Willkommenskultur in Gedenkstätten
Von Frederik Schetter
Historisch-politische Bildung zum Thema Nationalsozialismus ist mitunter schwer verkraftbar. Bei der Vermittlung ist von Pädagog_innen und Multiplikator_innen daher ein hohes Maß an Sensibilität geboten. Diesem Aspekt kommt eine besondere Bedeutung zu, wenn es sich bei den Besucher_innen von Gedenkstätten und historischen Lernorten um – zudem oftmals junge – Personen handelt, die selbst Flucht, Vertreibung und Gewalt erfahren haben. Die in den letzten Jahren gestiegene Anzahl von Geflüchteten in Besuchergruppen der historisch-politischen Bildungslandschaft ist kein grundsätzlich neues Phänomen. Vor ähnlichen Herausforderungen stand man beispielsweise bereits in den 1990er Jahren vor dem Hintergrund der militärischen Konflikte auf dem Balkan. Damals wie heute galt bzw. gilt es, historisch-politische Bildungsangebote im Hinblick auf Problematiken wie mögliche (Re-)Traumatisierungen von Geflüchteten genauer unter die Lupe zu nehmen, zu hinterfragen und Perspektiven für das außerschulische Lernen zu entwickeln.
Reflexion, Vernetzung und Problematiken der alltäglichen Arbeit
Diesen Ansatz verfolgt seit 2016 das am Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster ansässige und zusammen mit der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund betriebene Projekt „Willkommenskultur in Gedenkstätten“ (kurz: „Willkommensstätten“). Gegründet von Multiplikator_innen der historisch-politischen Bildungsarbeit und gefördert von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen „sollen Wissen und Erfahrungen gesammelt, Problemfälle dokumentiert, Best-Practice-Projekte vernetzt, Gedenkstättenmitarbeiter interdisziplinär geschult und in Handlungsunsicherheiten beraten werden“.
Einen ersten Überblick über unterschiedliche (Weiter-)Bildungsangebote und einen Einblick in die Arbeitspraxis von „Willkommensstätten“ bietet vor allem die Website. Hier lassen sich aktuelle Veranstaltungshinweise oder Interviews mit in unterschiedlichen Bereichen der Geschichtsvermittlung tätigen Personen finden. So organisierte „Willkommensstätten“ beispielsweise eine Workshop-Tagung zum Thema „Erinnerungskultur und Fluchterfahrung“ für Multiplikator_innen aus Gedenkstätten und Museen. Bei dieser ging es sowohl um eine Einordnung der Herausforderungen und Chancen für die außerschulische Geschichtsvermittlung als auch um die Auseinandersetzung mit Aspekten der alltäglichen Arbeit wie der Frage, wie Sprachbarrieren überwunden werden können.
Begegnung unterschiedlicher Perspektiven aus Zeitgeschichte und Gegenwart
Ein Interview mit der Künstlerin und Projektmanagerin Anna Zosik beleuchtet „Eindrücke sowie Potentiale von kunstpädagogischen Projekten an Erinnerungsorten“. Zosik hebt dabei hervor, dass der Wahl des Zeitpunkts eines Gedenkstättenbesuchs – zum Schutz vor einer Retraumatisierung nicht zu früh – sowie einem interdisziplinär geschulten Team mit entsprechenden sozialen und sprachlichen Kompetenzen eine zentrale Rolle zukommt.
Thematisch und methodisch interessant sind zudem die von „Willkommensstätten“ organisierten Veranstaltungen zum Thema Flucht. In diesen begegnen sich Zeitgeschichte und Gegenwart, werden unterschiedliche Perspektiven eingenommen und einzelne Aspekte näher beleuchtet. So organisierte das Projekt beispielsweise zuletzt einen Gesprächsabend mit einem Holocaust-Überlebenden und einer Geflüchteten aus Aleppo. Workshops und Beratung für Lehrer_innen bzw. Lehramtsstudierende komplettieren das Angebotsspektrum des noch jungen Projekts.
Zusammenfassung
Das Projekt „Willkommenskultur in Gedenkstätten“ reflektiert historisch-politische Bildungsangebote von Gedenkstätten und historischen Lernorten im Hinblick auf eine gesteigerte Anzahl von Besucher_innen mit Flucht- und Gewalterfahrungen. Es bietet historisch-politischen Bildner_innen zudem Hilfestellung bei Handlungsunsicherheiten und stellt so sowohl eine theoretisch- als auch eine praxisorientierte Anlaufstelle für die Weiterentwicklung von historisch-politischer Bildung in einer pluralistischen und dynamischen Gesellschaft dar.
Weitere Informationen lassen sich auf der Homepage oder auf der Präsenz des Projektes auf Facebook finden. Kontakt kann über die Emailadresse info [at] willkommensstaetten [dot] de aufgenommen werden, weitere Kontaktdaten finden Sie hier.
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- 24 Mai 2017 - 07:33