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Tagungsbericht: „Erinnern an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus – Brückenschlag in Gegenwart und Zukunft“

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Christin Sandow M.A. und Dr. Stefanie Steinbach sind wissenschaftliche Volontärinnen an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin.

Von Christin Sandow und Stefanie Steinbach

Der eintägige Workshop „Erinnern an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus – Brückenschlag in Gegenwart und Zukunft“, veranstaltet von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, in Kooperation mit der Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung und dem Institut für Didaktik der Demokratie der Leibniz-Universität Hannover, widmete sich den Herausforderungen und Möglichkeiten, die das Thema für den Schulunterricht – v.a. für die Fächer Geschichte, Politische Weltkunde, Deutsch, Ethik Religion – mit sich bringt.

Der Workshop stand in Verbindung mit dem von den Veranstaltern gemeinsam ins Leben gerufenen Bildungsprojekt „Das Thema ‚Widerstand im Unterricht‘“ und richtete sich an Praktiker_innen und Wissenschaftler_innen der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit. Zentral waren die Fragen danach, inwieweit die Auseinandersetzung mit dem Widerstand im Unterricht Wissen und Orientierungen für gegenwärtige Lebenswelten und die Gestaltung unserer Gegenwart und Zukunft bereitstellen kann und wie sich das Lernen über den Widerstand mit demokratie- und menschenrechtsbildenden Aspekten verbinden lässt. Der Austausch über den schulischen Alltag und das Zusammenspiel schulischer und außerschulischer bzw. gedenkstättenpädagogischer Bildungsangebote war ein wesentliches Element des Workshops, um den Bedarf für die Weiterentwicklung des Angebots für die praktische Umsetzung im Unterricht ermitteln zu können.

In seinen einleitenden Worten fragte Prof. Dr. Johannes Tuchel (Gedenkstätte Deutscher Widerstand) nach Gegenwartsbezügen des Widerstands und verwies unter anderem auf die Instrumentalisierung bestimmter Symboliken und Ideen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Ein Beispiel dafür sei die „Wirmer-Fahne“, der von dem christlichen Widerstandskämpfer Josef Wirmer entworfenen schwarz-rot-goldenen Flagge mit eingefasstem Kreuz, die aktuell auch auf Demonstrationen der PEGIDA-Bewegung getragen wird. 

Prof. Dr. Frieder Meyer-Krahmer (Goerdeler-Stiftung) betonte, der Widerstand solle nicht nur in der Rückschau betrachtet werden, sondern ebenfalls auf dessen Bedeutung für heutige Gesellschaftswirklichkeiten geprüft werden. Für diesen im Unterricht stattfindenden Brückenschlag bat er die Teilnehmer_innen, sich darüber auszutauschen, was für Erfahrungen es mit dem Thema ‚Widerstand‘ im Unterricht gäbe und welcher Unterstützung seitens der Gedenkstätte oder der Goerdeler-Stiftung wünschenswert wäre.

Im Anschluss daran stellte Dr. Christine Müller-Botsch (Gedenkstätte Deutscher Widerstand) den Lernort Gedenkstätte vor und erläuterte sowohl die Konzeption der Ausstellung als auch die Merkmale der historisch-politischen Bildungsarbeit vor Ort, die sich besonders in zwei Seminarformaten an Schulklassen aber auch andere Gruppen richtet. Im „Rundgang mit Ausstellungserkundung“ und im „Rundgang mit vertiefender Materialrecherche“ werden ausgehend von den Vorkenntnissen und Interessen der Besucher_innen Bedingungen und Formen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus vorgestellt und besprochen. Anhand ausgewählter Themenschwerpunkte werden verschiedene Bereiche der Ausstellung mit biografischen Mappen in Kleingruppen erkundet. Das Multiplikator_innenseminar stellt die Gedenkstätte als Lernort vor: präsentiert werden Dauerausstellung, Begleitmaterialien und Seminarprogramm. Bei einer Führung durch die Gedenkstätte kann aus verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten ausgewählt werden. Ergänzt wurde der Vortrag von geführten Rundgängen durch Teilbereiche der Dauerausstellung der Gedenkstätte durch Dr. Christine Müller-Botsch, Dr. Andrea Heubach und Sabine Sieg. Hier konnten die Teilnehmer_innen anhand der Bereiche „Wege zum 20. Juli“, „Widerstand von Jugendlichen“ und „Widerstand im Kriegsalltag“ einen Einblick in die Konzeption und den Aufbau der Ausstellung gewinnen.

