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Prostitution in der DDR. Staatliche Repressionen gegen unangepasste Frauen

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Dr. Steffi Brüning hat Politikwissenschaften und Geschichte in Greifswald und Rostock studiert. Von 2012 bis 2014 arbeitete sie in der Gedenkstätte der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Rostock. Sie arbeitet derzeit als Studienleiterin für Demokratiebildung am Regionalzentrum für demokratische Kultur Landkreis und Hansestadt Rostock. Ihre Dissertation ist 2020 unter dem Titel „Prostitution in der DDR: Eine Untersuchung am Beispiel von Rostock, Berlin und Leipzig, 1968 bis 1989“ erschienen.

Von Steffi Brüning

Für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) galt Prostitution als kapitalistisches Phänomen. Menschen, die für sexuelle Kontakte (regelmäßig) Bezahlung erhielten, galten als Opfer kapitalistischer Ausbeutung, die keine andere Wahl hätten. Dieser Grundüberzeugung folgend, konnte und sollte Prostitution im „real-existierenden Sozialismus“ der DDR nicht fortbestehen. Während Ideolog*innen anfangs noch davon ausgingen, dass sexuelle Arbeit wie Kriminalität im Allgemeinen nahezu automatisch durch die Umsetzung des Sozialismus verschwinden würde, änderten sich die Theorien ab den 1950er Jahren. Nun galt jegliche Form von Kriminalität als Überrest kapitalistischer Systeme, der durch die Nähe und den Einfluss der Bundesrepublik auf „labile“ Menschen in der DDR weiterhin existieren würde. Prostituierte waren damit nicht länger Opfer, sie waren Täter*innen im und am Sozialismus. Aus Sicht der SED widersetzten sie sich insbesondere arbeits-, gesundheits- und sexualpolitischen Zielsetzungen. Trotz der ständig drohenden staatlichen Repressionen, existierte Prostitution in der DDR weiter. Menschen entschieden sich aus unterschiedlichen Gründen für sexuelle Arbeit. Armut, Sucht, aber auch Abenteuerlust und der Wunsch, dem autoritären Staat zu entfliehen, spielten dabei eine Rolle. Prostituierte bewegten sich mit ihrer illegalen Tätigkeit in einem engen Rahmen und entwickelten Strategien, um den staatlichen Repressionen zu entgehen – dies glückte nicht immer. 

Staatliche Repressionsmöglichkeiten – ein Überblick

Mit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches (StGB) der DDR im Jahr 1968 definierte die SED Personen ohne normgerechte Arbeit, Prostituierte und andere als „Asoziale“. Eine Verurteilung aufgrund des sogenannten „Parasitenparagraphen“ 249 StGB konnte mehrjährige Haftstrafen nach sich ziehen. Daneben konnten vermeintliche erzieherische Maßnahmen greifen, die in den städtischen Verwaltungen durch die Abteilungen Innere Angelegenheiten koordiniert werden sollten. In der Praxis wurden Menschen vorrangig dann als „Asoziale“ erfasst und bestraft, wenn sie keiner normgerechten Lohnarbeit nachgingen. Prostitution taucht in den vorhandenen Unterlagen zwar immer wieder auf, meist aber als Nebendelikt. Der sozialistischen Ideologie folgend, galt Arbeit als Grundlage menschlichen Lebens und Handelns, gleichzeitig fehlten durch Flucht, Ausreise usw. ständig Arbeitskräfte in der DDR. Die SED setzte deswegen mit der Sanktionierung zusammengefasst insbesondere arbeitspolitische Ziele um.

