Von Christian Schmitt

Stalins Gewaltherrschaft ist auf der Kinoleinwand oft rezipiert worden. Bekannte Beispiele aus den USA sind die Biografie "Stalin" oder der Film "Kind 44", dessen Ausstrahlung 2015 in Russland vorübergehend verboten war. 1995 mit einem Oscar ausgezeichnet, spielt einer der erfolgreichsten russischen Filme aller Zeiten in der Sowjetunion am Vorabend des Großen Terrors. „Die Sonne, die uns täuscht“ (Englisch: „Burnt by the Sun“) von Regisseur Nikita Michalkow erzählt die Geschichte einer sozialistischen Vorzeigefamilie, die 1936, kurz vor Beginn der Schauprozesse, ins Visier des sowjetischen Geheimdienstes gerät.

Dunkle Wolken über der ländlichen Idylle

Sergej Kotow führt ein Leben, von dem viele Menschen träumen: Mit seiner liebevollen Frau Marija und Tochter Nadia wohnt der hochrangige Militär in Marijas idyllischem Elternhaus auf dem Land. Die drei teilen sich das Anwesen mit ihrer lebhaften Verwandtschaft, in deren Mitte niemals Langeweile herrscht. Und nicht zuletzt ist Sergej ein landesweit verehrter Revolutionsheld, dessen Porträt jedem Sowjetbürger wohlvertraut ist. Der gutmütige Charismatiker verbringt freie Tage am Fluss, fußballspielend im Wald oder im geselligen Wohnzimmer des Hauses, immer im Kreise der Familie. In ihrer aufgeschlossenen Art heißt diese auch den Neuankömmling willkommen, der eines Tages an der Tür erscheint: Dimitrij Mitja ist ein alter Freund der Kotows und zieht die Familie, allen voran die kleine Nadia, mit seiner fröhlichen und einehmenden Art schnell in seinen Bann. Sergej und Marija jedoch sind von seiner Ankunft weniger begeistert. Wie der_die Zuschauer_in nach und nach erfährt, waren Marija und Dimitrij einst ein Paar. Das war, bevor Sergej seinen Einfluss nutzte, um den Konkurrenten für Spionagetätigkeiten des NKWD ins Ausland zu schicken.

Und so stürzt der Gast seine ehemalige Geliebte in ein Gefühlschaos, während ihrem Ehemann seine unterschwelligen Provokationen nicht verborgen bleiben. Um des allgemeinen Friedens Willen macht Sergej dennoch gute Miene zum bösen Spiel. Als er Dimitrij nach wenigen Tagen trotzdem bittet abzureisen erfährt er den wahren Grund für dessen Besuch: Ein Auto des Geheimdienstes ist bereits auf dem Weg, um den Nationalhelden nach Moskau zu bringen.

Bedrohlich wie Robert de Niro in „Kap der Angst“

Mit ihrer beherzten Darbietung ziehen die Schauspieler_innen das Publikum ab der ersten Minute in ihren Bann. Früh stellt sich Sympathie für die Familie Kotow ein, insbesondere der von Nikita Michalkow selbst verkörperte Sergej und die aufgeweckte Nadia – gespielt von Michalkows Tochter Nadeshda – dürfen sich der Gunst der Zuschauer_innen sicher sein. Auch die liebenswert verrückte Verwandtschaft vermag einem immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, wenngleich der Film hier mitunter ins Klamaukige abzudriften droht.

Oleg Menschikow überzeugt in der Rolle des Dimitrij, der stets freundlich auftritt und dennoch etwas Unangenehmes verkörpert. Exemplarisch steht hierfür die Szene, in der Dimitrij am Klavier sitzt und die ganze Familie ausgelassen zu seinem Spiel tanzt. Als Sergej in der Tür erscheint, wirft der Musikant ihm einen Blick zu, der, von allen anderen unbemerkt, nur eines signalisiert: „Ich nehm´ dir alles weg!“. Damit ist er eine Art „Anti-Max-Cady“: Während der von Robert de Niro legendär gespielte Cady in „Kap der Angst“ als aggressiver Stalker in das Leben einer Familie eindringt, tut Dimitrij Mitja dies auf wesentlich subtilere, aber – zumindest für Sergej – kaum weniger bedrohliche Weise. Spätestens, als er Sergej im Wald einzuschüchtern versucht, ist klar, dass er stellvertretend für die bevorstehenden Exzesse von Verrat, Verleumdung und Gewalt steht – im Namen Stalins, der im Film allgegenwärtig ist.

Paradiesische Sowjetunion vor dem Großen Terror: Verklärung oder Kontrast?

Ähnlich wie Roberto Begninis Holocaust-Drama „Das Leben ist schön“ ist auch „Die Sonne, die uns täuscht“ zunächst heiteres Familienkino. Erst nach und nach merkt der_die Zuschauer_in, dass Unheil im Verzug ist und die ländliche Sommeridylle bald ein Ende haben wird. In dieser Idylle liegt übrigens die einzige Schwäche des Films: Nikita Michalkow zeichnet die Sowjetunion am Vorabend des Großen Terrors in bald schon paradiesischen Verhältnissen. Hier stößt man ausschließlich auf glückliche Menschen, denen Mangel ein Fremdwort zu sein scheint. Selbst die umliegenden Bäuerinnen und Bauern präsentieren sich als gutmütige Trottel mit nahezu nichtigen Problemen. Möglicherweise – dies legt zumindest der Titel nah – hat sich Michalkow bewusst für eine solch kontrastreiche Darstellung entschieden, um die dunklen Schatten, die Stalins Diktatur im Sommer 1936 wirft, deutlicher hervorzuheben.

Von dieser Unklarheit abgesehen ist der toll gespielte Film mehr als sehenswert und transportiert eindrucksvoll das Gefühl aufkommenden Misstrauens, das in den Jahren 1937 und 1938 einen zentralen Platz in der Lebensrealität der sowjetischen Bürger einnehmen sollte.

„Die Sonne, die uns täuscht“ ist auf DVD bei Trigon-Film in russischer Sprache mit deutschen Untertiteln erhältlich (21 Euro). Bedauerlicherweise gibt es eine synchronisierte Fassung weder in deutscher, noch in englischer Sprache. 

 

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