Empfehlung Fachdidaktik

Empfehlung „Politische Bildung in der Migrationsgesellschaft“

Bestellen

Ihre Bestellung wird an den Wochenschau Verlag übermittelt.

Die Bezahlung erfolgt auf Rechnung.

Bei Rückfragen zur Bestellung wenden Sie sich bitte an

Wochenschau Verlag
Adolf-Damaschke-Str. 10
65824 Schwalbach/Ts.
Tel.: 06196-86065
bestellservice@wochenschau-verlag.de

Von Tanja Kleeh

Der von Peter Massing und Mirko Niehoff herausgegebene Sammelband „Politische Bildung in der Migrationsgesellschaft. Sozialwissenschaftliche Grundlagen – Politikdidaktische Ansätze – Praxisberichte“ ist in drei Themenfelder aufgeteilt. Jedem Teil werden drei bis vier Beiträge gewidmet. Der erste Teil des 2014 erschienen Buches beschäftigt sich mit sozialwissenschaftlichen Perspektiven auf Migration. Die Beiträge in Teil Zwei werfen einen Blick auf das Verhältnis von Migration, politischer Bildung und Schule. Im dritten Teil werden praktische Erfahrungen aufbereitet.

Massing und Niehoff fordern in ihren einführenden Beitrag „Den Blickwinkel ändern – Migration ändern – Migration als Bedingungsfeld der politischen Bildung“ einen Perspektivwechsel für die politische Bildung, insbesondere was den Politikunterricht angeht. Hierfür müsse sich von der Erklärungs- und Analysekategorie „Kultur“ verabschiedet werden (S.10). Als Vorschlag nennen sie etwa den Begriff des Deutungsmuster oder des Milieus. Auf diesem Weg könne „ein anderer Blick auf und ein anderes Verständnis von Menschen mit Migrationshintergrund ermöglicht werden“ (S.10). Die Analyse der Autoren basiert in Teilen auf der Sinus-Migranten-Milieu-Studie aus dem Jahr 2008 (Graphiken S.11 & 14). Die Befunde dieser werden dargestellt und entsprechend analysiert.

Dieser höchst wissenschaftliche Ansatz kann auf den ersten Blick abschreckend wirken. Er birgt jedoch viel Potential, um sich mit der Kritik der Autoren an bestehenden Begrifflichkeiten auseinanderzusetzen und ihre Gedankengänge nachzuverfolgen. Durch die beigefügten Graphiken ist es zudem möglich, eigene Überlegungen anzustellen und eventuell selbst Ansatzpunkte für sozialwissenschaftliche Neubetrachtungen zu finden. Hierfür muss natürlich vertiefend mit der Untersuchung gearbeitet werden.

Teil Eins

Konsequenterweise ist dann der erste Teil des Buches auch der sozialwissenschaftlichen Perspektive auf Migration gewidmet. Vier Autor_innen geben politikwissenschaftliche und soziologische Einblicke in die Thematik. So fragt Peter Massing in seinem Aufsatz danach, was politische Integration heißt und welche Unterschiede in den Dimensionen politischer Integration zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sich feststellen lassen (S.25). Dabei liegt die Stärke vor allem in der sorgfältigen, detailreichen Ausarbeitung der Begrifflichkeiten. Massings Untersuchung der politischen Handlungsbereitschaft wird zudem auf Makro- und Mikroebene untersucht (S.34), was der Arbeit zusätzliche Substanz verleiht.

Wie sich diese politische Handlungsbereitschaft bezüglich der Demokratie auswirkt untersucht Ursula Birsl. Sie fragt in ihrem Aufsatz „Demokratie in der Mehrheitsgesellschaft“ danach, wie sich die Migrationsgesellschaft zusammensetzt (S.48f). Dies ist insofern von Bedeutung, kann doch anhand der Zusammensetzung auch geklärt werden, wer welche demokratischen Bürgerrechte, d.h. Rechte zur politischen Teilhabe, besitzt. Diese tragen, so Birsl, „eine informelle Dimension, die gleichsam über die politische Partizipation in der politischen Kultur wirksam wird“ (S.52): Bisher wurde dieser Faktor von der Forschung weitgehend ausgeklammert. Die existierenden Untersuchungen weisen methodische Probleme auf. Die Herausarbeitung dieser sowie die Kritik an der bestehenden Forschung ist die große Stärke des Aufsatzes.

Über „Migration als Forschungsthema in der Soziologie“ schreibt Katrin Späte. Sie erarbeitet einen Überblick über den momentanen Forschungsstand in der BRD und fasst aktuelle Debatten, wie um den methodologischen Nationalismus (S.67f) und die Transnationalsierung sozialer Räume (S.71f), zusammen. Wie diese Forschung und der Migrationsdiskurs in Deutschland wahrgenommen werden, damit befasst sich Verena Krobisch. Besonders der Umgang der Öffentlichkeit bzw. der Medien mit dem Thema beschäftigt sie. Als aktuelle Beispiele führt sie den Islamdiskurs (S.89f) und die Diskussion um Fachkräfte (S.93f) an. Gerade das Thema Islam ist in der Öffentlichkeit, oftmals im Zusammenhang mit Migration, ein Dauerthema. Krobisch zeichnet die Debatte über wissenschaftliche Debatten bis hin zu politischen Debatten nach. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass pauschalisierende Fremdzuschreibungen Integrationserfolge außer Acht lassen. Vorurteile und Ängste würden gerade durch populistische Debatten auf der Gefühlsebene in den Diskurs eingebunden (S.93). Ziel müsse es sein, eine ausgewogene Debatte auf sachlicher Ebene zu führen.

