Judenvernichtung und Roma-Genozid in der tschechischen Geschichtskultur
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Von Ingolf Seidel
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und an die deutsche Besatzung in Mittel- und Osteuropa ist ein komplexes Feld. Es ist geprägt von Erinnerungskonkurrenzen in der Auseinandersetzung mit dem „real existierenden Sozialismus“ und der nationalsozialistischen Herrschaft. Das gilt auch für die Tschechische Republik, die in der heutigen Form seit der Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 besteht.
In Fragen der Erinnerung und der Geschichtskultur spielen verschiedene Ereignisse hinein, welche die neuere Geschichte des Landes prägten. Dazu gehört die Besetzung durch das nationalsozialistische Deutsche Reich in zwei Etappen: Die Okkupation der tschechischen Randgebiete durch die Wehrmacht infolge des Appeasements der westlichen Mächte Großbritannien und Frankreich, das zum Münchner Abkommen vom 29. September 1938 führte. Die folgende Besetzung der „Rest-Tschechei“, so der nationalsozialistische Sprachgebrauch, bildete schließlich das Ende der tschechoslowakischen Zweiten Republik. Im slowakischen Landesteil wurde ein autoritär-klerikaler Vasallenstaat unter Führung der Partei von Jozef Tiso eingerichtet, der eng mit dem nationalsozialistischen Deutschland kooperierte. Per Erlass von Adorf Hitler vom 16. März 1939 wurde in den westlichen Landesteilen das „Protektorat Böhmen und Mähren“ errichtet, welches über einen rein formellen Autonomiestatus verfügte. Dessen erster Staatspräsident war der ehemalige Präsident des Oberverwaltungsgerichts Dr. Emil Hácha.
Zu den Folgen nationalsozialistischer Besatzung gehören immer wieder neu aktualisierte geschichtspolitische Konflikte um die Aussiedlung und Vertreibung von Deutschen vor allem in den Jahren 1945/46 (s. dazu auch Micha Brumlik: Deutsche Opfer des Zweiten Weltkriegs und die Frage der Schuld) sowie der öffentliche Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg während der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR, bzw. ČSR vor 1960) und selbstverständlich nach dem Niedergang des autoritären Staatssozialismus im Jahr 1989. Im Folgenden wird in erster Linie der geschichtskulturelle und -politische Umgang mit der Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden sowie an den Völkermord an Sinti und Roma ausschnitthaft zusammengefasst. In der Auseinandersetzung mit den tschechischen Geschichtskulturen sollten die in Deutschland bestehenden Problematiken im gesellschaftlichen Umgang mit dem Nationalsozialismus und die langjährige Erinnerungs- und Schuldabwehr mitgedacht werden.
Die seit 1948 in der ČSR herrschende Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KPČ) lehnte sich in ihrer Geschichtspolitik eng an das sowjetische Vorbild an. Die Befreiung des Landes durch die Sowjetunion wurde so zum dominierenden Narrativ und begleitet durch die Erzählung vom heldenhaften Kampf tschechischer und, in geringerem Maß, slowakischer Kommunist_innen (vgl. Bauerkämper 2012: 270). Vor allem die Auslöschung des Dorfes Lidice durch die SS als Teil der Repression nach dem Attentat tschechischer Fallschirmspringer auf Reinhard Heydrich am 27. Mai 1942, wurde zu einer nationalen Erinnerungsikone. Vor dem Hintergrund der universalistischen antifaschistischen Narrative blieb die Erinnerung an die deutsche Vernichtungspolitik an den Juden, und in noch stärkerem Maß an die Ermordung der Sinti und Roma, marginal. Allerdings wurde auch die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen tschechischen Exilregierung in London aus dem realsozialistischen Erinnerungskanon herausdefiniert. Im Gegenteil trug die Auseinandersetzung mit der deutschen antijüdischen Vernichtungspolitik seitens der KPČ zu verschiedenen Zeitpunkten offen antisemitische Züge. Im Jahr 1952 äußerte der kommunistische Staatspräsident Klement Gottwald: „Die zionistischen Organisationen und deren amerikanische Prinzipale treiben ein schändliches Spiel mit den Leiden, die Hitler und die übrigen Faschisten über die Juden gebracht haben. Man kann direkt davon sprechen, dass sie aus der Asche von Auschwitz und Maidanek Kapital schlagen wollen.“ (zit. nach Hallama 2015: 57) 1952 war das Jahr des antisemitischen Slánský-Prozesses und auch später zu Beginn der 1970er Jahre wird das antizionistisch-antisemitische Motiv wieder eine Rolle in der tschechoslowakischen Geschichtskultur spielen.
