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Bericht über das 14. Berlin-Brandenburgische Forum zur zeitgeschichtlichen Bildung

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Von Ingolf Seidel, Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Bildung e.V.

Zum nunmehr 14. Male haben die beiden Arbeitskreise der Berliner und Brandenburgischen Gedenkstätten am 19. Oktober 2017 das Forum zur zeitgeschichtlichen Bildung ausgerichtet. Mit diesem jährlichen Format wenden sich die regionalen Gedenkstätten an Lehrkräfte und Multiplikator_innen der Bildungsarbeit, um Fragen der Geschichtsdidaktik an den historischen Orten zu diskutieren. Dieses Jahr fand die Veranstaltung in der Gedenkstätte Sachsenhausen statt.

Das 14. Berlin-Brandenburgische Forum zur zeitgeschichtlichen Bildung folgte im Wesentlichen einem gewohnten Format. Eine Abweichung ist die Straffung von zwei Durchgängen für Workshops auf einen, um die Arbeitsphase zu intensivieren. Es begann nach den Gruß- und Begrüßungsworten mit einer Podiumsdiskussion, an die sich vier parallel stattfindende Workshops anschlossen, deren Verlauf und Inhalte anschließend im Podiumsgespräch vorgestellt wurden. Dem zeitgleichen Verlauf der Workshops ist es geschuldet, dass sie in dem vorliegenden Text nur auszugsweise aus eigenem Erleben vorgestellt werden. Aus den Berichten von „Critical Friends“, die für die Abschlussvorstellung die Workshops durchgehend beobachtet haben, werden die fehlenden Informationen im Bericht ergänzt. Der Übersichtlichkeit halber sind diese Zusammenfassungen den Eindrücken aus den jeweiligen Workshops beigeordnet. Daher wird die Abschlussrunde des Tages, moderiert von Prof. Dr. Oliver Plessow (Universität Rostock), nicht gesondert dokumentiert.

Das Schwerpunktthema in diesem Jahr lag auf „Conflicting memories. Tradierte Erinnerungen versus normierter Geschichtsunterricht“. Damit verbanden sich vier Leitfragen, die auf dem Veranstaltungsblog wie folgt ausformuliert sind: „Inwieweit sind familiäre Narrative zum Nationalsozialismus noch Thema für die Schülerinnen und Schüler? Welche Narrative über die DDR werden mit in den Unterricht gebracht? In welchem Maße sind die Medien für die Geschichtsbilder der Jugendlichen prägend und wie können Filme für diese Themen genutzt werden? Welche Bedeutung haben zeithistorische Themen für junge Menschen in der Migrationsgesellschaft?“ (s. https://forumzeitgeschichte.wordpress.com)

Diese Leitfragen begleiteten die gesamte Veranstaltung und schlugen sich dementsprechend in den angebotenen Workshops nieder. Dr. Martina Münch (Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg) eröffnete den Tag mit einem Grußwort. Sie hob darin die Notwendigkeit des fachlichen Austausches von Schulen mit den Gedenkstätten hervor. Die zeitliche Distanz fördere das relativierende Sprechen über den Nationalsozialismus, so die Ministerin, zumal aktuell alte Narrative wie Heroismus oder die Abwertung anderer Nationen wieder hervorgeholt würden. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hätte hier ein notwendiges Gewicht. Auch die beiden Vorsitzenden der Arbeitskreise I und II der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten, Professor Dr. Günter Morsch und Martin Gutzeit betonten in ihren Begrüßungsreden die Problematiken, die sich aus der zunehmenden zeitlichen Distanz zur Ereignisgeschichte sowohl des Nationalsozialismus, als mittlerweile auch zur DDR ergeben. Beide Redner wiesen dabei auf besondere Bedeutung der Form hin. In vielen Jahren sei es gelungen, die Gedenkstätten, die sich mit beiden Diktaturen beschäftig, unter einem thematischen Schwerpunkt zusammenführen, ohne daß es zu Konflikten, Aufrechnungen oder Relativierungen gekommen sei. Sie plädieren daher dafür, diese in den beiden Bundesländern wohl einzigartige Veranstaltung auch in den folgenden Jahren fortzuführen.

