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Berliner Politik und die Lage von zugewanderten Rom_nja

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Von Ingolf Seidel

Rom_nja in der Großstadt Berlin, wie nehmen Gadjes, also Nicht-Rom_nja, sie wahr? Vermutlich mehrheitlich in etwa so, wie es ein Artikel aus dem Tagesspiegel vom Mai 2017 nahelegt: „Meist geht es eigentlich nur um bestimmte Roma. Um jene Familien, die in Parks, auf Treppen oder in Obdachlosenheimen schlafen. Auch um die Mädchen, die am Strich an der Kurfürstenstraße stehen. Um bettelnde Kinder und solche, die an Ampeln ungefragt Autoscheiben putzen. Es geht um die Verfahren gegen Diebesbanden – um gestohlene Handtaschen, Kupferkabel, Schmuck. Sozialarbeiter, Beamte, Lehrer, sogar EU-Diplomaten und selbst Drina und ihr Freund sagen: Ja, oft sind’s Roma vom Balkan.“ Einmal davon abgesehen, dass mit „Drina“ eine Romnja quasi als Kronzeugin dafür herangezogen wird, dass „die“ so sind – ein Muster, dass auch aus dem Antisemitismus bekannt ist –, reiht das Zitat wohl die Mehrzahl der aktuell bestehenden Klischees über Angehörige der Minderheit aus den Ländern Mittel- und Südosteuropas aneinander. Hinterfragt wird im Tagesspiegel nicht, ob es sich bei den als „Roma“ Bezeichneten auch wirklich um Angehörige der Minderheit handelt. Gerne werden Menschen, die aus Rumänien oder Bulgarien nach Deutschland kommen pauschal als Rom_nja bezeichnet. Dabei haben verarmte Menschen, auch wenn sie nicht der Minderheit angehören, genügend Gründe der ökonomisch desolaten Situation in den Herkunftsländern zu entfliehen. Und auch Rom_nja sind keine homogene Gruppe. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen, das selbst aus unterschiedlichen Dialekten bestehende Romanes ist nicht für alle Rom_nja verbindendend, sie sind Muslime oder Christ_innen. Und, es gibt in jedem Land vielfältige Aufstiegsbiografien von Angehörigen der Minderheit. Es ist im Wesentlichen die Wahrnehmung der Nicht-Rom_nja, die homogenisierend wirkt.

Mit dem Zusammenbruch der sich sozialistisch nennenden Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts wurden auch die Großindustrien und die Agrarindustrie geschlossen und privatisiert. Bereiche in denen viele Rom_nja häufig als ungelernte Arbeiter_innen ihr Auskommen hatten. Die universalistische Politik gegenüber Rom_nja in den staatssozialistischen Ländern ist zumindest zwiespältig zu nennen. Im Kern lief sie auf eine Assimilation hinaus und war zudem häufig von Ressentiments und Diskriminierungen durchzogen. Da es meist an Möglichkeiten der Bildungsteilhabe mangelte, waren die Aufstiegschancen gering. Die Mehrzahl der Rom_nja verblieb im Status von ungelernten Arbeitskräften und daher waren sie die ersten, die beim Übergang in die kapitalistische Wirtschaftsordnung ihre Arbeitsplätze verloren. Es ist sicher nicht übertrieben festzustellen, dass Rom_nja zu den großen Verlierer_innen des Niedergangs des Ostblocks und der EU-Osterweiterung gehörten.

Unbestritten ist, dass die Zahl von Migrant_innen aus den Ländern Bulgarien und Rumänien in den vergangenen Jahren zugenommen hat: „Die Zahl der bulgarischen Staatsangehörigen stieg von 21.393 in 2014 auf 26.910 in 2016, die der rumänischen von 13.695 in 2014 auf 18.814 in 2016. Insgesamt waren am 31. Dezember 2016 45.724 Bulgaren und Rumänen in Berlin gemeldet.“ (Senatsverwaltung 2017: 7) Der Senat von Berlin reagierte auf die EU-Forderung von 2011, Maßnahmen für die Einbeziehung von Roma zu entwickeln,im Jahr 2012 mit der „Berliner Strategie zur Einbeziehung ausländischer Roma“.Ein Jahr später folgte der „Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma“. Der Aktionsplan setzte sich zum Ziel die Zugänge für Rom_nja zu „Arbeit, Bildung, Gesundheit und Wohnen zu verbessern, die Regelinstitutionen der Daseinsfürsorge interkulturell für Roma zu öffnen, die Teilhabe von Roma durch die Förderung ihrer Selbstorganisationen zu unterstützen und den Antiziganismus zu bekämpfen.“ (Senatsverwaltung 2015:7) Kritiker_innen des Rromano Bündnisses Berlin, dem die IniRromnja, die Initiative – Jugendtheater So keres?, das Rroma Informations Centrum und der Verein Roma Akathe angehören, sprachen davon, dass der Aktionsplan die Einbeziehung von Rom_nja im Titel enthalte, dabei aber soziale Probleme wie Wohnungslosigkeit, Prostitution oder häusliche Gewalt zu Lasten der Minderheit ethnisieren würde (Vgl. Romano Bündnis 2018). In der Tat haben zugewanderte Rom_nja allein aus ökonomischen Gründen auf dem höchst angespannten Berliner Wohnungsmarkt kaum eine Chance angemessenen Wohnraum zu bekommen. Die Folge sind unter anderem Überbelegungen in Wohnungen und Projekten, nicht selten bereits heruntergekommene Immobilien, deren Zustand in der öffentlichen Wahrnehmung den Rom_nja angelastet werden.

