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»Der Nationalsozialismus. Gemeinsam lernen in leicht verständlicher Sprache«. Bausteine für eine inklusive historisch-politische Bildung

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Dr. Doris Katheder, Petra Schachner: »Der Nationalsozialismus. Gemeinsam lernen in leicht verständlicher Sprache«. Gefördert von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".

Von Johanna Blender

Mit den Lernmaterialien »Der Nationalsozialismus. Gemeinsam lernen in leicht verständlicher Sprache. Bausteine für eine inklusive historisch-politische Bildung«, 2016 vom Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg herausgegeben, haben Dr. Doris Katheder, Kulturhistorikerin und Medienpädagogin, und Petra Schachner, Sozialarbeiterin und ehemalige Ressortleiterin an der Akademie CPH, ein Seminarkonzept geschaffen, das Initiator_innen der historisch-politischen Bildungsarbeit eine Grundlage für eine inklusive Vermittlung des Nationalsozialismus geben soll. 

Einleitend legen die Autor_innen nachvollziehbar dar, warum inklusive Bildungskonzepte zur NS-Zeit dringend erforderlich sind: Der Nationalsozialismus und die Fragen, die aus dieser Zeit für die Gegenwart entstehen, sind nach wie vor konstitutiv für das Demokratieverständnis der deutschen Gesellschaft und somit für alle Menschen bedeutsam. Hinzu kommt, dass Menschen mit Behinderungen sowohl zu Verfolgten des Nationalsozialismus gehörten als auch in der Gegenwart zunehmend Diskriminierung und menschenfeindlichen Angriffen ausgesetzt sind und somit eine Notwendigkeit besteht, historische Kontinuitäten und Hintergründe einordnen und gegenwärtigen Ängsten angemessen begegnen zu können.

Jedoch gebe es wenig Bildungsangebote zur Zeit des Nationalsozialismus, die sprachlich und methodisch inklusiv seien, was effektiv zu einer Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen aus der Teilhabe an Bildungs- und politischen Prozessen führe. Dieser Problematik entgegenzuwirken, sei Hauptaufgabe der inklusiven Geschichtsdidaktik. Inklusive Geschichtsdidaktik wird dabei als eine Didaktik verstanden, die so wenig sprachliche und inhaltliche Barrieren beinhaltet, dass sie die Bedürfnisse möglichst vieler Zielgruppen berücksichtigt. Gleichzeitig jedoch soll inklusive Bildung zielgruppenorientiert arbeiten, was eine Schwierigkeit darstelle. Weitere Herausforderungen ergeben sich, so Katheder und Schachner, aus allgemeinen Problemen hinsichtlich der Geschichtsdidaktik zum Nationalsozialismus, darunter der zukünftig rein medial möglichen Vermittlung anstelle persönlicher Begegnungen sowie dem Umstand, dass sich eine Geschichtsdidaktik zum Nationalsozialismus nicht mehr auf biografische Bezüge der Lernenden verlassen könne, um Empathie für die Betroffenen und somit ein Interesse für das Thema zu erzeugen. Um Menschen dafür zu interessieren, sich über den Nationalsozialismus zu bilden, sei es jedoch essenziell, Empathie in ihnen zu erzeugen – und die Bereitschaft, mit Betroffenen in einen Dialog zu treten. Hierfür brauche es ein Bildungskonzept, das die Entwicklung von Persönlichkeit und Identität als eine Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit Geschichte betrachtet.

Die Autor_innen betonen, dass es wichtig sei, die Zeit des Nationalsozialismus in der Vermittlung nicht auf ihren pädagogischen Wert zu reduzieren, sondern einen reflektierten Umgang mit der Geschichte und ihren daraus resultierenden, (all-)gegenwärtigen gesellschaftlichen Werten sowie politischen Konsequenzen zu vermitteln. Die heutigen Nachwirkungen des Nationalsozialismus zu erkennen, sei ein zentrales Ziel der historischen Bildung. 

Die vorgestellten Lernmaterialien bestehen aus einem Seminarkonzept, das laut Autor_innen „inhaltlich niedrigschwelliger“ ausgerichtet ist als „reguläre“ Bildungskonzepte und in verständlicher Sprache mit anschaulichen Methoden einen thematischen und emotionalen Zugang zur Zeit des Nationalsozialismus schaffen soll. 