Teil Zwei

Das Thema Islam findet ebenfalls Aufmerksamkeit bei Sabine Achour. Ihr Aufsatz „Politische Integration und der Topos der Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie in der politischen Bildung“ (S.138f) findet sich im zweiten Kapitel des Sammelbandes. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Zusammenspiel von Migration, Schule und politischer Bildung.

Achour setzt sich mit der Frage auseinander, wie und warum der Islam als unvereinbar mit der Demokratie wahrgenommen wird. Auch bietet sie Erklärungsansätze, warum innerhalb westlicher Migrationsgesellschaften so genannte islamische Defensivkulturkonzepte entstehen, die nicht demokratisch sind (S.140). Diese könnten nach Meinung von Achour ebenso wie Demokratie sowohl auf muslimischer als auch auf nicht-muslimischer Seite dekonstruieren lassen. Um dies zu ermöglichen, fordert die Autorin von der politischen Bildung die Auseinandersetzung mit religiösen Deutungsangeboten. Ebenso müsste entsprechendes Wissen in der Lehrer_innenausbildung vermittelt werden.

Ein ebenso interessantes wie eigentlich simples Konzept entwickelt Achour für die politische Integration, welche sie durch politische Bildung erreichen will: Basierend auf dieser Denkweise schlägt sie auch islamintegrative Konzepte vor, um problematischen Islamkonzepten sowie problematischen Verständnis von Demokratie vorbeugen zu können (S.150).

 Teil Drei

Unter der Überschrift „Perspektiven aus der Schule“ werden drei Beispiele aus der praktischen Arbeit präsentiert. Sie regen zur Reflexion an. Besonders eindrücklich sind die persönlichen Erfahrungen von Emine Melan, die über ihre Arbeit berichtet. Melan ist und hat einen türkischen Migrationshintergrund (S.199). Sie berichtet von überwiegend positiven Erfahrungen mit SchülerInnen, KollegInnen und den Eltern. Für die Eltern führt sie auch ein Negativbeispiel auf (S.202). Allgemein fordert Melan, „die Befähigung zur interkulturellen Kompetenz“ (S.199) in die Ausbildung von Lehrer_innen aufzunehmen. Auch ein Migrationshintergrund bedeutet für sich noch nicht das Vorhandensein dieser Kompetenz. Es sei außerdem ein deutlicher Fortbildungsbedarf für den professionellen Umgang mit Lerngruppen mit Migrationshintergrund spürbar (S.203).

Wie positiv sich solche Fortbildungen und Praxisprojekte für Schüler_innen und Lehrkräfte auswirken kann, kann bei Heiner Meiser nachgelesen werden (S.193f). Ebenso wie Dieter Hofmann berichtet er von der Arbeit an einer Schule in Berlin Kreuzberg. Beide berichten von sozialen Benachteiligungen, Sprachbarrieren und der Auseinandersetzung mit einem „unklaren“ Weltbild (S.196). Es wird deutlich, dass durch Schüler_innen mit Migrationshintergrund gerade die Lehrkräfte im Bereich Gesellschaftswissenschaften besonders gefordert werden. Beide Autoren betonen, dass die Zusammenarbeit mit außerschulischen Initiativen und Organisationen hierbei von großem Wert sei, beispielsweise wenn es um religiöse Themen oder etwa den Nahostkonflikt gehe.

Fazit

Mit dem Buch „Politische Bildung in der Migrationsgesellschaft“ ist den Herausgebern ein kompaktes Buch gelungen, dass unterschiedliche Ansatzpunkte bietet, dabei jedoch nie den Fokus verliert. Insbesondere die Praxisberichte, die Lösungsansätze unterschiedlicher Art aufzeigen, vervollständigen das Buch zu einem umfangreichen Nachschlagewerk.

Allen Beiträgen ist eine reichhaltige Literaturliste angefügt, welche die weiterführende Literatur problemlos möglich macht. Insbesondere für die Zielgruppe der (Politik-) Lehrer_innen ist der Sammelband ein guter Weg, sich auf leicht verständlichem Weg auf theoretischen Weg mit der Thematik Migrationsgesellschaft und politischer Bildung auseinanderzusetzen, ohne dass der Anschluss an die Praxis verloren geht.

Der Sammelband ist im Wochenschau Verlag erschienen und ist dort für 19,80€ erhältlich. 

 

Kommentar hinzufügen

CAPTCHA
Diese Frage dient der Spam-Vermeidung.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.