Podiumsdiskussion „Wie sind Lebenswelt und Geschichte vereinbar?“

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem thematischen Schwerpunkt wurde durch die Podiumsdiskussion unter der Überschrift „Wie sind Lebenswelt und Geschichte vereinbar?“ eingeleitet. Auf dem Podium sprachen, moderiert durch die Historikerin Cornelia Siebeck, Birgit Neidnicht (Lehrerin am Sängerstadt-Gymnasium Finsterwalde), Dr. Elke Gryglewski (stellvertretende Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz), Uta Gerlant (Vorsitzende der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße) und Emily Patzer (Schülerin im 12. Jahrgang des Berliner Robert Blum Gymnasiums). Dass eine Schülerin als gleichberechtigte Diskussionspartnerin auf dem Eingangspodium mitwirkte, stellt eine positive Neuerung für das Forum dar.

Erinnerungskonflikte in der Schule und in der außerschulischen Jugendbildung entsprängen aus den Widersprüchen zwischen den Vorprägungen der Schüler_innen zu den Geschichtsbildern, die Schulen und Gedenkstätten vermitteln, leitete Cornelia Siebeck die Fragerunde ein. Das anschließende Gespräch solle sich dem Umgang mit diesen Konstellationen widmen und die persönlichen sowie strukturellen Grenzen der Vermittlung diskutieren.

Birgit Neidnicht machte eingangs deutlich, dass dem Geschichtsunterricht weiterhin eine wesentliche Funktion zukäme. Dabei verwies sie auf die jüngste Forsa-Studie aus diesem Jahr. Demnach würde der Geschichtsunterricht von Schüler_innen als wichtig erachtet und positiv bewertet, dem in der Studie ebenfalls konstatierten, teilweise schlechten Wissen über Auschwitz zum Trotz. Neidnicht arbeitet mit ihren Schüler_innen sowohl zur NS- als auch zur DDR-Geschichte. Dabei macht sie die Erfahrung, dass viele Jugendliche kein komplexes Narrativ zu einer der Epochen darstellen könnten, Einzelereignisse jedoch sehr wohl. Die Geschichtsbilder wären stark von aktuellen Ereignissen geprägt und zudem über Facebook vermittelt. Als einen möglichen Grund für das schlechte Wissen über die Shoah machte Neidnicht die inzwischen fehlenden familienbiografischen Bezüge zum Nationalsozialismus aus. Daher würden Begriffe wie Schuld oder Verantwortung kaum eine Rolle spielen. Außerdem sei die für das Thema Nationalsozialismus zur Verfügung stehende Unterrichtszeit zu gering. Frau Neidnicht versucht möglichst gemeinsam mit den Klassen Themenschwerpunkte zu finden, die auf das Interesse der Jugendlichen stoßen. Im Rahmen des Geschichtswettbewerbes des Bundespräsidenten 2014/2015 hat Frau Neidnicht als Tutorin betreut mehrere Schüler_innenprojekte zum Thema »Anders sein. Außenseiter in der Geschichte«, die in Brandenburg auf Landesebene ausgezeichnet wurden.

Elke Gryglewski wies darauf hin, dass in den Gedenkstätten und der historisch-politischen Bildung nicht nur die Geschichtsbilder der Jugendlichen präsent seien, sondern auch die der Lehrkräfte. Dies würde kaum thematisiert, obwohl diese Bilder bei Erinnerungskonflikten einwirken würden. Erinnerungskonflikte drückten sich teilweise in der unterschiedlichen Bewertung von Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus. Daran anknüpfende Konflikte und mögliche Feindbilder würden in die Alltagsarbeit in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz hineinragen. Durch die Funktion des ehemaligen Hauses der Wannsee-Konferenz seien Schuldabwehr und sekundärer Antisemitismus vielfach in der pädagogischen Arbeit präsent. Da als Zeitzeugen heute häufig Menschen zur Verfügung stehen, die nur das Ende des Weltkrieges erlebt hätten, würden sich die familienbiografischen Erzählungen bei der Mehrheit wandeln, indem vermehrt Deutsche als Opfer dargestellt würden. Es sei daher wichtig, immer wieder Gesprächsräume zu schaffen und auch den Jugendlichen zu vermitteln, dass Pädagog_innen zuhören. Bei einer Führung sei dies im Zweifelsfall wichtiger, als das gesamte Programm durchzuführen. Zudem sei das Konzept gegenseitiger Führungen der Jugendlichen dazu angelegt, sie zu aktivieren, indem sie selbst die Exponate vorstellen, die sie für wichtig erachten.

