Empfehlung Fachbuch

Wissen – Transfer – Differenz. Transnationale und interdiskursive Verflechtungen von Rassismen ab 1700

Claudia Bruns/M. Michaela Hampf (Hg.): Wissen – Transfer – Differenz. Transnationale und interdiskursive Verflechtungen von Rassismen ab 1700, Wallstein Verlag, Göttingen 2018, 34,90€.

Von Tanja Kleeh

Der Sammelband „Wissen – Transfer – Differenz. Transnationale und interdiskursive Verflechtungen von Rassismen ab 1700“ versammelt unterschiedliche Ansätze, eine transnationale Geschichte des Rassismus zu erzählen. Die Herausgeberinnen Claudia Bruns und M. Michaela Hampf erarbeiten gemeinsam mit Katrin Kämpf im einführenden Aufsatz „Transnationale Verflechtungen von Rassismen ab 1700. Versuch der Systematisierung eines Forschungsfelds“ einen transnationalen-historischen Überblick, der die wichtigsten Theorien und ihre Ideengeber*innen aufgreift.

Dabei arbeiten Bruns, Hampf und Kämpf mit drei verschiedenen Dimensionen von Verflechtungs- und Transferprozessen bzw. schlagen diese als Kategorien vor: räumlich-geografisch, interdiskursiv und intersektional. Um sich der Thematik des Rassismus anzunähern, wählen die Autorinnen zuerst den Weg über die Begriffsgeschichte. Ebenso wie rein etymologisch untersuchen sie die unterschiedlichen Verwendungen des Rassenbegriffes im Laufe der Jahrhunderte, zum Beispiel in der Biologie oder der Genealogie von Adelshäusern.

Als Analysekategorie, so die Autorinnen, sei der Begriff „Rassismus“ erstmals in den 1920er und 1930er Jahren aufgetaucht, „im Kontext kritischer Auseinandersetzung mit völkischem Rassismus und dem aufkommenden Nationalsozialismus […] wie auch im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen rassistische Strukturen in den USA“ (S.18). Über die Definition wird seitdem kontrovers diskutiert, wie auch die Autorinnen festhalten. Das Phänomen an sich ist jedoch wesentlich älter als der Begriff – in welcher Definition auch immer.

Die große Veränderung in der transnationalen Geschichte und Verflechtungsgeschichte machen die Herausgeberinnen in den früheren 1990er-Jahren aus. Das Wegbrechen des Ost-West-Gegensatzes sowie eine erstarkende Globalisierung hätten neue methodische Zugänge ermöglicht (S.19). Ergänzt wurden diese transnationalen Ansätze durch postkoloniale Entwicklungen. Erneut erläutern die Autorinnen die unterschiedlichen Ansätze bzw. zeitlich und örtlich unterschiedliche Entwicklungen, zum Beispiel anhand amerikanischer und verschiedener europäischer Geschichtsschreibungen bzw. den theoretischen Überlegungen dazu. 

Interdiskursiver Transfer zwischen verschiedenen Rassismen lässt sich anhand von Kolonialrassismus und Antisemitismus darstellen. Zwar werden diese in der westlichen Rassismusforschung voneinander unterschieden (S.33), jedoch müssten „über einen bloßen Vergleich hinaus, strukturelle Verwobenheiten, Interrelationen und Übersetzungsprozesse in den Blick geraten […] (S.34)“. Der Fokus solle daher auf Ähnlichkeiten, Unterschiede und Interdependenzen gelegt werden: „zu welchem historischen Zeitpunkt an welchem Ort“ (S.34).

Neben dem Schwerpunkt auf eben diesen Verschränkungen beschäftigen sich die Beiträge des Bandes zudem mit intersektionalen Verflechtungen zwischen „Rasse“ und „Geschlecht“. Damit solle die bisher eher gegenwartsorientierte Transferforschung um die historische Komponente erweitert werden. Dies könne dazu beitragen, „bestehende Theoretisierungen zu überprüfen oder neue zu entwickeln“ (S.46). Auch hier zeichnen die Autorinnen wieder die historischen Entwicklungen der Theorien nach. Sie schlagen dabei den Bogen von der Französischen Revolution bis hin zu Simone de Beauvoir. 

