Von Lucas Frings

Das feministische Archiv FFBIZ (Frauenforschungs-, -bildungs- und Informationszentrum) führt seit 2014 Interviews zur Geschichte von Frauenbewegungen in Berlin mit dem Ziel die Entstehung und Gestaltung von Netzwerken und Infrastrukturen von Frauen in beiden Teilen der Stadt seit 1968 zu dokumentieren. Für die Webseite „Berlin in Bewegung“ wurden bereits fünf dieser Interviews in kürzeren Videos aufbereitet. Flankiert von Begleittexten finden Nutzer*innen auch einzelne Dokumente sowie Film- und Literaturhinweise. 

 Irena Kukutz, die 1990 als eine von drei Abgeordneten für das Neue Forum ins Berliner Abgeordnetenhaus einzog, berichtet unter anderem über die Festnahme wegen „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ infolge des Versuches, Informationen über die Arbeit der Ostberliner „Frauen für den Frieden“ in die BRD schmuggeln zu lassen. Die Gruppe hatte sich vor allem gegen das DDR-Wehrdienstgesetz von 1982 und das militärische Wettrüsten gewandt. In dem Zusammenhang spricht sie auch darüber, dass die Aktivistinnen von einer Mitstreiterin bespitzelt wurden.

 Marinka Körzendörfer bewegte sich ab den frühen 1980er Jahren in Organisationskontexten von Lesben und Schwulen. Dazu gehörte auch die Gruppe „Lesben in der Kirche“, die Gesprächskreise für, aber nicht ausschließlich, Lesben ausrichtete oder Coming Out-Abende organisierte. 

Sie traten aber aus den halbwegs geschützten Kirchenräumen hervor, etwa indem sie mit Mitstreiterinnen auf die lesbischen Opfer des Nationalsozialismus und deren Nicht-Repräsentation in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück aufmerksam macht. Diese Ehrung blieb ihnen zuerst untersagt, sie erreichten aber eine Duldung ihrer Aktivitäten in der Gedenkstätte durch den Staat.

Astrid Landero, lange bei der Freie Deutsche Jugend aktiv und angestellt, entdeckte durch Kontakte zu westeuropäischen Jugendorganisationen Feminismus und Frauenpolitik für sich. Beim Jugendradio DT64 nutzte sie ab 1988 Spielräume aus und füllte sie – „[da] haben wir natürlich freigedreht“ – mit Inhalten aus, die politisch zuvor schwer möglich gewesen wären, etwa in Beiträgen über PoCs in der DDR, Sexualität, lesbisches und schwules Leben, soziale Isolation und Suizid.In ihrer Biografie zeigt sich aber auch die ihre Skepsis gegenüber der Freude über die deutsch-deutsche Vereinigung und sie berichtet über Zusammenkünfte und Missverständnisse mit westdeutschen Aktivistinnen: „So sehr wie wir uns in der Entfernung geliebt und verehrt hatten, hatten die Feministinnen des Westens keine Ahnung wie bieder revolutionäre Frauen der DDR dann doch wieder in Familienzusammenhängen sind.“

Gabi Zekina, die jüngste der fünf Frauen, gründete im Oktober 1989 mit zehn anderen Frauen die „Lila Offensive“. Für die Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 rufen sie mit dem Slogan: „Frauen, wisst ihr worum es hier heute geht? Um den Umbau der ganzen Gesellschaft.“ zu einem eigenen Frauenblock auf. Diesen Ansatz sieht sie bis heute bedeutsam, feministische Politik brauche ein gesellschaftspolitisches Konzept, nicht nur einen frauenpolitischen Anspruch: „Wir haben natürlich nicht die entsprechende Sprache verwendet, die heute verwendet werden würde, aber ich finde wir haben eigentlich recht visionär und weit gedacht.“

Ihr damals bereits bedingt intersektionales Denken sieht sie in ihrer Arbeit bis heute als zentral. Heutiger Feminismus, etwa in ihrem Projekt „Frauenkreise“, sei nicht von Antirassismus zu trennen und stehe für eine freiere und gerechtere Gesellschaft.

Auch Tatjana Böhms Biographie geht weit über 1990 hinaus. In den 1980ern politisierte sie sich während ihrer Promotion im Wissenschaftskontext, engagierte sich in der „Sozialistischen Fraueninitiative“ und vertrat den am 3. Dezember 1989 in der Volksbühne gegründeten „Unabhängigen Frauenverband“ (UFV) bei politischen Entscheidungen. Ab 1992 arbeitete sie im Brandenburger Frauenministerium (heute Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie). Dort konnte sie zunächst viele Projekte, etwa die Mädchenarbeit, anstoßen, musste jedoch später feststellen, dass sie zwischen politischen Entscheidungen und feministischem Projekten steht, denen sie unter anderem Mittelstreichungen vermitteln muss.

Die drei- bis zwölfminütigen Videos sind unaufgeregt, den Ausführungen ist leicht zu folgen. Durch die verschiedene Aspekte und Aktivitäten, die die Portraitierten ansprechen gelingt es, den Nutzer*innen sowohl Informationen über Anliegen und (Miss-)erfolge der Gruppen zu vermitteln als auch die Gefühlslage der Frauen in ihrem persönlichen und politischen Leben in der DDR näher zu bringen.

Die Einblicke, die Nutzer*innen der Seite durch die Erinnerungen der Frauen erhalten, gehen tief in aktivistische Bündnisse, politische Debatten und Zerwürfnisse hinein. Spannend ist dabei, dass die Interviewten einen (selbst-)kritischen Blick auf Positionen und Entwicklungen werfen und so zumindest einen Ausschnitt heterogener Frauenbewegungen zeigen. Denn leider bilden die aktuell auf der Webseite vorgestellten Aktivistinnen bisher noch nicht die angestrebte Diversität und Multiperspektivität der Video-Aufzeichnungen des Archivs ab. Alle fünf Frauen waren vor allem im Ost-Berlin der 1980er Jahre aktiv. Es bleibt zu hoffen, dass bald möglichst auch westdeutsche und frühzeitigere Einblicke möglich sind und so etwa die Interviews mit der Anwältin Alexandra Goy oder der feministischen Journalistin Gesine Strempel aufbereitet werden können.

 

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