Von Tanja Kleeh
„HolocaustZeugnisLiteratur - 20 Werke wieder gelesen“ lautet der Titel des von Markus Roth und Sascha Feuchert herausgegebenen Buchs. Den ausgewählten Titeln sind im Buch jeweils rund zehn Seiten gewidmet. Es finden sich darunter sowohl bekannte Werke wie „Roman eines Schicksallosen“ von Imre Kertész oder die Tagebücher von Victor Klemper, als auch weniger bekannte wie beispielsweise „Das Menschengeschlecht“ von Robert Antelme. Zeitlich wird ebenfalls eine große Bandbreite abgedeckt. So wird mit Wolfgang Langhoffs "Die Moorsoldaten" auch ein Werk thematisiert, das bereits 1935 verfasst wurde. Die Vielzahl der vorgestellten Texte erschien zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren, wobei dies aufgrund der Literaturform nicht zwingend dem Entstehungsdatum entspricht. Die Liste schließt mit „Rette dich, das Leben ruft!“ von Boris Cyrulnik aus dem Jahr 2012. Markus Roth und Sascha Feuchert weisen darauf hin, dass die Auswahl von den beteiligten Autor*innen mitkuratiert wurde. Dadurch ist das Fehlen scheinbar unerlässlicher Werke – weder Anne Frank, Primo Levi noch Elie Wiesel finden Berücksichtigung – zu erklären.
Jedes Buch wird von einem*r anderen Autor*in präsentiert. Neben einer Darstellung des Inhalts werden Informationen über die Biografie der Verfasserin oder des Verfassers des Werkes eingeflochten. Zudem wird das Werk bezüglich seiner Bedeutung innerhalb der Holocaustliteratur eingeordnet.
Doch was ist überhaupt unter Holocaustliteratur zu verstehen? Dieser Frage gehen die Herausgeber in der Einleitung nach. Wie Literatur im Allgemein, ist auch die Holocaustliteraur von großer Vielfalt geprägt. Zugleich stellen Feuchert und Roth fest: „Holocaustliteratur gibt es seit den ersten Tagen der nationalsozialistischen Herrschaft“ (S.8). Dies erklärt auch, warum mit den zwanzig ausgewählten Werken im vorliegenden Buch eine solch breite Zeitspanne abgedeckt wird. Laut Roth und Feuchert sind allein bis Kriegsende 1945 über 110 selbstständige Werke der Holocaustliteratur auf Deutsch erschienen, die allein bis 1949 durch über 350 Werke ergänzt wurden (S.10f.). Die ernsthafte Zuwendung der Literaturwissenschaft zudiesen Werken dauerte jedoch bis in die frühen 1970er-Jahre.
Der Eichmann-Prozess in Jerusalem, die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt, die Ausstrahlung der Serie „Holocaust“ rückten die Shoah nicht nur in die öffentliche Wahrnehmung, sondern weckten auch das Interesse an Berichten darüber. Es erschienen nun wieder Zeugnisberichte, Tagebücher und andere Texte (S.14). Es beginnt – wie die Herausgeber sie bezeichnen – „die Ära des Zeitzeugen“ (S.14).
Zum Verständnis der Holocaustliteratur innerhalb der Literaturwissenschaft führen Feuchert und Roth unterschiedliche Studien an. Als besonders wegweisend für die Disziplin stellen sie die Dissertation von Susan Cernyak-Spatz heraus (S.18ff.). Die 1985 publizierte Arbeit umfasse zwar nur fiktionale Werke, sei jedoch trotzdem „bemerkenswert und folgenreich“, da Cernyak-Spatz ein sehr weites Verständnis von „Holocaust“ nutzte, d.h. darunter neben der Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen*Juden etwa auch Gewaltmaßnahmen gegen politische Gegner*innen rechnete. Eine genauere Definition, was unter Holocaustliteratur zu verstehen ist, liefert die Studie „A Double Dying“ (1988) von Alvin H. Rosenfeld: „Genauso wie die Holocaustliteratur eine Vielfalt von Sprachen umfaßt, hat sie auch in alle nur möglichen Gattungen Eingang gefunden.“ (S.20)
Die Ansätze von Cernyak-Spatz und Rosenfeld spiegeln sich auch in der von den Herausgebern getroffenen Auswahl wider. In den Werken finden sich neben Tagebüchern, die während des Holocaust geschrieben wurden, ebenso Berichte über politische Gefangenschaft, zum Beispiel Wolfgang Langhoffs „Die Moorsoldaten“. Fiktionale Werke, beispielsweise in Romanform, wurden ebenso aufgenommen, wie Zeitzeug*innenberichte. Kritisch an der Auswahl anzumerken wäre, dass sich dort mit Lina Haag, Hanna Krall und Ruth Klüger nur drei Autorinnen der Holocaustliteratur finden. Hier wäre mehr Repräsentation wünschenswert gewesen.
Die in „HolocaustZeugnisLiteratur – 20 Werke wieder gelesen“ getroffene Auswahl kann dennoch überzeugen. Wie bereits zu Beginn erwähnt, stehen hier bekanntere neben unbekannteren Werken. Durch die kurzen, prägnanten Zusammenfassungen wird der Zugang zu oft doch komplexen Werken erleichtert bzw. der Einstieg für Leser*innen, die bisher nichts aus diesem Bereich gelesen haben, ermöglicht. Die zusätzlichen Informationen, die insbesondere in der Einleitung unterbreitet werden, sind jedoch auch für Leser*innen, die bereits vertrauter mit der Materie sind, wertvoll. Das Buch regt zur Auseinandersetzung mit den Werken der sogenannten Holocaustliteratur und den Autor*innen dahinter an. Zudem öffnet es die Augen für außerhalb von Fachkreisen unbekannte Werke und kann als eine Leseaufforderung verstanden werden.
Markus Roth/Sascha Feuchert (Hg.): HolocaustZeugnisLiteratur. 20 Werke wieder gelesen, Wallstein, Göttingen 2018, 29,90€.
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- 23 Okt 2019 - 06:50