Theresienstadt - Terezín
Das Polizeigefängnis der Gestapo in der zur Bastionsfestung Theresienstadt gehörenden „Kleine Festung“ wurde ab 1940 als Ort der Verfolgung von vor allem politischen Häftlingen des tschechischen Widerstandes genutzt. Während (tschechische) Jüdinnen und Juden im Theresienstädter Ghetto in der „Großen Festung“ konzentriert und von dort nach Auschwitz deportiert wurden.
Die Gedenkstätte Theresienstadt, eingerichtet am 6.Mai 1947, also noch vor der Herrschaft der KPČ, trug anfangs die Bezeichnung „Mahnmal des nationalen Leides“ (Blodig 2005: 221). Die Erinnerungsgeschichte des Ortes war von Anfang an aufgeladen durch nationale und heldenhafte Erzählungen. Das jüdische Schicksal spielte dabei keine Rolle und wurde auch nicht in der ersten, im Juni 1949, eröffneten Dauerausstellung in der „Kleinen Festung“ erwähnt (Vgl. Hallama 2015: 80). Erste Versuche seitens jüdischen Gemeinden an die Ermordeten zu erinnern gab es bereits früh in den Jahren 1944 und 1946, doch die Bestrebungen stießen auf das Desinteresse und die Ablehnung der örtlichen Bevölkerung. Im Zuge der reformkommunistischen Bestrebungen Mitte der 1960er Jahre und im „Prager Frühling“ gab es zeitweise Veränderungen in der offiziellen Politik. So wurde nach einem Regierungsbeschluss 1968 ein Architektenwettbewerb ausgelobt, der vor allem die Ausgestaltung der Gedenkorte an jüdisches Leid in Theresienstadt zum Ziel hatte (Vgl. Hallama 2015: 109).
Nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch sowjetische Truppen kam es zu einer ideologischen Erneuerung des antifaschistischen Universalismus. Bestehende Planungen für ein Ghetto-Museum wurden, nachdem sie vorher herausgezögert wurden, wieder ad acta gelegt. Peter Hallama sieht darin den Ausdruck einer allgemeinen gesellschaftlichen „Teilnahmslosigkeit gegenüber dem jüdischen Schicksal und die Konzentration auf die – eng aufgefasste – eigene Nation“ (Hallama 2015: 141), ein Nationenbegriff, der Jüdinnen und Juden, aber auch Sinti und Roma, aus derselben hinausdefinierte. Wie in anderen Staaten des ehemaligen Warschauer Vertrages oder in vormaligen sowjetischen Teilrepubliken kam es auch in der Tschechoslowakei zu Überprüfungen der ehemaligen politischen Eliten und einer Gesetzgebung, die von antitotalitären Doktrinen geleitet war. So wurde 2007 ein Gesetz über ein „Institut zum Studium totalitärer Regimes“ verabschiedet, das „auf einer nationalistischen Gedächtnispolitik [beruht, IS], welche die Besatzungsherrschaft des »Dritten Reiches« und der Sowjetunion weitgehend gleichsetzt.“ (Bauerkämper 2012: 270) Andererseits erfuhr die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden nach 1989 staatsoffiziell eine neue Dynamik. Bereits 1990 wurde in Theresienstadt eine neue Ausstellung zur „Rolle Theresienstadts bei der sog. ‚Endlösung der Judenfrage’ vorbereitet“ (Blodig 2005: 227) und ein Jahr später eröffnet. Weitere Ausstellungen folgten. Die „Magdeburger Kaserne“, in der ab 1941 unter anderem die Wohnung des Judenältesten und Büros der sogenannten jüdischen Selbstverwaltung untergebracht waren, erhielt Ende der 1990er Jahre Ausstellungsflächen und eine internationale Begegnungsstätte (Vgl. Theresienstadt 1941 – 1945). Ein zentrales Denkmal für die ermordeten tschechischen Jüdinnen und Juden gibt es allerdings bis heute nicht.
