Empfehlung Comic

Madgermanes

Weyhe, Birgit: Madgermanes, Avant Verlag, Berlin 2016, 24,95€.

 Von Lucas Frings

„Wir sind die ‚Madgermanes’, eine Verballhornung von ‚Made in Germany’“ (S.155) sagt Basilio Fernando Matola, einer der fiktiven Protagonisten in Birgit Weyhes Comic über mosambikanische Vertragsarbeiter*innen in der DDR.  

Im Tausch gegen Warenlieferungen in den ostafrikanischen Staat kamen zwischen 1979 und 1989 rund 20.000 von ihnen in die DDR, um in unterbesetzten Bereichen zu arbeiten. Erst 1975 hatte die kommunistische FRELIMO die Freiheit von der Kolonialmacht Portugal erkämpft und war nun die herrschende Partei. Wenngleich 1976 bereits ein Bürgerkrieg mit der konservativen RENAMO ausbrach, baute Mosambik seine Verbindungen zu kommunistischen und sozialistischen Staaten aus.

Aber die Erklärung zu „Madgermanes“, die der Protagonist gibt, stimmt nur teilweise. Ursprünglich, so erklärt es die Autorin im Interview, bedeute es in dem im Süden Mosambiks gesprochenen Changana lediglich „die, die aus Deutschland gekommen sind“. Dennoch habe sich in anderen Teilen des Landes die Legende entwickelt, die Basilio wiedergibt. Der Satz bleibt im Comic unkommentiert und ist ein Beispiel für die Bedeutung, die Narrativbildung in „Madgermanes“ zukommt.

Birgit Weyhe gelingt es auf den ersten Seiten, die eigene Rolle als Autorin, die zufällig in Mosambik auf ehemalige DDR-Vertragsarbeiter*innen trifft, sowie die Entstehungsgeschichte des Comics einzubinden. Dabei macht sie transparent, dass in „Madgermanes“ die Schilderungen von vielen Interviewpartner*innen einfließen, die Weyhe in ihren drei fiktiven Protagonist*innen zu einer Geschichte verdichtet.

In jeweils einem Kapitel erinnern sich die Protagonist*innen – José, Basilio und Anabella – an die Zeit ihrer Rekrutierung zur Arbeit in der DDR, an ihre Tätigkeiten und ihr soziales Leben dort und an die Zeit nach der deutschen Vereinigung. Die drei Perspektiven werden jeweils in einem Kapitel erzählt, wodurch sich erst mit der Zeit ein Panorama von Begegnungen mit der deutschen Bevölkerung, der Beziehung zum Herkunftsland und den politischen und militärischen Entwicklungen in Mosambik entspannt. Auch die Beziehungen zwischen den drei Personen werden mit jeder neuen Perspektive erweitert.

José, der Toni genannt wird, weil sein Chef das besser aussprechen kann, ist zurückhaltend, strebsam und bemüht sich nicht negativ aufzufallen. Er ist treuer Anhänger der FRELIMO. Basilio, Josés Mitbewohner im Wohnheim, setzt sich schnell über die strengen Regeln für Vertragsarbeiter*innen hinweg und lernt Menschen und das Nachtleben kennen. Anabella lernt die beiden nach einem Sprachkurs kennen, sie und José werden für eine Zeit ein Paar. Sie weiß nicht, was mit ihren Eltern geschehen ist, nachdem diese von der FRELIMO verschleppt wurden und sieht auch Josés SED-Treue kritisch.

Angeworben wurden die Vertragsarbeiter*innen mit großen Versprechen. Ihnen war gesagt worden, dass sie in der DDR die bestmögliche Ausbildung erhalten würden, dort Geld verdienen und mit ihrem Wissen anschließend den Fortschritt in Mosambik voranbringen könnten.

Lehrer, Ingenieur und Ärztin sind die Berufswünsche der drei Protagonist*innen. Sie merken schnell, dass eine akademische Ausbildung nicht vorgesehen ist, sondern sie stattdessen als Hilfsarbeiter*innen auf Baustellen oder in der Wärmflaschenproduktion eingesetzt werden sollen. „Was soll ich später mit diesen paar blöden Handgriffen anfangen, wenn wir zurück nach Mosambik müssen?!“ fragt Anabella, flankiert von einer ratlos dreinblickenden Wärmflasche mit Gesicht (S.187).

Mit dieser Enttäuschung gehen sie und die beiden Männer unterschiedlich um. Während Basilio die Arbeit immer lockerer nimmt, belegen Anabella und José, auf einen sozio-ökonomischen Aufstieg hoffend, Volkshochschulkurse und verbringen viel Zeit in Bibliotheken.