Dr. Moritz Peter Haarmann (Institut für Didaktik der Demokratie, Leibniz-Universität Hannover) ging in seinem Vortrag „Widerstand im Unterricht. Ein didaktisches Konzept zur Förderung demokratischer und widerstandsethischer Werte“ auf die Erforschung von Lernbedingungen und die Demokratiebildung in der angewandten Didaktik ein. Für die Vermittlung des Widerstands im Unterricht sah er verschiedene Zielsetzungen und geschichtsdidaktische Herausforderungen, die sich entlang des Umgangs mit ambivalenten Haltungen, historischen Lebenswegen und unterschiedlichen Sozialisationen der Widerstandskämpfer_innen bewegen. Am Beispiel der gegensätzlichen Haltungen der späteren Weggefährten Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Adam von Trott zu Solz illustrierte er die Heterogenität der Widerstandsmotive, verwies aber zugleich auch auf Überschneidungen.

Als einen Kernpunkt interdisziplinärer didaktischer Vermittlung von Widerstandskompetenz betrachtete Haarmann die „doppelte Subjektorientierung“, also sowohl den Blick auf die Situation und Lebenswirklichkeit der Lernenden, als auch den historischen Blick auf die Personen des Widerstands, die keine passiven Objekte waren. Darüber hinaus betonte er ebenfalls die Wichtigkeit des Bezugs auf die gesellschaftlichen Schlüsselprobleme (u.a. Nationalismen, Fremdenfeindlichkeit, Fundamentalismus sowie Vertreibung und Flucht) als Brücke zwischen gestern und heute. 

Bei der anschließenden Diskussionsrunde kreisten die Beiträge um den Bedarf von Jugendlichen an Orientierungen und dem Interesse an den unterschiedlichen Erinnerungskulturen in beiden deutschen Staaten nach 1945. Eine Diskussion entspann sich über den Unterschied zwischen Widerstands- und Demokratiekompetenz und einer Definition beider Begriffe, die für eine konkrete Anwendung im Unterricht hilfreich wäre.

Der Nachmittag stand im Zeichen des Austausches mit den Lehrerinnen und Lehrern über Erfahrungen, Ideen und eventuellen Unterstützungsbedarf zum Thema. Auf großes Interesse stieß der Impulsvortrag „Erfahrungen mit dem baden-württembergischen Landesbildungsserver als Lernplattform für Lehrer und Schüler“ über das Modell des baden-württembergischen Landesbildungsserver als Lernplattform für Lehrer und Schüler von Oberstudienrätin Dr. Ines Mayer und Studiendirektor Dieter Grupp (Landeskundebeauftragte am Kultusministerium Baden-Württemberg).

Die circa 40 Landeskundebeauftragten erstellen Unterrichtsmodule, organisieren Fortbildungsveranstaltungen und treiben die Vernetzung mit Museen, Gedenkstätten, Archive etc. voran. Grundsätzlich basieren die vorgeschlagenen Unterrichtsmodule auf den Grundprinzipien der Exemplarität und der Proprietät. Neben exemplarischen Fallbeispielen werden zusätzlich spezielle regional geprägte Entwicklungen vorgestellt. Ausgelegt sind die durch eine Niveaudifferenzierung für alle Schularten geeigneten Unterrichtsmodule auf jeweils zwei Doppelstunden. Um außerschulische Lernorte einzubeziehen, werden Vorschläge für Exkursionen beziehungsweise für das Einbeziehen des Lernortes in den Unterricht gemacht. Die angebotenen Unterrichtsmodule stehen allen Lehrer­_innen und Schüler_innen online unter www. Landeskunde-bw.de kostenfrei zur Verfügung.