Der Völkermord an Sinti und Roma im „Protektorat Böhmen und Mähren“
Weitaus prekärer ist es bis heute um die Repräsentation des Völkermordes an den Sinti und Roma in Tschechien bestellt. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten auf dem Gebiet des „Protektorats Böhmen und Mähren“ 6.500 Roma. Von ihnen überlebten nur knapp zehn Prozent den Völkermord. Bereits im August 1940 wurden die Lager Lety, im südböhmischen Distrikt Písek, und Hodonín, im mittelmährischen Distrikt Blansko, eröffnet. Die Lager waren als Arbeitslager für „Arbeitsscheue“ gedacht, in denen Roma anfangs nur ein Viertel der Inhaftierten ausmachten. Dies änderte sich und ab August 1942 wurden Lety und Hodonín zu „Zigeunerlagern“. In Hodonín waren gesamt 1.317 und in Lety 1.308 Roma inhaftiert (vgl. Zimmermann 2008: 12). Auf der Grundlage der Verordnung zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ vom 10. Juli 1942, wurden die tschechischen Roma am 2. August 1942 erkennungsdienstlich erfasst (Vgl. Ebda.: 12). Die Verordnung 1942 bildet Michael Zimmermann zufolge „den Übergang von einer Zigeunerpolitik, die sich als Teilbereich einer rassenhygienisch motivierten Bekämpfung der „Asozialen“ verstand, zu einer Verfolgung sui generis, die derjenigen des Reiches entsprechen und der dortigen rassistischen Klassifikation angepasst werden sollte.“ (Zimmermann 2008: 12) In den Jahren 1942/43 wurden zahlreiche Roma aus den beiden Lagern in das Stammlager Auschwitz I deportiert. Später im Jahr 1944 kamen Deportierte direkt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Kommandanten und das Wachpersonal der „Zigeunerlager“ Hodonín und Lety bestand aus Tschechen. Der Kommandant in Hodonín war seit 1940 Stefan Blahynka, sein Stellvertreter war Jan Sokl (Vgl. Nečas 1999: 103). Sie führten ein hartes und grausames Regime. Der Überlebende Edvard Daniel erinnert sich an seine Ankunft in Hodonín: „We were awaited by Czech guards, no SS men, they were really mean bastards, though. I’ve been through Auschwitz and other camps but was beaten only once and moreover it was because of some Pole. But our gendarmes beat me so many times you have no idea.” (Ebda.: 107) Die Roma mussten in den Lagern Zwangsarbeit unter härtesten Bedingungen verrichten. Dabei starben Hunderte. In Hodonín wurden zudem 1945/46 Sudetendeutsche interniert und in den 1949/50 diente das Lager zur „Umerziehung“ von Regimegegnern.
Die Erinnerung an den Genozid der tschechischen Roma ist in der Nachkriegszeit ausgesprochen randständig bis kaum vorhanden. Es waren in der Regel Roma, häufig Überlebende, die sich der Erinnerungsarbeit widmeten. Die tschechische Mehrheitsgesellschaft hatte kein Interesse an der Beschäftigung mit der Ermordung und Vernichtung der Roma. In der stalinistischen, beziehungsweise vom Stalinismus geprägten ČSR/ČSSR standen Roma unter einem hohen staatlichen Assimilationsdruck, der darauf ausgerichtet war die Eigenständigkeit der Roma-Kultur zu zerstören. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen brachte der „Prager Frühling“ auch positive Veränderungen für die Roma mit sich. Es war 1969 das erste Mal möglich einen eigenen Verband in Brno unter dem Namen „Verband der Zigeuner-Roma“ zu gründen, der vielfältige soziale und kulturelle Aktivitäten entfaltete (Vgl. Bubnová 2014: 102). Im Jahr 1973 wurde der Verband allerdings bereits wieder aufgelöst. „Danach wurden noch weitere, oft auch sinnlose und rücksichtslose Versuche zur Assimilierung der Sinti und Roma in die Gesellschaft und durch den Staat durchgeführt.“ (Bubnová: Ebda.) Die Situation der Roma hat sich allerdings auch in den Jahren nach 1990 nicht gebessert und auch heute gibt es immer wieder Ausbrüche eines gewalttätigen Antiziganismus.