Nicht ohne Konflikte entwickelte sich das Projekt eines Rahmenvertrages zwischen dem Land Berlin und der Minderheit, der im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats vorgesehen ist. Als Vorlage dient ein bereits bestehender Vertrag in Baden-Württemberg, der überarbeitet und auch die Situation von zugewanderten Rom_nja berücksichtigen soll. Ein wesentlicher Punkt des Berliner Vertrages ist die Einrichtung eines „Rates für die Angelegenheiten der Sinti und Roma“, dem jeweils sechs Vertreter_innen der Minderheit sowie der Landespolitik und Senatsverwaltung angehören sollen. Der Rat soll die Position von Sinte_zze und Rom_nja stärken, indem er etwa Empfehlungen zur Minderheitenpolitik an die Landesregierung ausspricht oder auf Transparenz bei der Verteilung von Fördermitteln an Selbstorganisationen der Minderheit achtet. Allerdings war vorgesehen, den Rahmenvertrag nur mit einer Minderheitenorganisation abzuschließen. Die Wahl fiel dabei auf den Landesrat der Roma und Sinti, RomnoKher Berlin-Brandenburg. RomnoKher wurde im Mai 2016 gegründet. Seine Vorsitzende ist die Sintezza Dotschy Reinhardt. Verschiedene Selbstorganisationen von Sinte_zze und Rom_nja reagierten düpiert, darunter auch der von Petra Rosenberg geleitete Landesverband Deutscher Sinti und Roma. 

Die Irritationen des Landesverbandes im Vorfeld nicht über das Vertragsvorhaben informiert worden zu sein, sind allein schon aufgrund dessen langjährigen Engagements nachvollziehbar. Er war infolge der Bürgerrechtsbewegung von Sinte_zze und Rom_nja 1978 erst unter dem Namen Cinti Union Berlin gegründet worden. Die Umbenennung in den heutigen Namen erfolgt 1994. Der Auschwitz-Überlebende Otto Rosenberg war Gründungsmitglied und zugleich langjähriger Vorsitzender. Seit 1989 unterhält der Landesverband die senatsgeförderte Sozialpädagogische Beratungsstelle, die sich für die soziale und gesellschaftliche Gleichstellung für Sinte_zze und Rom_nja einsetzt. 

Doch auch andere Selbstorganisationen wie etwa die IniRromnja oder der Verband Amaro Foro und weitere fühlten sich hintergangen. Zudem bestehen Befürchtungen der einzurichtende Rat könne ein reines Diskussionsforum ohne Einfluss werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in Koalitionskreisen wohl nicht nur die Komplexität der Situation unterschätzt wurde, sondern dass die Beteiligten eigenen stereotypen homogenisierenden Sichtweisen sowie einer vor allem instrumentell ausgerichteten Politik gefolgt sein dürften. Eine Konkurrenzsituation über Repräsentationsfragen der Minderheit wurde so zumindest befeuert. Zur Ausgestaltung des Vertrages gab es Runde Tische und in einer Arbeitsgruppe werden gemeinsam mit Selbstorganisationen Eckpunkt erarbeitet. Der Prozess gestaltet sich nahezu zwangsläufig langwierig. Hoffnungsvoll stimmt, dass die Gleichberechtigung und Teilhabe der zugewanderten Rom_nja in das Vertragswerk mit aufgenommen werden sollen. Es bleibt zu hoffen, dass ein Vertragsabschluss noch in dieser Legislaturperiode zustande kommt. 

Quellen 

Hannes Heine: Roma in Berlin. Die Dienstreisenden vom Balkan, 18.05.2017, https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/roma-in-berlin-die-dienstreisenden-vom-balkan/19818192.html

Romano Bündnis: Kommentar zum zweiten Bericht zur Umsetzung des Berliner Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer RomaBerlin 2018, http://rromano-buendnis.de/wp-content/uploads/2018/09/erklaerung_aktionsplan_2018.pdf.

Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales: Erster Bericht zur Umsetzung des Berliner Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma. Berlin 2015, https://minor-wissenschaft.de/wp-content/uploads/2018/09/Erster_Bericht_Umsetzung_2015.pdf.

Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales: Zweiter Bericht zur Umsetzung des Berliner Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma. Berlin 2017, https://minor-wissenschaft.de/wp-content/uploads/2018/09/Zweiter_Bericht_Umsetzung_2017.pdf

 

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