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Reisebericht einer Lehrer_innenstudienfahrt des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach Frankreich

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Karl-Friedrich Boese ist Geschichtslehrer und arbeitet seit dem 1. März 2017 als  Bildungsreferent für den Bezirksverband Lüneburg-Stade des Volksbundes  Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Von Karl-Friedrich Boese

Im Herbst 2017 führte der Bezirksverband Lüneburg/Stade des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) eine Studienfahrt für Lehrkräfte als Fortbildungsmaßnahme in Zusammenarbeit mit der Landesschulbehörde nach Frankreich durch. Schwerpunkte der Fahrt waren die friedenspädagogischen Angebote des Volksbundes in Bezug auf das Gedenken an die Opfer des Ersten Weltkrieges im Kontext der deutsch-französischen Geschichte. Der VDK bietet solche Studienfahrten mit dem Ziel an, Lehrkräfte von der Sinnhaftigkeit seiner pädagogischen Friedensarbeit zu überzeugen und zu motivieren mit ihren Schüler_innen ähnliche Fahrten an die historischen Schauplätze zu unternehmen. Dabei hat die Auseinandersetzung mit einzelnen Kriegsbiografien Priorität gegenüber einer anonymisierten Geschichtsvermittlung, bei der nur reine Opferzahlen Gegenstand der Betrachtung sind. Junge Menschen sollen so motiviert werden, sich selbst für den Erhalt des Friedens zu engagieren. Da die unmittelbare Erlebnisgeneration von Krieg und Gewaltherrschaft, Flucht und Vertreibung bald nicht mehr als Zeitzeuge zur Verfügung stehen wird, erhalten Kriegsgräber und Gedenkstätten als außerschulische Lernorte für die Schulen ein besonderes Gewicht. Im Fall des Ersten Weltkrieges ist die Zeitzeugenschaft der Erlebnisgeneration bereits ohnehin nicht mehr gegeben.

Das Einzelschicksal – Wegbereiter eines tieferen Geschichtsverständnisses
„Hilse und Lustig (Kopfschüsse) morgens gestorben. Auch den andern geht es zum Teil betrüblich schlecht. Die nächsten Todeskandidaten werden Franke, Paltke und Fenker sein.“

Diese Sätze schrieb der 38-jährige Stabsarzt Dr. med. Alfred Bauer am 19.05.1916 in sein Tagebuch. Damals war es ein routinemäßiger Eintrag um das tägliche Erleben von Verwundung und Tod festzuhalten. Gut 100 Jahre später berühren diese Worte die Teilnehmer_innen der Studienfahrt des VDK zu ausgewählten Stätten des Ersten Weltkrieges. An diesem kühlen Herbstmorgen haben sich 27 Lehrer_innen auf dem deutschen Soldatenfriedhof Romagne-sous-les-Côtes/Meuse, ca. 25 km nördlich von Verdun eingefunden, um sich mit dem Schicksal deutscher Frontsoldaten im Jahre 1916 zu befassen. In der Vorbereitung der Fahrt haben sich die Organisatoren bewusst für den Besuch dieses Friedhofs entschlossen. Hier wissen wir dank der Tagebuchaufzeichnungen von Dr. Bauer und seinen Statistiken mehr über die Toten: Wann sind sie ins Lazarett eingeliefert worden? Die Art der Verwundung und die ergriffenen medizinischen Maßnahmen sind bekannt. Wie lange haben sie im Lazarett überlebt? Im Fall der beiden oben genannten Soldaten Hilse und Lustig waren es sieben Tage. Dieses Mehr an Informationen lässt vor dem geistigen Auge der Teilnehmer Bilder entstehen, die einen tieferen Zugang zum Schicksal einzelner Frontsoldaten ermöglichen.

