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Von Tanja Kleeh
Mit ihrer Publikation „Inklusive Geschichtsdidaktik. Vom inneren Zeitbewusstsein zur dialogischen Geschichte“ legt Barbara Völkel ein umfassendes Werk vor. In der Arbeit aus dem Jahr 2017 werden neue Zugangswege für die Geschichtsdidaktik gesucht und entwickelt.
Zu Beginn stellt Völkel fest, dass derzeit ein strukturelles Defizit in der geschichtsdidaktischen Theoriebildung vorliegt, „das einen inklusiven, historisch-kulturelle wie auch geistig-kommunikative Andersheit einschließenden Geschichtsunterricht derzeit nicht erlaubt“ (S.7). So sind Völkel zufolge Zuwander_innen und Menschen mit Beeinträchtigungen von historischer Bildung in großen Teilen ausgeschlossen. Warum dies so ist und wie dem entgegengewirkt werden kann, sind die beiden Leitfragen des Buches.
Bevor sie diesen Fragen genauer nachgeht, fragt Völkel nach Sinn und Zweck des Geschichtsunterrichts heute. Die grundlegende Aufgabe sieht sie darin, Schüler_innen zu unterstützen, Historizität aktiv in das eigene Lebenskonzept zu integrieren (S.11). Daher soll der Unterricht darauf ausgerichtet sein, dass Schüler_innen geschichtskulturelle Orientierungsangebote erkennen und in ihre Lebenswelt integrieren können (S.13). Da die Lebenswelten der Schüler_innen in einer pluralen Gesellschaft unterschiedliche historische Hintergründe mit sich bringen, ergibt sich oft ein hierarchisches Verhältnis der historischen Identitäten (S.38). So besteht im Geschichtsunterricht die Gefahr, diesen nur auf eine kleine, elitäre Gruppe auszulegen und weitere, kleinere Gruppen auszuschließen. Hierzu gehören laut Völkel Zuwander_innen und Menschen mit Förderbedarf. Es bestehen für diese beiden marginalisierten Gruppen im historischen Lernen die gleichen strukturellen Defizite: „Während Zuwanderer auf dem Gebiet der Nation keine Möglichkeit haben, ihre historische Identität in der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu entwickeln, […], erhalten Menschen mit (Komplexen) Behinderungen überhaupt keinen Zugang zum historischen Denken, da ihnen die als grundlegend erachteten Fähigkeiten aufgrund normativer Hürden nicht analog zur Verfügung stehen“ (S.56). Eine inklusive Geschichtsdidaktik könnte den Zugang erleichtern bzw. überhaupt erst herstellen.
Barbara Völkel wählt den Zugang über die Disability Studies: „Die Bezugnahme auf den Leib, […], erlaubt, so hier der Gedankengang, eine geschichtsdidaktische Theoriebildung vom Menschen (und nicht von der Geschichte) her, in der Geschichte dann aber doch wieder eine zentrale Rolle spielt“ (S.8). Konkret heißt das, dass die (historischen) Erfahrungen des Menschen in einem bestimmten Raum berücksichtigt werden.
Doch was steckt hinter diesem Konzept des Leibs ? Auch hier sind laut Völkel die Antworten in den Disability Studies zu finden. Dort wird sich auf die Phänomenologie berufen. Nach dieser Denkweise findet sich unsere Vernunft nicht im Kopf, sondern im Leib (S.69). Der Leib dient als „Erkenntnisinstrument“. Um diesen Gedanken weiterverfolgen zu können, führt Völkel die Bewegung im Raum an (S.76).
Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass das Buch auf einer zutiefst theoretischen Ebene funktioniert. Es wird viel über Phänomenologie, Raum, Zeit und Leib gesprochen. Auch wenn die Konzepte und ihre Ursprünge bei den jeweiligen Denker_innen (z.B. Descartes, Bourdieu, Foucault, Simmel) dargelegt werden, erfordert die Auseinandersetzung damit ein gewisses Maß an Vorwissen in den Bereichen Philosophie und Soziologie. Wer dieses nicht besitzt, kann leicht in Verwirrung geraten, was die weitere Auseinandersetzung mit dem Buch erschwert.
Leider gelingt es Barbara Völkel auch nicht, ihren geschichtsdidaktischen Bildungsbegriff, welcher den Leib in den Mittelpunkt stellt, so zu umreißen, das gut mit ihm gearbeitet werden kann. Ihr Bildungsbegriff umfasst 13 Zuschreibungen (S.152f). Ob es sich bei allen Zuschreibungen um notwendige Bedingungen handelt oder auch hinreichende Beschreibungen vorliegen, geht aus der Darstellung im Buch nicht hervor. Dies ist schade, könnte doch ein – oder dieser – neu formulierter Bildungsbegriff, wie Völkel selbst schreibt, einen inklusiven Zugang zu Menschen mit komplexen Behinderungen aufstellen (S.154). Für die konkrete Umsetzung eines inklusiven Geschichtsunterrichts schlägt Völkel eine grundlegende Erlebnisorientierung vor (S.168f). Diese Forderung wirkt nahezu radikal, bricht sie doch mit der Vorstellung, Geschichte und Geschichtsunterricht basiere vor allem auf dem Erlenen des Vergangenen.
Fazit
Das Buch von Barbara Völkel ist, trotz seines hohen Theorieanteils, eine gute Lektüre für Lehrer_innen, die sich mit dem Thema Inklusion im (Geschichts-) Unterricht auseinandersetzten möchten. Dabei werden neue Wege gegangen und unkonventionelle Methoden eingebracht. Der Blick auf das eigentliche Thema, die Geschichtsdidaktik, scheint an manchen Stellen aus dem Fokus zu verschwinden. Es findet sich jedoch dann nach ein paar Seiten wieder und die vorherigen Ausführungen werden klar.
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- 24 Okt 2018 - 08:28