Sie müssen jedoch feststellen, dass sie weiterhin als Fremde und nicht als sozialistische Genossen angesehen werden. Als sich um die Wendezeit der Rassismus auch in körperlichen Angriffen zeigt, ist José froh, Deutschland den Rücken kehren zu können. Basilio erlebt die Übergriffe in Hoyerswerda 1991, geht zurück nach Berlin, schlägt sich als „Illegaler“ noch zwei Jahre durch bevor auch er nach Mosambik zurückkehrt.

Anabella erstreitet sich eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung und macht in Deutschland Karriere als Ärztin, sie muss jedoch ihr Äußeres verändern um Rassismus auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt vorzubeugen.

Die Vertragsarbeiter*innen, die nach Mosambik zurückkehren haben Schwierigkeiten sich im alt-neuen Umfeld zurechtzufinden. Das Land und die Familien sind vom Bürgerkrieg gezeichnet, gerade in ländlichen Gegenden fehlen gewisse Annehmlichkeiten des Alltags. Entweder wird ihnen vorgeworfen sich vor dem Krieg gedrückt zu haben oder aber nun zu geizig zu sein. Die Meisten gehen davon aus, dass die Vertragsarbeiter*innen wohlhabend aus Deutschland zurückkehren, da die Hälfte ihres Lohnes ihnen erst nach der Rückkehr ausgezahlt werde. Diese müssen jedoch schmerzhaft feststellen, dass sie dieses Geld nie erhalten werden, wogegen sie auch heute noch protestieren.

Der Aufbau des Comics in drei Kapiteln mit sich nach und nach ergänzenden Informationen macht die Lektüre spannend und verweist beeindruckend auf die Bedeutung von Perspektivität in Narration. Basilio fällt immer wieder mit bemühten Sinnsprüchen, wie „Nur durch Vorwärtsgehen gelangt man ans Ende der Reise“ auf, die oftmals mit Motiven von Raubtieren oder afrikanischen Holzmasken unterlegt sind, so dass die*der Leser*in geneigt sein könnte, diese Sprüche als mosambikanische Weisheiten zu verstehen. Gegen Ende des Comics, auf S. 221, zieht er dann ein deutsches Buch „Afrikanische Sprichwörter“ hervor und erklärt, die Leute hätten sich gewünscht, dass er „afrikanischer“ sei und er so diesem Bild hätte entsprechen wollen.

In ihrer Illustration spielt Birgit Weyhes die mehreren Ebenen des Erzählpotentials im Comic aus. „Madgermanes“ ist schlicht in der Farbgebung und vielfältig im Zeichenstil und der Motivwahl. Bei Aussichtslosigkeit werden gezeichnete Linien zu Punkte, entfremden sich zwischenmenschliche Menschen, dann werden ihre Porträts unscharf, emotional-psychisch schwere Phasen zeigen sich in verlaufenen Farben oder fahrigen Pinselstrichen.

Neben zahlreichen Plakaten, Abzeichen, Produkten und Postkarten als Zeitdokumente nutzt Weyhe Bilder mit Wiedererkennungswert. In „Madgermanes“ ist es Basilio, der hinter dem zerbrochenen Fenster des Wohnheims in Hoyerswerda steht. So erzeugen bekannte Motive zunächst ein Authentizitätsgefühl, verweisen jedoch umgehend auf die Narrativität der Erzählung.

Auf einer weiteren Ebene bindet Weyhe Tier- und Naturmotive ein, die durch die Brechung mit den anderen Panels und durch ihre als afrikanisch aufgeladene Symbolik das Changieren von Identitäten und Fremdzuschreibungen darstellen.

An anderen Stellen gelingt es ihr durch die Einbindung bekannter Motive in nur einem Bild feinfühligen Humor einzubringen, ohne dadurch die Ernsthaftigkeit ihrer Geschichte zu unterminieren, insbesondere dort, wo das Verhältnis zu Deutschland verhandelt wird. So verwandeln sich zwei ehemalige Vertragsarbeiter, die sich nach ihrer Rückkehr in Mosambik unterhalten, in die Figuren des Goethe-Schiller-Denkmals in Weimar. Goethe spricht „VEB Trikotragen, Karl-Marx-Stadt“ und Schiller antwortet „VEB Gummiwerke ‚Werner Lamberz’, Thüringen“ (S.94).

Mit „Madgermanes“ ist es Birgit Weyhe gelungen, die bisher wenig beachteten Geschichten mosambikanischer Vertragsarbeiter*innen einfühlsam zu erzählen. Sie thematisiert die politischen Entwicklungen der beiden Länder und gibt Erfahrungen und Emotionen Raum, die auch über die ‚Madgermanes’ hinaus Fragen von Ankommen, Zusammenleben, Identität und Verortung berühren. Das Zusammenwirken von kreativer und vielschichtiger Illustration mit einer mehrstimmigen Erzählung und dem Anspruch von Geschichtsvermittlung sind ein Plädoyer für das Medium Comic.

 

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