Dr. Karlheinz Lipp (Schulberater aus Berlin) beschäftigte sich in seinem Vortrag „Zur Entwicklung von Gegenwartsbezügen beim Thema ‚Widerstand gegen den Nationalsozialismus‘“: Erfahrungen und Ideen aus dem Unterricht“ mit verschiedenen Möglichkeiten, Widerstand mit demokratie- und menschenrechtsbildenden Aspekten zu verbinden. Als mögliche Zugänge zum Thema regt er die Vermittlung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie die Beschäftigung mit Organisationen an, die sich für Menschenrechte oder gewaltfreie Konfliktlösungen engagieren. Auch Auszeichnungen für Personen und Gruppen, die sich in diesen Bereichen engagieren oder Jubiläen, wie z. B. der 70. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte, können als Aufhänger zum Einstieg in die Thematik genutzt werden. Ein institutioneller Zugang z.B. durch die Auseinandersetzung  mit den Positionen der heutigen Friedensbewegung oder der Deutschen Friedensgesellschaft können ebenfalls hilfreich sein. Als Möglichkeit Zivilcourage gegen den Nationalsozialismus mit einem Gegenwartsbezug zu behandeln führte der Referent die Beschäftigung mit Whistleblowern als zeitgenössischen biografischen Zugang an. 

Gedankenaustausch  und Abschlussrunde

Im Anschluss an die beiden Impulsreferate wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, um einen intensiveren Erfahrungsaustausch über Ideen und Praxis der Teilnehmer_innen untereinander zu ermöglichen und den Bedarf an zusätzlichen Bildungsangeboten zu ermitteln. Bei der Präsentation der Diskussionsergebnisse zeigte sich, dass für den Unterricht ein lokaler Bezug zum Widerstand beziehungsweise zur gegenwärtigen Lebenswelt der Schüler_innen oft als hilfreich betrachtet wird. Biographisches Material über Menschen, die heute Zivilcourage zeigen oder das Einbeziehen von Migrationserfahrungen wurden als Möglichkeiten genannt. Fächerübergreifende Projekte und außerschulische Kooperationspartner, die in die Schulen kommen, waren weitere Anregungen.

Im  abschließenden Resümee verwies Prof. Dr. Steinbach (Gedenkstätte Deutscher Widerstand) auf den Spagat zwischen der Tradierung von Wissen und der ständigen Infragestellung desselben, den Lehrer_innen im Unterricht bewältigen müssten. Die Gegenwart könne nicht ohne Rückschau auf die historischen Geschehnisse befragt werden, es sei aber auch wichtig, in einer pluralistischen Gesellschaft unter demokratisch-historischer Perspektive, Partei zu ergreifen für Menschen, die vom Staat bedrängt und von der Gesellschaft allein gelassen würden. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus sei deshalb, so schlussfolgerte der wissenschaftliche Leiter der GDW, keine antike Geschichte. Die Beschäftigung damit sei auch immer mit dem Anspruch verbunden, heterogene Haltungen und Verhaltensweisen nachzuzeichnen, welche durchaus  Aktualitätsbezüge aufweisen können.

Einem Impuls aus dem Plenum folgend, plant die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Zusammenarbeit mit ihren Kooperationspartnern im nächsten Jahr für Interessierte ein weiteres Treffen anzubieten, auf dem es um die Weiterentwicklung des Projekts „Widerstand im Unterricht“ und um die Umsetzung der diskutierten Fragen in der praktischen Vermittlung gehen soll. 

 

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