Des Weiteren fielen Prostituierte unter staatliche Kontrolle, wenn sie innerhalb der staatlichen medizinischen Einrichtungen und Verwaltungen des Gesundheitswesens als sogenannte Personen mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern (HwG-Personen) erfasst wurden. Diese Kategorie basierte ab 1961 auf der Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten (GK-Verordnung). Der Begriff Prostitution verschwand und wurde durch die vage Kategorie der HwG-Person ersetzt. In der Praxis rückten weibliche Jugendliche und Frauen in den Vordergrund, denen unterstellt wurde, dass sie regelmäßig verschiedene Sexualkontakte hatten. Dadurch würden sie sexuell übertragbare Krankheiten verbreiten. Ambulante Kontrollen auf sexuell übertragbare Krankheiten, stationäre Zwangsbehandlungen in Geschlossenen Krankenanstalten und andere Maßnahmen sollten die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten insgesamt eindämmen. Heterosexuelle Männer waren davon, nach Aktenlage, nicht betroffen. Dass Frauen die Verantwortung und Schuld an der Verbreitung von Gonorrhoe, Syphilis und anderen Krankheiten übertragen wurde, folgte medizinischen und gesellschaftlichen Denktraditionen, die ab dem 19. Jahrhundert nachweisbar sind. Gleichzeitig widersprach sexuelle Freizügigkeit dem Idealbild der Frau in der DDR. Auch wenn es zu sexualpolitischen Liberalisierungen kam, setzte die SED für Frauen bis zum Ende der DDR die heterosexuelle monogame Beziehung, die in einer Ehe und Familie mit Kindern gipfelte, als Ideal fest. 

Ein weiterer staatlicher Akteur, der Prostitution in der DDR überwachte, war das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Hier führten sicherheitspolitische Ziele dazu, dass sexuelle Arbeit nicht wie gewollt eingedämmt und Prostituierte bestraft wurden. Das MfS wollte Prostituierte nutzen, um die geheimdienstliche und geheimpolizeiliche Arbeit zu stärken. Gebildete, attraktive und politisch loyale Frauen sollten als Inoffizielle Mitarbeiterinnen (IM) langfristige Beziehungen zu westlichen Diplomaten, Unternehmern, Journalisten und anderen aufbauen, um an Informationen zu gelangen. Sex war dabei Mittel zum Zweck, aber nicht das eigentliche Ziel der Spionagetätigkeit. 

Frauen, die als Prostituierte oder „HwG-Personen“ bekannt waren und als kriminell galten, sollten hingegen insbesondere andere Menschen überwachen, denen das MfS ebenfalls Straftaten unterstellte. Diese IM wurden von der Staatssicherheit eher als dumm, triebhaft und undiszipliniert eingeschätzt. Sie ließen sich aufgrund von Drohungen und Zwang oft schnell auf eine Zusammenarbeit mit dem MfS ein. Für beide Kategorien von IM galt: Die Staatssicherheit konnte sanktionieren, wenn Frauen den Zielen des MfS zuwiderliefen, aus der DDR ausreisen oder fliehen wollten, widerständig handelten und der Geheimdienst dies bemerkte. 

Vor allem interne Probleme, wie zum Beispiel Personalmangel, führten dazu, dass die beanspruchte umfassende staatliche Kontrolle im Verlauf der DDR immer seltener umgesetzt werden konnte. Gleichzeitig basierte der sozialistische Anspruch aber auch darauf, dass die Bevölkerung an der gegenseitigen Überwachung und Kontrolle mitwirkte – auch das funktionierte im Verlauf der Jahrzehnte immer weniger.

Repressionserfahrungen: Das Beispiel Sandra K.

Um sich im autoritären System der DDR bewegen zu können, entwickelten Prostituierte diverse Handlungsstrategien. Republikweite Netzwerke sorgten zum Beispiel dafür, dass Frauen sich gegenseitig Kunden vermitteln, auf dem Schwarzmarkt aktiv werden konnten, Unterkunft in anderen Städten fanden, Zugang zu Bars und Hotels erhielten. Um im öffentlichen Raum nicht als Prostituierte aufzufallen, gingen viele in kleinen Gruppen aus, achteten auf gute Kleidung. Um sich vor sexualisierter Gewalt zu schützen, informierten sie einander über aggressive Kunden, konsumierten nur wenig Alkohol oder suchten Kontakt zu Männern, die ihnen Schutz boten. Gegenüber staatlichen Akteuren mussten Prostituierte stets vorsichtig agieren. Dabei konnten sie ihre Tätigkeit nicht immer erfolgreich verstecken und erfuhren mitunter eine Vielzahl staatlicher Repressionen. Ein Beispiel dafür bietet Sandra K.