Uta Gerlant versucht Jugendgruppen von ihren, auch familienbiografischen, Erfahrungen mit der DDR-Geschichte erzählen zu lassen und so einen lebensweltlichen Bezug herzustellen. Es sei häufig festzustellen, dass in Jugendaustauschmaßnahmen den mehrheitsdeutschen Jugendlichen die Vorstellungskraft und das Bewusstsein dafür fehlt, dass Jugendliche aus anderen Ländern andere familienbiografische Vorprägungen mitbrächten, weil beispielsweise Vorfahren NS-Zwangsarbeit leisten mussten. Erinnerungskonflikte müssten im Allgemeinen dennoch nicht zwangsläufig aufkommen. Jugendliche könnten beispielsweise die Vermittlung der DDR-Geschichte durchaus als Bereicherung erfahren. Einen wesentlichen Einfluss auf die Geschichtsrezeption und auf das Auftauchen von Erinnerungskonflikten würden die Familienerzählungen haben.

Emily Patzer machte Erinnerungskonflikte in, wie sie sagte, multikulturellen Klassen darin aus, dass ihr und ihren Mitschüler_innen zu wenig Informationen über Themen wie den Gaza-Konflikt oder das Osmanische Reich angeboten würden. Generell würden sie zu wenig über Geschichte als Weltgeschichte erfahren. Das sei nicht zeitgemäß und ginge an den Klassenzusammensetzungen vorbei. Auf die Nachfrage der Moderatorin, wie denn aus Schüler_innensicht ein guter Gedenkstättenbesuch aussehen sollte, antwortete Patzer, dass es wichtig sei, auf Fragen von Jugendlichen einzugehen. Die besten Erfahrungen hätte sie machen können, wenn Lehrkräfte sich in der Vorbereitung über den Unterricht hinaus persönlich engagierten.

Workshop 1: Erinnerungskonflikte im Alltag der Gedenkstättenarbeit

Moderation: Dr. Insa Eschebach (Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück).
Teilnehmende Kolleginnen aus Gedenkstätten: Sonja Rosenstiel (Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße/Potsdam) Sabine Sieg (Gedenkstätte Deutscher Widerstand) Dr. Elke Gryglewski (Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz).

Die Vertreterinnen der beteiligten Gedenkstätten legten den Schwerpunkt ihrer Präsentationen dem Thema gemäß auf die alltägliche gedenkstättenpädagogische Arbeit, die sich in unterschiedlichen Formaten und Führungen vollzieht. Die Diskussion drehte sich im beobachteten Zeitraum um die Frage der Moderatorin Insa Eschebach, wie normativ die Gedenkstätten Geschichte vermitteln wollten. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand will die Widerständler_innen nicht heroisieren und somit entrücken, sondern sie als Menschen mit Emotionen, Zweifeln und Problemen darstellen.

Elke Gryglewski stellte fest, dass Jugendliche mit dem Gestus an den historischen Ort gebracht würden, um ihnen durch einen verordneten Besuch demokratisches Bewusstsein zu vermitteln. Zudem bestünden in Ost- und Westdeutschland weiterhin verschiedene Erinnerungskulturen, die durch Lehrkräfte repräsentiert werden. So würde beispielsweise im Westen eher die Rolle der Männer um Stauffenberg betont, während in einer Ostperspektive der kommunistische Widerstand hervorgehoben würde. Aus solchen Konstellationen können Erinnerungskonflikte entstehen. Gryglewski knüpfte mit diesem Hinweis an ihre Rede im Rahmen der Podiumsdiskussion an, indem sie die Rolle der Lehrkräfte bei der Geschichtsvermittlung betonte.

Aus dem Publikum wurde von einer Lehrerin geäußert, dass es gerade angesichts der momentanen politischen Entwicklung wichtig sei, die Bedeutung des Geschichtsunterrichts herauszustellen und für seine Rolle zu streiten.