Die Nutzung zeithistorischer Quellen als pädagogische Ressource

Dieses tiefe Eintauchen in das Leid und Sterben einzelner Kriegsteilnehmer ist möglich geworden, weil der Enkel Dr. Bauers die Tagebuchaufzeichnungen sowie sonstige Unterlagen nebst Originalfotos dem Volksbund zur Verfügung gestellt hat. Sein Großvater hat im Frühjahr 1916 ca. zwei Kilometer östlich der Ortschaft Romagne-sous-les-Côtes ein Feldlazarett, „Deutscheck“ genannt, aufgebaut und betrieben. In tiefem Kontrast dazu stehen die Schilderungen seines Vaters wiederum, der als junger Artillerieleutnant an den Kämpfen um das Fort Douaumont bei Verdun teilnahm. Seine Erlebnisse schilderte er später in einem Beitrag für eine Schweizer Militärzeitung.

Die folgende Passage beschreibt den Ablauf einer Postenablösung im Fort Douaumont: „…jetzt kommt die Hauptarbeit des Anmarsches, der vom Gegner eingesehene Marsch bis ins Fort. […] Schnell sausen wir vorwärts und sind gerade oben auf dem Fort beim Durchklettern der 42 und 30,5 cm Trichter, als eine Feldbatterie aus Richtung Fort Souville anfängt, den Südeingang des Forts, durch den wir herein müssen, zu beschießen. […] Schnell wird unser Gepäck gleichmäßig auf uns drei verteilt und kaum ist der nächste Schuß eingeschlagen, da spritze ich los wie ein gehetzter Hase und bin gerade im finsteren Eingang, als es hinter mir wieder höchst unangenehm kracht. Kurz darauf sind meine zwei Fernsprecher auch glücklich im Fort und nun tappen wir durch die dunklen Fortgänge, in denen das Wasser stellenweise fußhoch steht, zu unserem Artilleristen-Zimmer, einer großen Kasematte. Mein Vorgänger wartet schon sehnsüchtig auf mich, denn fünf Tage Fortbeobachter sind eine harte Zeit. Schnell bin ich über alles orientiert und ist die Übergabe an mich erledigt.“

Auch dieser Bericht eines Augenzeugen lässt in der Vorstellung der Studienfahrtteilnehmer_Innen lebendige Bilder entstehen, wenn sie am Nachmittag das Fort besichtigen.

Veränderungen in der deutsch-französischen Erinnerungskultur

Weitere Stationen unserer Führung waren das 1916 völlig zerstörte und nicht wieder aufgebaute Dorf Fleury und das Beinhaus. Außerdem stand ein Besuch des anlässlich des 100-jährigen Gedenkens an die Schlacht um Verdun 2016 völlig neu konzipierte und erweiterte Mémorial de Verdun (Weltkriegsmuseum) auf dem Programm. Nicht nur das historische Erinnern war Zweck des Besuchs dieser Stätten, sondern auch der didaktische Transfer in die Gegenwart sollte deutlich gemacht werden. Zwei Beispiele, an denen der Aussöhnungsprozess der ehemaligen Kriegsgegner Deutschland und Frankreich besonders deutlich wird, seien hier genannt. So weht auf dem Fort Douaumont seit 2016, als sich die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident dort trafen, neben der französischen auch die deutsche und die Europaflagge. Letztere kann als Symbol der Überwindung rein nationaler Geschichtsbetrachtung und als Indiz dafür gedeutet werden, dass die Staaten aus der Geschichte sichtbare Lehren gezogen haben. Der VDK hat diesen Gedanken übrigens in seiner 2017 in mehreren großen deutschen Städten gestarteten Plakataktion „Darum Europa“ aufgegriffen.