Die Fülle an Theorien wird kompakt und kompetent dargestellt, ohne den Eindruck der Verkürzung zu vermitteln. Bruns, Hampf und Kämpf gelingt es, gleichzeitig Interesse für das Thema des Sammelbandes zu wecken und dabei die theoretischen Grundlagen zu legen.

Sektion Eins

Auf die Überlegungen der Herausgeberinnen folgen drei Sektionen: erstens „Koloniale Rassismen im circum-atlantischen Raum“, zweitens „Konstruktionen von (Anti-)Sklaverei und Blackness in Europa durch Zirkulationen von kolonialrassistischen Diskursen aus den USA und den Kolonien“ sowie drittens „Transfers und Interrelationen zwischen kolonialen und antisemitischen Rassismen“. Um den hier gegebenen Rahmen nicht zu überreizen, soll für jede Sektion ein beispielhaft ausgewählter Aufsatz näher vorgestellt werden. 

Gabriele Dietze ist in Sektion Eins des Sammelbandes mit dem Aufsatz „Intersektionalitäten und Konjunkturen von Rassismus und Sexismus in amerikanischen Wahlkämpfen. Hillary Clinton versus Obama versus Trump“ vertreten. Wie bereits im Titel mehr als deutlich wird, beschäftigt sich Dietze mit den letzten Wahlkämpfen um das Amt des/der US-Präsident*in. Zugrunde liegt die Annahme, dass sowohl Obama als auch Clinton sich mit Diskriminierungserfahrungen während ihres jeweiligen Wahlkampfes auseinandersetzen mussten: Bei Obama Rassimus, bei Clinton Sexismus. Neben diesen offensichtlichen Analysekategorien sieht Dietze zudem die Intersektionalität von race (schwarz & weißund gender (Weiblich & Männlich) zu berücksichtigen (S.118). Demgegenüber steht der augenscheinlich in allen Aspekten privilegierte Kandidat Donald Trump.

Interessant wird die genauere Analyse des Vorwahlkampfes 2009, indem sich Obama und Clinton gegenüberstanden. Dietze zieht hier den Vergleich zwischen der Emanzipationsgeschichte der Sklav*innen und der weißen Frauen (S.119f). Die historischen Konflikte bilden, so Dietze, den Hintergrund für den Wahlkampf Obama/Clinton. Obama habe sich auf seine schwarze Identität konzentriert, was in manchen Punkten von seinen politischen Gegner*innen ausgenutzt worden sei (S.132). 

Die Rolle der Weiblichkeit Clintons stellt Dietze noch einmal besonders hervor, indem sie auf das Feminizitätsprinzip eingeht. Eine kombinierte Analyse von Clinton sowie Sarah Palin und Michelle Obama – durchgeführt von Ann McGinley – kommt zu dem Schluss, dass die identity performances sich jeweils den Bedingungen angepasst hätten. So habe sich beispielsweise Hillary Clinton betont männlich gezeigt, um ihre Weiblichkeit auszugleichen (S.129). Dafür habe sie etwa ihren Kleidungs- und Sprachstil angepasst. 

Sektion Zwei

Mit „Transnationalen Adaptionen von ,Rassen‘–Wissen“ setzt sich Marie Biloa Onana auseinander. Ihr Aufsatz behandelt den Sklavenaufstand von Saint-Domingue in Frankreich, Deutschland und Haiti. Es sei in Auseinandersetzung mit dem Sklavenaufstand „über nationale Grenzen hinweg ein gewaltiges ‚Rassen’-Wissen entstanden“ (S.167), das transnational zirkulierte. 