Zu den Ergebnissen der Diskussion, die Arne Pannen (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen) in der gemeinsamen Abschlussrunde als sogenannter Critical Friend zusammenfasste, gehörte, dass Erinnerungskonflikte als Chance betrachtet werden können, wenn ihrer Bearbeitung ausreichend Zeit eingeräumt wird. Ein Teil dieser Konflikte beruhe auf unterschiedlichen Erinnerungskulturen in Ost- und Westdeutschland. Pädagogische Bildner_innen müssten für die Diskussion Räume öffnen.

Workshop 2: Erinnerungskonflikte im Kontext größerer gedenkstättenpädagogischer Projekte

Moderation: Christine Müller-Botsch (stellvertretende Leiterin Historisch-Politische Bildungsarbeit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand).
Teilnehmende Kolleg_innen aus Gedenkstätten: Dr. des. Andrea Prause (Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen), Katja Anders (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen), Dr. Matthias Heyl (Leiter der Bildungsabteilung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück), Juliane Haubold-Stolle und Gesine Klintworth (Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde).

Die Präsentation zu Beginn des Workshops kam von Andrea Prause. Sie stellte eine Virtual Reality-Brille (VR) vor, die mittels eines abspielbaren Films einen emotionalen Zugang zu Haft- und Verhörsituationen in der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in der DDR ermöglichen soll. Eingesetzt würde der Film in Jugendseminaren der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Es gäbe, so Frau Prause, noch einen weiteren Film, der die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg thematisiert. Dieser Film würde im Rahmen eines Demokratieerziehungsprojekts gegen Linksextremismus eingesetzt. Zum Ausprobieren des Films waren VR-Brillen vorhanden. Über die Brillen konnte ein gut achtminütiger Film in dreidimensionalem Format aus der Perspektive des Häftlings angesehen. Die Verhörsituation ist aus dem Buch „Vernehmungsprotokolle“ des verstorbenen DDR-Oppositionellen Jürgen Fuchs entnommen. Gewaltszenen werden nicht gezeigt, allerdings ist das Erlebnis, durch einen Verhöroffizier der Staatssicherheit angeschrien zu werden, durchaus eindrücklich.

Im Anschluss an das individuelle Filmscreening entstand sofort eine lebhafte fachliche Diskussion. Deren kontroverser Charakter verdient es, da Grundlagen des Verständnisses historisch-politischer Bildung debattiert wurden, ausführlich dargelegt zu werden. In einer ersten Rückmeldung wurde dem Projekt Überwältigungspädagogik vorgeworfen. Diese resultiere aus der Dichte der Präsentation und der gewollten Emotionalisierung. In einer weiteren Meldung wurden die starke normative Aufladung und der lineare Charakter des Films über ein Medium kritisiert, das für Modernität und Interaktivität stände. Es würde über die Verhörsituation eine Aura geschaffen, die dort nicht angemessen wäre. Frau Prause rechtfertigte ihre Position, indem sie darauf verwies, es habe bisher seitens der Schüler_innen keine Rückmeldung gegeben, die darauf hinweist, die Jugendlichen könnten sich überwältigt fühlen. Der niedrigschwellige Zugang hätte sich im Gegenteil positiv bestätigt. Zudem warf sie die Frage auf, wie historische Bildung nach dem Sterben der Zeitzeugen aussehen solle, wenn sie nicht zum Frontalunterricht zurückwolle. Allerdings würde sie das Format nicht für das Thema Nationalsozialismus nutzen, schon alleine, weil die Verhörsituation nicht mit der in einem Konzentrationslager vergleichbar wäre. In einer zweiten Runde der Rückmeldungen wurde kritisch geäußert, dass zum historischen Lernen die Imagination gehören würde. Die Situation mit der VR-Brille stelle dieses Moment infrage. Zudem wurde gefragt, wie Jugendliche die gezeigte Haftsituation einordnen sollen. In der Regel würden ihnen Vergleichsmaßstäbe fehlen, um zu beurteilen, ob die gezeigte Situation von ähnlichen in einem anderen politischen System abweichen würden. Bemerkenswert war die breite fundamentale Kritik an dem Projekt der Gedenkstätte Hohenschönhausen, die auch aus dem Kreis von Vertreter_innen anderer Gedenkstätten geäußert wurde. Eine Vermittlung der unterschiedlichen Perspektiven auf fachliche Ansprüche in der Bildungsarbeit und den damit verbundenen normativen Positionen schienen in der gegebenen Situation nicht möglich.