Ein zweites Beispiel, an dem der Versöhnungsgedanke deutlich wird, ist das 1920 in Auftrag gegebene und 1932 offiziell eingeweihte Beinhaus, das als zentrale Begräbnisstätte für alle in der Schlacht um Verdun nicht identifizierbaren Gefallenen errichtet wurde. Im Innern des Beinhauses sind an den Wänden und Decken Steinplatten angebracht, auf denen die Namen vermisster oder gefallener französischer Soldaten eingemeißelt sind. Die Platten wurden von Angehörigen der Soldaten gestiftet. Seit Februar 2014 ist dort auch der Name des deutschen Soldaten Peter Freundl (gefallen am 28. Mai 1916, Bayerisches 12. Infanterie-Regiment) auf einem Bogen des Beinhauses eingraviert. Bis dahin war diese Ehrung nur französischen Soldaten vorbehalten. Seit dem gemeinsamen Besuch des Beinhauses von Angela Merkel und François Hollande im Mai 2016 macht die folgende Deckeninschrift die Tiefe der Aussöhnung beider Völker, verbunden mit einer Mahnung an die Folgegenerationen deutlich: „Hier liegen gemeinsam die Gebeine von 130.000 französischen und deutschen Soldaten, die auf dem Schlachtfeld von Verdun gefallen sind. Lasst uns niemals dieses Grauen vergessen.“

Das Davor und Danach – Die geschichtliche Einordnung des Ersten Weltkrieges
Der thematische Schwerpunkt der Studienfahrt lag eindeutig auf dem Ersten Weltkrieg, wenngleich dieser nicht völlig losgelöst von historischen Ereignissen im Vorfeld und im Nachgang betrachtet werden sollte. So war mit einem Besuch der Denkmal-Landschaft von Woerth / Froeschwiller im Elsass dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ebenfalls ein Programmpunkt gewidmet. Hier besteht die Möglichkeit, rund 80 Kriegerdenkmäler zu erkunden, die von landsmannschaftlichen Veteranenverbänden bzw. vaterländischen Vereinen als Symbol des Sieges errichtet wurden, in dessen Folge es zur deutschen Reichsgründung kam. Die Region bot auch die Gelegenheit einen kurzen Blick auf den nur 21 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges beginnenden Zweiten Weltkrieg, der ohne den Ersten wohl kaum stattgefunden hätte, zu werfen. In Niederbronn-les-Bains betreibt der VDK eine seiner insgesamt vier Jugendbegegnungsstätten. Dort können Schulklassen und Jugendgruppen sowie junge Erwachsene friedenspädagogische Angebote buchen und Pflegedienste auf der in unmittelbarer Nähe gelegenen deutschen Kriegsgräberstätte des Zweiten Weltkrieges verrichten. Zum pädagogischen Angebot gehört auch die Dauerausstellung „Destins de Guerre“, die ausgewählte Kriegsbiografien, von Tätern und Opfern, aus der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft in den Mittelpunkt stellt.

Nachhaltigkeit in der historischen Bildung

Zum Ende der Fahrt wurden die Teilnehmer_innen gebeten, ein Feedback abzugeben. Das folgende Statement eines Teilnehmers spricht für die pädagogische Wirksamkeit des einzelbiografischen Ansatzes in der Vermittlung geschichtlicher Ereignisse. „Ich wollte immer nach Verdun. […] Verdun sollte man ohne patriotische oder Schuldgefühle sehen. Nur mit einem gewissen Abstand kann man verstehen, warum der Friede so wichtig ist und was Europa wirklich bedeutet. Diese Fahrt ist für mich sowohl lehrreich als auch emotional gewesen.“

Wenn es methodisch-didaktisch gelingt, neben der reinen Vermittlung von Sachinformationen auch die jeweils situativ handelnden Individuen erkennbar werden zu lassen, werden die Empfänger_innen gleichermaßen auf der kognitiven und emotionalen Ebene angesprochen. Dieses kann die Nachhaltigkeit derartiger Vermittlungsprozesse entscheidend erhöhen.

Linktipp

Der Film "The World Remembers" schildert die Fahrt einer Schulklasse aus Baden-Württemberg nach Verdun und die Nutzung von Kriegsgräberstätten als pädagogische Ressource.

 

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