Empfehlung Fachbuch

80 Jahre danach – Bilder und Tagebücher deutscher Soldaten vom Überfall auf Polen 1939

Svea Hammerle/Hans-Christian Jasch/ Stephan Lehnstaedt (Hrsg.): 80 Jahre danach. Bilder und Tagebücher deutscher Soldaten vom Überfall auf  Polen 1939, Metropol Verlag 2019, 19,00€.

Von Tanja Kleeh

Der Sammelband „80 Jahre danach – Bilder und Tagebücher deutscher Soldaten vom Überfall auf Polen 1939“ versammelt Beiträge aus erinnerungshistorischer Perspektive auf den deutschen Überfall auf Polen, der den Beginn des Zweiten Weltkrieges markierte. Svea Hammerle, Hans-Christian Jasch und Stephan Lehnstaedt haben die Beiträge zusammengetragen.

Die Herausgeber*innen sind es auch, die mit dem Beitrag „Der Kriegsbeginn 1939 und die Erinnerung an die deutschen Verbrechen in Polen“ den Sammelband einleiten. Dabei erläutern sie nicht nur Fakten zum Kriegsbeginn, sondern gehen auch auf bestehende Narrative im kollektiven Gedächtnis, wie etwa das von der nationalsozialistischen Propaganda verbreitete „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen“ ein und analysieren die Entstehung dieser Narrative. Ein weiterer wichtiger Punkt des Beitrages: der Forschungsstand. Wie die Verfasser*innen anmerken, stammen die meisten historischen Untersuchungen aus den1950er- bis 1970er-Jahren und sind von teilweise relativierenden Charakter (vgl. S.12). Positiv hervorgehoben werden die Arbeiten Jochen Böhlers, dessen Arbeit sich Mitte der 2000er erstmals intensiv mit dem Polenfeldzug auseinandersetzte.

Jochen Böhler ist mit dem Aufsatz „Die Wehrmacht und die Verbrechen an der Zivilbevölkerung während des deutschen Überfalls auf Polen 1939“ ebenfalls im Sammelband vertreten. Ähnlich den Herausgeber*innen führt Böhler an, dass die Erinnerung an den Kriegsbeginn lange Zeit von den Geschehnissen in der Sowjetunion ab 1941 sowie der Shoah überlagert worden seien. Jedoch dürfe das eine nicht ohne das andere gedacht werden, denn die Anfangsphase des Krieges (bis 1941) sei „nicht eine Fußnote, sondern eine entscheidende Phase sowohl der Shoah als auch des Vernichtungskrieges im deutsch besetzten Osten“ (S.60). Dementsprechend kommt Böhler zu dem Fazit, dass die ersten Massenmorde bereits in der Anfangsphase des Krieges stattfanden. Böhler setzt in seinen Überlegungen voraus, dass der Krieg gegen Polen nicht ohne die entsprechenden militärischen Vorbereitungen gesehen werden könne.

Auch Jens Wehner widmet sich in seinem Beitrag den Kriegsvorbereitungen, allerdings aus militärhistorischer Perspektive. Trotz eklatanter Mängel in manchen Bereichen war die Wehrmacht dem polnischen Militär überlegen. Wehner vergleicht detailliert die Anzahl der Waffen, Panzer und Luftflugzeuge, um ein möglichst genaues Bild der Verhältnisse zu zeigen. Auch die Zahl der Streitkräfte findet Eingang in seinen Aufsatz „Der deutsche Überfall auf Polen aus militärhistorischer Perspektive“. Neben diesen eher theoretischen Überlegungen widmet sich Wehner dem Kriegsbeginn streng chronologisch. Dazu gehören auch die Geschehnisse der letzten Vorkriegstage. Neben bekannteren Vorkommnissenwie dem Hitler-Stalin-Pakt geht Wehner hierbei auch auf die (angeblichen) deutschen Grenzprovokationen ein: Die SS inszenierte zahlreiche „Grenzzwischenfälle“ unter falscher Flagge, damit der Eindruck einer polnischen Aggression entstehen konnte (S.49). Die Schilderung des Überfalls am 1.September 1939 bis zur Niederlage Polens am 17.September 1939 ist gespickt mit technischen und militärhistorischen Fakten, etwa wie viele Tonnen Bomben die polnische und deutsche Luftwaffe in diesem Zeitraum jeweils abwarfen.

Die weiteren sechs Beiträge des Buches beschäftigen sich mit der Erinnerung an den Überfall auf Polen. Dabei geht es neben Fotografien, die die Geschehnisse festgehalten haben, um die Stellung im polnischen und deutschen kollektiven Gedächtnis sowie persönliche Erinnerungen der beteiligten Soldaten.