Juliane Hauboldt-Stobbe und Gesine Klintworth stellten im Workshop das Pilotprojekt „Deutsch lernen und Geschichte entdecken“ der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde vor. Das Projekt verbindet innerhalb von Orientierungs- und Integrationskursen den Spracherwerb mit der Vermittlung von Migrationsgeschichte. Das Sprachniveau entspricht B1. Ein Ziel sei es, den scheinbaren Dualismus zwischen deutscher Geschichte und Migrant_innen aufzulösen. Das Angebot ist kostenfrei.

Das senatsgeförderte Projekt besteht aus vier Bausteinen:

  • Ein vierstündiges Seminar mit Führung und Begleitaufgaben sowie eine Vertiefungsübung anhand von Objekten, die durch die Teilnehmenden ausgewählt werden und mit dem Sprechen über eigene Erfahrungen verbunden werden. Dabei würden erfahrungsgemäß die Teilnehmer_innen häufig Verbindungslinien zwischen eigenen Migrationserfahrungen und deutsch-deutscher Migration ziehen.
  • Unterrichtsmaterial auf Sprachkarten zu den Themen Migration und Flucht sowie unterschiedliche Quellen in Form von Texten, Fotos und Karten zur deutschen Teilung und zur Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Dazu existiert eine Handreichung mit Unterrichtsvorschlägen für die Vor- und Nachbereitung eines Besuchs in der Erinnerungsstätte.
  • Eine Bildungsbox mit sechs Objekten zu verschiedenen Migrationsgeschichten nach 1945 erlaubt die vertiefte Auseinandersetzung. Die Objekte repräsentieren drei Geschichten von DDR-Bürgern und jeweils eine Geschichte zu Arbeitsmigration, Aussiedler_innen und politischem Asyl.
  • Als viertes Element wird eine Webseite angeboten, auf der Zusatzinformationen zum Programm sowie Videos zum Thema „Wie kommt ein Objekt ins Museum“ gezeigt werden.

Die weiteren Präsentationen innerhalb des Workshops können an dieser Stelle nur zusammengefasst werden:

Katja Anders zeigte, dass bei internationalen Jugendbegegnungen in der Gedenkstätte Sachsenhausen unterschiedliche historische Narrative und Gedenkkulturen aufeinandertreffen können. Diese seien national geprägt, aber auch durch die Diversität der Teilnehmenden in der Begegnung und ihre unterschiedlichen Bezüge zur Geschichte beeinflusst. Dabei entständen nur selten Konflikte. Die Begegnung mit anderen Erzählungen könne vielmehr zur Erweiterung des Geschichtsbewusstseins der Jugendlichen beitragen, etwa, wenn sie sich mit historischen Ereignissen auseinandersetzen, die nicht im Fokus der eigenen Gedenkkultur stehen. Dabei könnten sie durch die Beschäftigung mit anderen Perspektiven auf die Geschichte erst die Besonderheit der eigenen erkennen.

Dr. Irmgard Zündorf (Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam), die als „Critical Friend“ in der Sektion fungierte, fasste im späteren Abschlussplenum zusammen, dass in der weiteren Diskussion vor allem auf die Notwendigkeit der Reflexion der eigenen Arbeit hingewiesen wurde. Heterogenität der Zielgruppen sei nicht als Problem, sondern als Möglichkeit zu betrachten.

Workshop 3: Umgang mit Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in NS- und SBZ/DDR-Gedenkstätten

Moderation: Dr. Ines Reich (Leiterin der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam).
Teilnehmende Gedenkstätten: Gedenkstätte Berliner Mauer, Gedenkstätte Sachsenhausen (Gedenkstättenlehrer), Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam.

Dr. Katrin Passens konstatierte eine hohe Präsenz von Zeitzeug_innen in der Vermittlung von Zeitgeschichte. Sie würden häufig als Teil einer Authentifizierungsstrategie medial in historischen Dokumentationen eingesetzt. Gerade in Seminarsituationen wäre die notwendige Quellenkritik, auch an Zeitzeugenberichten, herausfordernd, da ein hohes Maß an gegenseitigem Respekt geboten sei. Zudem könnten Äußerungen in Konflikt zu anderen Narrativen geraten, die Jugendliche aus der Familie oder der Schule kennen. Daraus ergeben sich Fragen und Aufgaben an die Vor- und Nachbereitung von Zeitzeugengesprächen sowie an die Möglichkeiten von Bildungsarbeit an Gedenkstätten.

