„Die Liebe sucht eine Wohnung“
Von Tanja Kleeh
1942 wurde im Warschauer Getto die Komödie „Die Liebe sucht eine Wohnung“ uraufgeführt. Bis zu ihrer Wiederentdeckung im Jahr 2014 brauchte es jedoch über 70 Jahre. Die vorliegende Ausgabe erschien im Jahr 2017 und enthält das Stück in seiner ursprünglichen Form. Der Mitherausgeber des vorliegenden Bandes, David Safier, hat darüber hinaus ein E-Book unter dem Titel "Die Liebe sucht ein Zimmer" veröffentlicht.
Die Komödie
Das Stück ist in drei Akte unterteilt. Der erste Akt führt in die Handlung ein, indem sowohl die Personen als auch die Handlung an sich vorgestellt werden. Edmund und Stefcia, Marian und Ada sind zwei frisch verheiratete Paare, denen dasselbe Zimmer zur Untermiete zugeteilt wird. Im Laufe des zweiten Aktes verlieben sich Edmund und Ada sowie Marian und Stefcia. Diese Überkreuzsituation führt zu allerlei komischen Situationen. „Die Liebe sucht eine Wohnung“ ist also eine Liebeskmödie im klassischen Sinne, wie auch David Safier in der Einleitung schreibt.
Die Dialoge zwischen den Protagonist*innen werden ergänzt durch Fußnoten, zum Beispiel um Begrifflichkeiten und Abkürzungen, die im Zusammenhang mit dem Getto stehen, zu erklären. Zudem finden sich Hinweise darauf, an welchen Stellen Jurandot im Skript selbst Änderungen vorgenommen hatte. Häufig dienen die Fußnoten als eine Übersetzungshilfe, wenn „Gettosprache“ verwendet wird, zum Beispiel „Konheller“ für Pfederwagen (S.12). Auch jiddische Begriffe, die immer wieder in die Dialoge einfließen, werden so für die Leser*innen erläutert.
Einordnung des Stückes
Den historischen Hintergrund erörtert Andrea Löw in ihrem Aufsatz „Eine Komödie im Warschauer Getto? Von Liebe und Humor unter tödlichen Bedingungen“. Neben Fakten über das Getto selbst und die Organisation des jüdischen Lebens, wie beispielsweise durch den Judenrat, informiert sie zudem über die Auflösung des Gettos im Juli 1942. Diese Informationen sind für geneigte Leser*innen sicher keine völlig neuen Fakten, helfen jedoch sich noch einmal die konkrete Situation in Erinnerungen zu rufen und unterstützen die Einordnung in den gesamthistorischen Kontext. Löw streicht zudem die besondere Bedeutung der Frage nach Humor auf der Theaterbühne des Gettos heraus. Dass dies gegeben sei, lasse sich unter anderem mit den hohen Besuchszahlen belegen: „An Werktagen betrug die Auslastung in den Theatern um die 80 Prozent, an den Wochenenden waren sie sogar voll“ (S.121). Der Humor, so Löw, sei für die im Getto Eingeschlossenen „ein wichtiges Mittel der Distanzierung von der grausamen Realität“ (S.122) gewesen, wenn auch nur vorrübergehend.
Löw stellt zudem die Situation bezüglich Liebe und Sexualität dar. Dass es dies trotz der Enge im Getto gab, erscheine zwar auf den ersten Blick verwunderlich, jedoch versuchten vor allem junge Menschen ein einigermaßen normales Leben zu führen. Dabei setzte ihnen vor allem die Enge und die fehlende Privatsphäre zu. So stellten die meisten der entstandenen Freundschaften und Liebesgeschichten, ähnlich den Komödien auf der Theaterbühne, nur „eine temporäre Flucht aus der Realität“ (S.125) dar.
Ähnlich sieht dies Markus Roth. Er betrachtet das Theater im Warschauer Getto als „(d)ie Illusion eines normalen Lebens“ (S.129f), wie bereits der Titel seines Aufsatzes deutlich macht. Roth wirft sowohl auf Theaterneugründungen im Getto als auch auf das Repertoire. Dieses ist zum Großteil nicht mehr überliefert, kann jedoch über Reklame und Berichterstattung rekonstruiert werden. So schreibt Roth, dass es sich bei den Darbietungen überwiegend um leichte Unterhaltungsstoffe, d.h. Komödien, Operetten, Revuen und Ähnliches gehandelt habe. Wie zeitgenössische Kritiker*innen schreiben, sei das Niveau der Aufführungen vergleichsweise gering gewesen. Dazu führte unter anderem auch die Kontrolle durch die Nationalsozialisten. Der Aspekt der Realitätsflucht überlagerte die Qualität jedoch. Jurandot bildet mit seiner im Getto geschriebenen Komödie sowohl hinsichtlich des Inhalts auch der Inszenierung eine Ausnahme, so das Urteil von Seiten der Zeitgenoss*innen als auch von Markus Roth (Vgl. S.146f).
Einen weiteren Aspekt des Theaters im Getto bilden für Roth die Schauspieler*innen. In seinem Aufsatz blickt Roth daher einen genaueren Blick auf die Biografien derjenigen Darsteller*innen, die an der Aufführung von „Die Liebe sucht eine Wohnung“ beteiligt waren. Nach Möglichkeit beleuchtet Roth dabei sowohl die Lebens- und Karrierestationen vor der Zeit im Getto als auch Werdegang nach Ende des Zweiten Weltkrieges, soweit die Personen dann noch lebten.
Fazit
Die vorliegende, editierte Ausgabe von „Die Liebe sucht eine Wohnung“ ist eine spannende Lektüre, nicht nur für Historiker*innen. Durch die Besonderheiten eines Theaterstückes ist es nicht immer einfach zu lesen und entfaltet seine volle Wirkung sicher erst auf der Bühne. Der Humor geht jedoch auch bei der bloßen Lektüre nicht verloren.
Die einordnenden Aufsätze von Andrea Löw und Markus Roth schaffen bei den Leser*innen zudem ein tiefergehendes Verständnis für die Situation im Warschauer Getto. Da das Stück nicht nur über, sondern im Getto geschrieben wurde, ist es eine Quelle von nicht zu unterschätzendem Wert, mit der sich jede*r Historiker*in einmal auseinandergesetzt haben sollte.
Literatur:
Jerzy Jurandot: Die Liebe sucht eine Wohnung. Eine Komödie aus dem Warschauer Getto. Herausgegeben von Markus Roth und David Safier, Metropol Verlag, Berlin 2017, 16,00€.
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- 23 Okt 2019 - 06:50