Petra Bopp analysiert in ihrem Aufsatz „ ,Wir glauben an die Objektivität der Kamera.‘ – Private Fotografie der Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg“ Fotografien aus dem Besitz von Wehrmachtssoldaten. Nach einer anfänglichen Darstellung und Einordnung beispielhaft ausgewählter Fotos erklärt Bopp, wie es zu der Fülle an Fotografien kam. Propagandaminister Goebbels forderte die Deutschen dazu auf, die Fotografie „in den Dienst der deutschen Sache zu stellen“. Dass dies auch und gerade für die Dokumentation von Kriegshandlungen galt, wird etwa an – extra für diesen Zweck gefertigten – Alben mit Einbänden wie „Erinnerungen an meine Dienstzeit“ verdeutlicht. Ein solches Album, dass den Überfall auf Polen dokumentiert, wird von Bopp ausführlich analysiert. Heute können diese Fotoalben als wertvolle Quelle dienen, wobei jedoch berücksichtig werden müsse, dass sie den Krieg nicht zeigen wie er war, sondern wie er gesehen wurde (S.82).

Svea Hammerle und Irmgard Zündorf stellen in ihren Beiträgen Möglichkeiten zum wissenschaftlichen Umgang mit eben solchen Fotoalben vor. Hammerle setzt sich mit einem „Fotokonvolut zum Überfall aus Polen“ auseinander. An den Beginn ihrer Überlegungen stellt sie die begleitenden Fragen, die für die Analyse und Aufbereitung einer solchen Quelle notwendig sind, zum Beispiel wie Sieger und Besiegte, Täter und Opfer des Krieges präsentiert werden. Nach biographischen Informationen zu dem Fotografen erfolgt eine innere und äußere Quellenkritik, d.h. es wird zum Beispiel die Anzahl der Fotos sowie deren Größe festgehalten und der Inhalt der Kommentare notiert. Anschließend werden sowohl die Fotos als auch die dazu verfassten Bildunterschriften und Kommentare hinsichtlich nationalsozialistischer Ideologie untersucht. Svea Hammerle ordnet dabei die wissenschaftliche Analyse stets in den gesamthistorischen Kontext ein und macht es somit einfach, sowohl dem Vorgehen zu folgen als auch Bezüge zum geschichtlichen Ablauf herzustellen. Es wird durch die kleinteilige Auflistung jedes Analyseschritts ein grundlegendes Verständnis für den Umgang mit fotografischen Quellen erzeugt.

Ähnlich wie Hammerle beschreibt Irmgard Zündorf die Arbeit an einem Projekt, dessen Ziel die Sammlung von Fotozeugnissen des Überfalls auf Polen sowie deren Aufbereitung für die Öffentlichkeit war. Gemeinsam mit Studierenden des Master Public History der Freien Universität Berlin und der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz wurden über einen Sammelaufruf Fotografien des deutschen Überfalls auf Polen gesammelt. Es kamen Fotoalben, Einzelbilder, Tagebücher, Briefe und sonstige Textquellen zusammen, die anschließend dem Prozess der Quellenkritik sowie der Aufbereitung für die Präsentation in einer Onlineausstellung unterworfen wurden. Zudem macht Zündorf auf Aspekte der Bildethik aufmerksam, für die es bis heute keine einheitlichen Richtlinien gibt. Daher musste für jedes Projekt eine eigene Regelung gefunden werden.

„80 Jahre danach“ ist ein vielfältiger Sammelband, dessen Schwerpunkt in der Erinnerung an den deutschen Überfall auf Polen im September 1939 liegt. Ergänzt wird er durch fachliche Beiträge etwa zur Militärhistorie oder Erinnerungskultur im Allgemeinen, beispielsweise von Paweł Machcewicz. Er lenkt mit seinem Beitrag „Kriegserinnerung und -wahrnehmung in Polen“ den Blick auf die polnische Seite. Er stützt sich bei seinen Ausführungen auf Meinungsumfragen, welche im Jahr 2009 im Auftrag des Museums des Zweiten Weltkrieges in Danzig und von Soziolog*innen ausgewertet wurden. Machcewicz weist daraufhin, dass es vor allem in der lokalen Erinnerung zu unterschiedlichen Wahrnehmungen kommt. Unterschiede bestünden an vielen Stellen auch zur offiziellen Erinnerung, die beispielsweise die Erfahrungen der an das Deutsche Reich angegliederten Gebiete in nur geringem Maße berücksichtigte. Ein wichtiger Faktor in der polnischen Erinnerung ist zudem das sowjetische Narrativ, dass über 40 Jahre manche Themen verschwieg oder marginalisierte. Machcewicz kommt jedoch zu dem Schluss, dass auf lange Sicht „Manipulationen von Politikerinnen und Politikern, die Geschichte und Erinnerung als Propagandawerkzeug und Soziotechnik benutzen“ auf lange Sicht keinen Erfolg haben.

Somit ist „80 Jahre danach“ auch ein höchstaktuelles Buch, beschäftigt doch die Frage nach dem Erinnern nicht nur die polnische Öffentlichkeit, sondern ist auch in Deutschland immer wieder Gegenstand von Debatten. Die Beiträge bieten dafür keine endgültige Antwort, bieten jedoch praktische Ansätze und konkrete Beispiele, wie mit der Vergangenheit bzw. Quellen, die diese repräsentieren, umgegangen werden kann.

 

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