Uwe Graf, der als Gedenkstättenlehrer an der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen tätig ist, zeigte einen Filmausschnitt aus einem Schülerprojekt, das in Zusammenarbeit mit waidak  media eV. Durchgeführt wurde. die Aussage einer Augenzeugin. Deutlich wurde dabei die Problematik einer möglichen „Überpräsenz“ durch die befragten Zeitzeugen und dadurch die Gefahr einer einseitigen Darstellung des historischen Geschehens.

In der Vorbereitung dieses Workshops entschied sich die Moderationsgruppe für eine offene Diskussionsrunde, die jedem Teilnehmer die Möglichkeit gab, sich einzubringen. Es entstand, angeregt durch Zitate zum Thema Zeitzeuge und Geschichtswissenschaft / Unterricht, ein sehr reger und produktiver Austausch von Erfahrungen und Anregungen. Am Ende des Workshops wurde dieser durch von den Teilnehmer_innen als sehr positiv eingeschätzt.

Im Abschlussplenum berichtete Dr. Carola S. Rudnick, Gedenkstätte „Euthanasie“-Anstalt Lüneburg, als „Critical Friend“ aus der Workshop-Diskussion. Zur Sprache kam als Erwartung an die Gedenkstätten der Wunsch nach Unterstützung bei der Vorbereitung von Zeitzeugengesprächen. Dazu sollten kompakte Materialien bereitgestellt werden, aber auch die Methode der Oral History an sich problematisiert und die Spannung zwischen Subjektivität und Narrativ herausgearbeitet werden. Zeitzeugenführungen seien von Zeitzeugengesprächen zu trennen. Zeitzeugengespräche sollten sich zudem stärker an den Fragen der Schüler_innen orientieren, um Jugendliche nicht zu überwältigen. Dabei sei zudem die Entsakralisierung von Zeitzeugen notwendig. Darüber hinaus wurde sich mehr Diversität im Angebot (Bystander, Täter, Opfer, Zuschauer, Mitläufer …) gewünscht.

Workshop 4: Umgang mit medialer Prägung

Moderation: Prof. Dr. Axel Klausmeier (Gedenkstätte Berliner Mauer).
Vorstellende Teilnehmer_innen: Dr. Martin Brendebach (Medienpädagoge), Elena Demke (Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR im Land Berlin), Holger Kulick (Bundeszentrale für politische Bildung) sowie Christine Wehner (Anne Frank Zentrum). Die angekündigte Vorstellung des Menschenrechtszentrums Cottbus musste wegen Krankheit des Kollegen entfallen.

Das Lerntool „Flucht im Lebenslauf“ des Anne Frank Zentrums wurde in den Jahren 2016/2017 für Jugendliche ab 14 Jahren und junge Erwachsene entwickelt. Die Teilnehmenden befassen sich in der Arbeit mit dem komplexen Thema Flucht über Fluchtursachen, historischen Fluchterfahrungen und mit den biografischen Einschnitten, die das erzwungene Verlassen des eigenen Landes mit sich bringt. Dazu gehören auch die eingeschränkten Entscheidungsspielräume von flüchtenden Menschen. Weiterhin wird Flucht in den Kontext von Rassismus und Antisemitismus gestellt, die Fluchtgründe sein können, aber auch Erfahrungen, die Flüchtende in den Aufnahmeländern machen. Dabei wird anhand der Biografien von drei Geflüchteten Menschen – Anne Frank aus Deutschland, Hava aus dem Kosovo und Marah aus Syrien – ein lebensweltlicher Bezug hergestellt, um Jugendliche zur Reflexion der eigenen Position anzuregen. Das Material beinhaltet neben einem Trailer drei Filmclips zu den Protagonistinnen. Das Bildungsmaterial wird kostenlos abgegeben und eignet sich sowohl für einen fünfstündigen Projekttag als auch einen 90-minütigen Block.

