor Ort. Auch hier finden sich jeweils Hintergrundinformationen neben Bildmaterial sowie Verweise auf weiterführende Quellen. Zudem finden sich für Projektleiter*innen praktische Informationen wie die Verortung der im Logbuch beschriebenen Gedenktafel und didaktische Anregungen, etwa aus demselben Winkel des historischen Fotos ein Bild aufnehmen zu lassen. Dieser Aufmachung folgt das gesamte Logbuch. Dies erleichtert die Organisation und Durchführung des Gedenkstättenbesuchs für Lehrkräfte. Auch die Hinweise auf den veranschlagten Zeitrahmen, Wegbeschreibungen sowie den Ablauf im Centre européen du résistant déporté (CERD), das den Eingangsbereich der Gedenkstätte markiert, unterstützen dies enorm.
Es ist ein ganzes Kapitel in der Handreichung mit entsprechenden Hinweisen angeschlossen, die sich der didaktischen Aufbereitung eines Gedenkstättenbesuches widmen. Die Herausgeber*innen definieren Gedenkstättenpädagogik als europäische Aufgabe. Sie folgen der Herangehensweise von Aleida Assmann, die Gedenkstätten als „begehbare Geschichtsbücher“ bezeichnet: Es wird ein Zugang zu Geschichte ermöglicht, „der über die Vermittlung von theoretischem Wissen hinausgeht“. Konkret schlagen die Autor*innen neben dem „Logbuch“ die Methode der „Black Box“ vor. In dieser wird von den Lehrkräften ausgewähltes Material zum Gedenkstättenbesuch ausgegeben. Die Autor*innen haben einen Vorschlag für die Befüllung erarbeitet, der nach Bedarf bzw. nach dem Wissenstand der Schüler*innen angepasst werden kann. Es besteht zudem die Möglichkeit arbeitsteilig vorzugehen und entsprechend jede „Black Box“ unterschiedlich zu füllen.
Gedenkstätten der Außenlager
Die Ausarbeitung zu den Gedenkstätten bei ehemaligen Außenlagern des Konzentrationslagers ist insbesondere für Schulklassen oder historisch interessierte Gruppen interessant. Ein Besuch dieser kann an einen Besuch im Stammlager anschließen oder im Vorfeld stattfinden, um den örtlichen Bezug herzustellen. Von Seiten der Autor*innen wird der vorherige Besuch empfohlen. Es zeigt sich an dieser Liste auch gut, wie unterschiedlich Gedenkstättenarbeit an den einzelnen Standorten funktioniert und welche Unterschiede auch im Umfang der Angebote bestehen. Es fällt zudem auf, dass ein sehr großer Teil in ehrenamtlicher Arbeit geleistet wird und fast überall Bildungsangebote zu finden sind.
Fazit
Das Konzentrationslager Natzweiler im Elsass. Handreichung zum Besuch der Gedenkstätte am ehemaligen Hauptlager – Wegweiser zu den Gedenkstätten der Außenlager beiderseits des Rheins“ bietet nicht nur kompakte Hintergrundinformationen zum ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler und seinen Außenlagern, sondern auch eine Fülle an Gestaltungsmöglichkeiten für den Besuch mit Schüler*innen. Aber auch für den Besuch mit außerschulischen Bildungsgruppen kann die Handreichung genutzt werden. Zahlreiche Verweise auf Literatur und Onlinequellen bieten Lehrer*innen die Möglichkeit, sich bestmöglich auf den Besuch vorzubereiten.
LpB Baden-Württemberg u.a. (Hg.): Das Konzentrationslager Natzweiler im Elsass. Handreichung zum Besuch der Gedenkstätte am ehemaligen Hauptlager – Wegweiser zu den Gedenkstätten der Außenlager beiderseits des Rheins, Stuttgart 2019, 6,00€.
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- 31 Mär 2021 - 07:36