Die 22-jährige aus Rostock ließ im Herbst 1970 eine sexuell übertragbare Krankheit medizinisch behandeln. Im Rahmen dieser Behandlung musste Sandra K. gegenüber den zuständigen Fürsorgerinnen sämtliche Sexualkontakte angeben und weitere Fragen zu ihrer Lebensführung beantworten. Das Personal erfasste sie als „HwG-Person“, fortan musste sie regelmäßig zu ambulanten Kontrollen erscheinen. Die 22-Jährige folgte dieser Anweisung nicht. Gleichzeitig fand das Personal heraus, dass die junge Frau häufig ihrer Arbeitsstelle unentschuldigt fernblieb. Im Winter 1970 wurde bekannt, dass sie keine Arbeit mehr hatte. Die Fürsorge beauftragte deswegen die Volkspolizei, Sandra K. in die Geschlossene Krankenanstalt zu bringen. Dieses Vorgehen war eigentlich durch die GK-Verordnung seit 1961 nicht mehr legitim. Die Polizei sollte erstens keine Zuführungen mehr für das medizinische Personal durchführen, zweitens ergibt sich aus den vorhandenen Unterlagen kein unmittelbar legitimer Grund für die Einweisung. Die Akteure in Rostock handelten wie auch in anderen Städten nach Handlungsmustern, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs etabliert hatten und nicht verändert wurden. Kontrollen der willkürlichen Praxis innerhalb der Fürsorge fanden nach bisherigem Kenntnisstand nicht statt.

Sandra K. musste einen Monat lang in der Geschlossenen Krankenanstalt bleiben, ohne dass eine Infektion nachweisbar war. Die leitende Fürsorgerin, die in ihrer Funktion auch als Gesellschaftliche Mitarbeiterin Sicherheit (GMS) für die Staatssicherheit arbeitete, informierte währenddessen andere staatliche Akteure über die Normbrüche der Betroffenen. Das Amt für Arbeit und die Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt Rostock erfuhren, dass die junge Frau keiner Arbeit nachging. Außerdem stellte die leitende Fürsorgerin gegen Sandra K. einen Strafantrag wegen der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Da Sandra K. nach ihrer Entlassung aus der Geschlossenen Krankenanstalt regelmäßig zu ihren Pflichtuntersuchungen erschien und eine Arbeitsstelle nachweisen konnte, verurteilte das Gericht die junge Frau nur zu einer Geldstrafe von 400 Mark – eine drohende Haftstrafe konnte abgewehrt werden. 

Das Gericht verzichtete auch deswegen auf härtere Sanktionen, da die leitende Fürsorgerin schließlich zugunsten der Angeklagten ausgesagt hatte. An dieser Stelle hatte sich das Ministerium für Staatssicherheit eingeschaltet: Sandra K. war als Inoffizielle Mitarbeiterin angeworben worden. Während das Strafverfahren noch lief, hielt sie engen Kontakt zu den Mitarbeitern der Staatssicherheit, kam zu den konspirativen Treffen und berichtete ausführlich. Daraufhin wirkte die Staatssicherheit die leitende Fürsorgerin an, das Verfahren positiv zu beeinflussen.

Als das Strafverfahren jedoch beendet war, begann Sandra K. erneut sich den staatlichen Kontrollen durch das MfS, die Fürsorge und anderen zu entziehen. Sie blieb den Pflichtuntersuchungen fern, ließ sich krankschreiben, ignorierte die Anweisungen des Geheimdienstes. Nach weiteren Zwangseinweisungen in die Geschlossene Krankenanstalt, die Sandra K. aber nicht wie gewünscht disziplinieren konnten, stellte die leitende Fürsorgerin erneut eine Strafanzeige und erwartete nun eine Haftstrafe. Weiterführende Informationen waren aufgrund fehlender Unterlagen nicht zu finden (Brüning 2020: 106 – 108).

Am Beispiel von Sandra K. zeigt sich, dass staatliche Akteure in der DDR mitunter eng verzahnt arbeiteten, um Frauen zu kontrollieren und disziplinieren. Die medizinische Fürsorge, Abteilungen der lokalen Verwaltung, die Staatssicherheit sowie die Volkspolizei handelten in enger Abstimmung, so dass Sandra K. sich schlussendlich nicht entziehen konnte. Ihre anfängliche Arbeit als IM ist dabei beispielhaft für viele andere Fälle: Frauen ließen sich unter Druck, durch konkrete Drohungen meist schnell auf eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit ein. Das bedeutete aber nicht, dass sie als IM langfristig zufriedenstellend handelten. Viele Frauen testeten aus, welche Grenzen sie überschreiten konnten. Im Fall von Sandra K. folgten Repressionen. In anderen Fällen blieben diese aus. 

 

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