Im Projekt „Grenzgänger des Kalten Krieges“, vorgestellt von Elena Demke, wird der historische Spielfilm „Bridge of Spies“ zum Thema Agentenaustausch zwischen Ost und West von Steven Spielberg eingesetzt. Die medienkritische Arbeit mit dem Film soll Jugendliche über Gegenwartsbezug und Handlungsorientierung zu einer besseren Reflexion der eigenen medialen, aber auch familiären Bilder der DDR befähigen.

Dr. Jürgen Bretschneider (Filmernst.de) fungierte in diesem Workshop als „Critical Friend“. Die Teilnehmenden hätten in der Diskussion, so Bretschneider, Medien grundsätzlich als Chance der Geschichtsvermittlung betrachtet. Durch die Mischung von Emotionalität und Unterhaltung könnten Spielfilme Denkräume bei Jugendlichen eröffnen. Die Quellenkritik und die Form des Mediums sollten bei allen vorgestellten Projekten zentrale Momente sein. Dementsprechend wäre in der Arbeit mit Filmausschnitten, die Herr Brendebach vorgestellt hat, zu diskutieren, wie sich die ursprüngliche Aussage durch Weglassungen verändert. Als Frage stand im Raum, mit welchen kreativen Wegen junge Nutzer_innen an Originalquellen herangeführt werden können.

Schlussbetrachtung

Das diesjährige 14. Berlin-Brandenburgische Forum zur zeitgeschichtlichen Bildung war in verschiedener Hinsicht eine bemerkenswerte Veranstaltung. Die Publikumsbeteiligung war im Vergleich zu anderen Foren, die der Berichterstatter erlebt hat, höher. Verschiedene Lehrkräfte merkten den Bedarf an, durch Gedenkstätten bei der Vor- und Nachbereitung eines Besuchs mit Schulklassen stärker unterstützt zu werden. Auch entsprechende Materialien hierfür wurden gewünscht. Da dieses Thema auch in Einzelgesprächen anklang, scheint hier ein dringender Bedarf zu bestehen. Eine vertiefende Diskussion über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Unterstützung von Lehrkräften scheint daher angezeigt. Positiv zu vermerken ist auch die Beteiligung einer fortgeschrittenen Schülerin an der Eingangsdiskussion. Hieran anzuknüpfen bietet sich für künftige Veranstaltungen an. Gleichzeitig wird hier eine grundsätzliche Herausforderung an die zeitgeschichtliche Bildung deutlich: Die Frage danach, wie sich bildungsbenachteiligte Jugendliche besser erreichen lassen und welche Formen es gibt, diese Jugendlichen in ein Format wie dem Forum zur zeitgeschichtlichen Bildung einzubinden oder zu repräsentieren.

Deutlich wurde, die Wichtigkeit der Selbstreflexion von Pädagog_innen im Umgang mit Erinnerungskonflikten sowie die Orientierung an den je unterschiedlichen Bedürfnissen und Fragen der Teilnehmenden.

Die kritischen Rückmeldungen zeigten auf, welchen Stellenwert das kollegiale Korrektiv haben kann, wenn es darum geht fachliche Maßstäbe in der Vermittlungsarbeit einzuhalten und auf methodisch-didaktische Probleme hinzuweisen. Es hat sich gezeigt, dass das Forum zur zeitgeschichtlichen Bildung hierfür ein Ort sein kann.

Ein kritisches Wort geht an die Struktur der Abschlussdiskussion. Die Berichte der Critical Friends aus den Workshops nahmen viel Zeit ein. Das führte dazu, dass für eine gemeinsame Diskussion kaum Zeit blieb. Damit ist ein Problem benannt, das viele Tagungen betrifft. Häufig leiden deren Abschlüsse ohnehin unter einer Abstimmung mit den Füßen, d. h. die Teilnehmer_innenanzahl nimmt am Ende deutlich ab. Hier nach Formaten zu suchen, die den Mehrwert einer Abschlussdiskussion deutlich machen, die dann tatsächlich die Teilnehmenden einbezieht, erscheint lohnenswert. Eine stärkere Einbindung des Publikums zulasten von Expert_innenaussagen wäre an dieser Stelle wünschenswert und könnte einen Raum schaffen, um die anwesenden Lehrkräfte noch einmal stärker zu integrieren. 

 

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