Im ersten Schritt soll durch die Bezugnahme auf die Biografien der Teilnehmenden ein historisches Verständnis gefördert werden. Dabei wird der Nationalsozialismus einerseits zeitlich – unter Bezugnahme auf andere historische Ereignisse, die für die Teilnehmenden interessant sein können, wie z.B. die Erfindung des Smartphones – und andererseits in die Lebenszeit der Teilnehmenden bzw. ihrer Familien eingeordnet. Dies geschieht anschaulich durch das Aufstellen von bebilderten Stellkarten auf einem Zeitstrahl. Weitergehend wird „Das Leben in der ›Nazi-Zeit‹“ genauer beleuchtet: Durch die Abgrenzung des „Früher“ von dem „Heute“ erarbeiten die Teilnehmenden mit Hilfe von Stellkarten Unterschiede zwischen der NS-Zeit und der Gegenwart. Auch hier wird durch die Frage, inwiefern diese Unterschiede für die Teilnehmenden erlebbar seien, die Lebenswelt der Beteiligten in Betracht gezogen. Ein nächster Schritt soll ein Verständnis von der Gesellschaft im Nationalsozialismus, darunter besonders „Die Mehrheit und die Minderheiten“, erzeugen. Hierbei soll auch der Frage nachgegangen werden, weshalb Menschen die Ideologie der Nazis unterstützten oder sich ihr nicht widersetzten, obwohl sie sie ablehnten. Der nächste Baustein vermittelt ein Verständnis der Inhalte der Nürnberger Gesetze, indem zunächst auf die gegenwärtige Bedeutung von Gesetzen eingegangen und weitergehend betrachtet wird, wie sich die Nürnberger Gesetze auf die Lebensrealität der betroffenen Menschen auswirkten. Anschließend soll eine in leichter Sprache verfasste Power-Point-Präsentation die Teilnehmenden über die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten aufklären.  Nicht der Niedergang des Nationalsozialismus, sondern die Nürnberger Prozesse bilden die nächste thematische Einheit des Seminars: Ziel des Bausteins ist es, den Teilnehmenden zu zeigen, weshalb die nationalsozialistischen Verbrechen juristisch verfolgt wurden und immer noch werden (sollten). Abschließend erarbeiten die Teilnehmenden in der Einheit „Unsere Rechte heute – die Menschenrechte und das Grundgesetz“ gemeinsam, welche Werte für das gesellschaftliche Zusammenleben heute gesetzlich verankert sind. Dabei soll ein Kennenlernen der deutschen sowie internationalen Gesetzgebung eine inhaltliche Verbindung von den zuvor erarbeiteten historischen Hintergründen zur politischen Gegenwart herstellen.

Katheder und Schachner haben ein Konzept entworfen, das, wie sie betonen, als Anregung verstanden werden muss, jedoch bereits eine wichtige Grundlage für die inklusive historisch-politische Bildungsarbeit in einer konkreten Thematik schafft. Dem Anspruch, eine Anregung zu schaffen, werden die Autor_innen nämlich mehr als gerecht: die inhaltlichen Elemente der Seminarbausteine vermitteln nicht nur ein Grundlagenwissen zum Nationalsozialismus und setzen dabei wichtige Schwerpunkte auf gesellschaftlich relevante Fragen, sondern lassen sich auch gut zielgruppenorientiert verändern und erweitern. (In der Grundstruktur müssen die einzelnen Bausteine jedoch beibehalten werden.) 

Die Autor_innen legen detailliert dar, wie die Inbezugnahme persönlicher Lebensgeschichten der Teilnehmenden ein Verständnis historischer Dimensionen herstellen kann. Dass Menschen mit Behinderungen an der Entwicklung und Auswahl der dargelegten Lernmaterialien in entscheidender Weise beteiligt waren, ist ein weiterer essenzieller Pluspunkt der Veröffentlichung. Zudem wird deutlich, dass die Autor_innen in ihrer Arbeit den aktuellen Forschungsstand zur Geschichte des Nationalsozialismus als auch politische Debatten berücksichtigen und sprachlich sensibilisiert arbeiten – so werden z.B. Obdachlose als Opfergruppe des Nationalsozialismus genannt, weitergehend nehmen die Autor_innen grundlegend Bezug auf rassistische Ideologien und nehmen konsequent Abstand von historisch diskriminierenden Bezeichnungen. Die vorausgesetzten Materialien sind leicht zu beschaffen bzw. können einfach heruntergeladen werden und bilden somit eine anschauliche, für die anleitende Person gut zugängliche Grundlage für das Konzept.

Ganz ohne historisches Vorwissen kommt das Konzept leider nicht aus. An manchen Stellen setzen die inhaltlichen Elemente zur weiteren Durchführung des Seminars (so z.B. bezüglich der im Nationalsozialismus verfolgten Minderheiten) ein Grundlagenwissen voraus, das die anleitende Person gegebenenfalls selbst schaffen muss. Dabei ist es für die anleitende Person an vielen Stellen unerlässlich, die Voraussetzungen der Teilnehmenden genau zu kennen, um möglichst zielgruppenorientiert arbeiten zu können. Das Konzept richtet sich somit ausschließlich an Menschen, die bereits in der inklusiven historisch-politischen Bildungsarbeit tätig sind und Erfahrung in diesem Bereich mitbringen.

Die Broschüre sowie die zugehörigen Materialien können hier heruntergeladen oder als Printversion bestellt werden.

 

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