Von Lucas Frings

Die Verortung historischer Inhalte auf „deep maps“, Karten, die über mehrere Ebenen (Topographie, zeitlich und thematisch) navigierbar sind, ist eine relativ neue Form der Wissensvermittlung und des historischen Lernens. Projekte wie „Jewish Places“ zur Verortung jüdischen Lebens oder das „Stadtlabor Digital“ des Historischen Museum Frankfurt (siehe auch Besprechung in diesem Heft) gehen dabei seit zwei Jahren erste Schritte. Ebenfalls 2018 veröffentlichte das Jüdische Museum Frankfurt in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt die App „Unsichtbare Orte“. Die Nutzer*innen finden darin 56 Orte zu Geschichten von Migrant*innen in Frankfurt am Main, die nach sich überschneidenden Oberkategorien sortiert sind. So gibt es jeweils Beiträge zur griechischen, spanischen, türkischen, italienischen und jüdischen Community und deren Leben und Wirken in Frankfurt/Main. Diese Unterteilung gibt auch die farbliche Unterscheidung der Verortungen auf der Stadtkarte vor, welche die zentrale Navigationsform der App darstellt. Bunte Marker zeigen an, welche Community mit einem Ort und einer Erzählung verbunden ist.

Neben dem Blick auf die Karte lassen sich die Orte aber auch über die verschiedenen Stadtteile bzw. geographischen Unterscheidungen (Nord, Ost, Süd, West, Innenstadt) anwählen. Neben der Verschlagwortung der verschiedenen Jahrzehnte (1940er bis 2000er) bilden die sogenannten Themenspuren ein wichtiges Element der App. Unter „Liebe“, „Arbeit“, „Frauen“, „Bildung“, „Gemeinschaft“, „Konflikt“ und „Essen“ lassen sich für die Nutzer*innen Überschneidungen und Berührungspunkte der Communitys sowie auch der Themenspuren erkennen. Zwar sind die einzelnen Orte den Gruppen zugewiesen, durch die Themenspuren werden diese aber nicht vereinzelt und als hermetisch abgegrenzt dargestellt. So teilen die Einwander*innen aus verschiedenen Ländern Erfahrungen bei der Ankunft in Deutschland, den vorgegebenen Arbeitskontexten aber auch der Emanzipation aus dem „Gastarbeiter*innen“-Vorhaben.

Die Beiträge selbst enthalten neben einem oder mehreren historischen Bildern eine ein- bis zweiminütigen Audiospur, die konkrete Erinnerungen und den zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext wiedergibt und manchmal auch bis in die Gegenwart reicht. Ein Teil der Audiospur findet sich auch als Text, allerdings fehlen darin kleinere Anekdoten. Nutzer*innen finden etwa am Römerberg Informationen über Demonstrationen und einen Hungerstreik griechischer Einwanderer*innen gegen die Militärdiktatur in ihrem Herkunftsland und Verbindungen zum Deutschen Gewerkschaftsbund. Etwas außerhalb, in Zeilsheim, erzählen zwei Orte die Geschichte des dortigen DP-Camps sowie der Fußballmannschaft des Camps, „Hasmonea Zeilsheim“, die 1946 Vizemeister der Liga wurden, die zwischen jüdischen Teams aus mehreren DP-Camps ausgetragen wurde. Einige Beiträge sind deutlich persönlicher, wie die Geschichte von Pietro Samueli, der 1948 das erste italienische Restaurant im Stadtzentrum eröffnete.

Die App bemüht sich um Partizipation, wobei die 56 Orte selbst nicht erweitert werden können. „Wenn du vor Ort bist, kannst du selber Fotos aufnehmen“ heißt es – eine Aufforderung aktuelle Bilder der Orte über Instagram einzustellen und den Beiträgen zuzuordnen. Darüber hinaus scheint allerdings keine Partizipation oder Kooperation möglich. Offline funktioniert die App nur eingeschränkt; Bilder, Audiospur und Text lassen sich jedoch abrufen. Schade ist auch, dass „Unsichtbare Orte“ ausschließlich im App-Format und nicht zusätzlich als Web-Angebot nutzbar ist. Allerdings will die App vor allem im Stadtraum als Hinweisgeberin auf die kaum oder gar nicht sichtbaren Orte dienen. Befindet sich das Handy in der Nähe eines der Orte, sendet die App eine Push-Nachricht.

Die App beleuchtet migrantische Gruppen und Geschichten einzelner Einwander*innen, die größtenteils nicht Teil eines Bildungskanons sind und die auch für Frankfurter*innen neu sein dürften. Die Verortung im Stadtgebiet macht diese Erinnerungen greifbar und ähnelt einer digitalen Geschichtstafel an einer Häuserwand. Allerdings sind die lebhaft eingesprochenen Beiträge durch Anekdoten und die Überschneidungen zu anderen Erzählungen bunter und stärker im Bezug zur Gegenwart, die Push-Funktion erfüllt schlussendlich das Ziel der Sichtbarmachung.

„Unsichtbare Orte“ lässt sich kostenlos im Appstore und Google Playstore herunterladen und läuft auch auf älteren Smartphones.

 

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