In Frankreich lässt sich eine besonders intensive Diskussion feststellen, die in den unterschiedlichsten Textgattungen Niederschlag fand. Nicht wenige der Autor*innen, so Onana, stammten selbst aus Saint-Domingue. Für den Aufstand selbst finden sich klassische rassistische Erklärungsmuster: Meist wurde der Sklavenaufstand mit Gewalt, Grausamkeit und der systematischen Ermordung weißer Menschen gleichgesetzt. Neben den negativen Darstellungen hat es durchaus auch Autor*innen gegeben, die sich um ein differenziertes Bild bemühten. Jedoch gelang es auch ihnen nicht, „sich völlig von den stereotypisierenden Vorstellungen loszusagen“ (S.171). Ähnlich gestalteten sich die deutschen Werke, die das Motiv aufgriffen: Die Perspektive ist – wie zum Beispiel in „St. Amand. Eine Erzählung aus der Revolutionszeit in Domingo“ – eine rein europäische. Werke aus dem heutigen Haiti selbst unterliegen ebenfalls diesen Deutungsmustern, wie etwa der Roman „Stella“ von Émeric Bergeaud. 

Marie Biloa Onana kommt daher auch in ihrem Aufsatz zu dem Schluss, dass „die schon in früheren Jahrhunderten entwickelten Vorstellungen von den Schwarzen und ihrer Beziehung zu den Weißen“ (S.182) an diesem konkreten Fall erprobt wurden. Das vorhandene „Rassen“–Wissen wird je nach Interessenlage und Intention in eigene Deutungszusammenhänge gebracht.

Sektion 3

Den Zugang über die Kunst wählt Silke Förschler für ihren Beitrag „Die ,schöne Jüdin‘ im Harem“. Ausführlich interpretiert und analysiert sie eine Radierung von Eugène Delacroix aus dem Jahr 1833. Förschlers Ziel ist es, „die inhaltlichen wie räumlichen Verschränkungen“ (S.250) des Bildes mit dem Topos der „schönen Jüdin“ darzulegen. Klassischerweise beginnt der Aufsatz mit einer Bildbeschreibung des Werkes, mit vollständigen Titel Juive d’Alger avec une négresse, assise dans un intérieur.

Zuerst widmet sich Förschler der Kleidung der Personen. Die Kopfbedeckung sowie die weitere Kleidung einer links abgebildeten, hellhäutigen Person lasse diese eindeutig als verheiratete Jüdin identifizieren. Förschler verweist auf ihre Quellen, etwa Zeichnungen in Reiseberichten aus dem 16. Jahrhundert: „Die Illustrationen sollen die Differenzen zur eigenen Bekleidung sichtbar machen“ (S.253). Weiter vergleicht sie die Kleidung auf der Radierung mit zeitgenössischen Kupferstichen. 

Neben der Kleidung ist die Hautfarbe im interpretierten Bild von großer Bedeutung. Da die neben der bereits näher beschriebenen, aufrecht sitzenden, weißen Person mit schwarzer Hautfarbe dargestellt wird, beschreibt Förschler dies als „Ordnungsmuster im Harem“. Erneut dienen Reiseberichte als Quelle. Die Darstellung der unterschiedlichen Hautfarben durch den Künstler Delacroix, so Förschler, knüpfe ebenso an zeitgenössische Modelle von Rasse an wie an ältere Ikonografien von Haremssklavinnen (S.266).

Einen weiteren Interpretationsansatz liefert die Hintergrundgeschichte des Künstlers: Delacroix reiste als Teil einer diplomatischen Delegation Frankreichs nach Marokko. Seine Bilder entstanden als Dokumentationsauftrag. Förschler zieht weiter seine Tagebücher, die Reiseberichten zu entsprechen scheinen, hinzu.

Fazit

„Wissen – Transfer – Differenz“ ist ein anspruchsvoller Sammelband, der vielfältige Beiträge zusammenbringt. Die ausgewählten, näher betrachteten Beiträge bilden diese Vielfalt gut ab, wählen sie doch völlig unterschiedliche Zugänge zum Thema Rassismus, aber auch Intersektionalität. Intersektionale Blickwinkel auf Rassismus bzw. Rassismustheorien werden erläutert und neue Ideen eingebracht. Allerdings gestaltet sich die Lektüre, geschuldet seinem theoretischen Schwerpunkt, ohne Vorwissen größtenteils schwierig. Das Buch ist somit eher zur Vertiefung denn zum Einstieg in die Thematik zu empfehlen.

 

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