Das Konzentrationslager Lety in der tschechischen Erinnerung
Am Beispiel von Lety lässt sich die geschichtskulturelle Entwicklung gut nachvollziehen. In Lety wurde auf dem Gelände der ehemaligen Konzentrationslagers 1972 eine Schweinemastanlage erbaut, die bis heute dort besteht. Erst 1995 wurde in Lety ein Denkmal an den Roma-Genozid durch Vaclav Havel enthüllt. Allerdings entsprach das Denkmal nicht den Vorstellungen überlebender Roma, sodass das Komitee für die Entschädigung des Roma-Holocaust am Friedhof von Mirovice, wo ermordete Roma-Kinder begraben wurden, zusätzliche Gedenktafeln anbringen ließ. Bis heute ist die Situation am Ort des ehemaligen „Zigeunerlagers“ durch die Fortexistenz des Schweinemastbetriebes ausgesprochen unbefriedigend. Roma-Verbände und Menschenrechtsaktivist_innen protestieren schon lange gegen den unwürdigen Zustand. Das Europaparlament hat im Jahr 2005 in einer Resolution die Schließung des Betriebes gefordert. Vonseiten verschiedener tschechischer Regierungen gab es auch Versprechen den momentanen Zustand zu beenden, allerdings bestehen diese Zusagen bereits seit 20 Jahren. Erste konkrete Schritte zum Ankauf der Anlage, und damit zur Lösung des Problems, hat die tschechische Regierung nun im Jahr 2016 unternommen. Der Genozid an den Roma wird jedoch immer wieder verharmlost und relativiert, auch von Regierungsmitgliedern. Der tschechische Vizepremier und Finanzminister Andrej Babiš, Mitglied der populistischen ANO-Partei, äußerte sich im September 2016 mit folgenden Worten: „Es gab Zeiten, als alle Roma gearbeitet haben. Es ist eine Lüge, dass das Lager in Lety ein Konzentrationslager war, denn es war ein Arbeitslager – wer nicht arbeitete, der war mit einem Schubs dort.“ (dRoma Blog 2016) Bei einem folgenden Besuch in Lety bezeichnete Babiš gar in antiziganistischer Manier Roma-Eltern als „Parasiten“.
Am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Hodonín soll im August dieses Jahres eine moderne Gedenkstätte mit einer tschechisch- und englischsprachigen Ausstellung eröffnet werden. Dazu wurde die einzige noch existente Lagerbarracke restauriert. Vorher befand sich am historischen Ort ein Erholungszentrum. Die neuen Ausstellungen sollen auch die Nutzung als Ort der Internierung von Sudetendeutschen und von Oppositionellen während der Nachkriegszeit thematisieren. Auch an diesem Ort bedurfte es etlicher Anstrengungen um eine würdige Erinnerung zu etablieren. Vor allem das Museum für Roma-Kultur in Brno war hierbei aktiv.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden und an die der Roma sehr unterschiedlich in der tschechischen Geschichtskultur verankert ist. Die kommende Eröffnung einer Gedenkstätte in Hodonín ist sicherlich ein zukunftsweisendes Signal. Eine Auseinandersetzung mit Verstrickungen von Tschech_innen in Form von Mittäterschaft und Kollaboration, vor allem in Bezug auf die Ermordung der Roma, findet bisher kaum statt. Dabei ist ein immer wieder aufflammender, auch gewalttätiger und auch institutioneller Antiziganismus in der Tschechischen Republik durchaus ein fortwährendes Problem und eine Bedrohung für im Land lebende Roma.
Literatur
Arnd Bauerkämper (2012): Das umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945. Paderborn München Wien Zürich.
Vojtĕch Blodig (2005): Die Gedenkstätte Theresienstadt in der Vergangenheit und Gegenwart. In: Christoph Cornelißen, Roman Holec, Jiří Pesek (Hg.): Diktatur – Krieg – Vertreibung. Erinnerungskulturen in Tschechien, der Slowakei und Deutschland seit 1945. Essen. S. 221-228.
dRoma Blog (2016): KZ Lety: Regierung will Schweinemast kaufen, http://www.roma-service.at/dromablog/?p=37988 (eingesehen am 31.01.2017)
Peter Hallama (2015): Nationale Helden und jüdische Opfer. Tschechische Repräsentationen des Holocaust. Göttingen.
Václava Kutter Bubnová (2014): Die NS-Opferverbände und die Opferdiskurse seit 1993 in der Tschechischen Republik und in der Slowakei. München.
Ctibor Nečas (1999): The Holocaust of Czech Roma. Prag.
Theresienstadt 1941 – 1945. Ein Nachschlagewerk, http://www.ghetto-theresienstadt.info/pages/k/kasernemd.htm (eingesehen am 31.01.2017)
Michael Zimmermann (2008): Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung in Ost- und Südosteuropa – ein Überblick. In: Felicitas Fischer von Weikersthal, Christoph Garstka, Urs Heftrich, Heinz-Dieter Löwe (Hg.): Der nationalsozialistische Genozid an den Roma Osteuropas. Geschichte und künstlerische Verarbeitung. Köln Weimar Wien. S. 3-28.
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- 22 Feb 2017 - 07:00
Vielen Dank
für Ihren Kommentar.
Ich möchte mit dem zweiten Punkt beginnen. Der Artikel bezieht sich in erster Linie auf Tschechien und den dortigen Umgang mit dem Völkermord an Sinti und Roma. Daher halte ich es für statthaft die deutsche Problematik nur am Rand zu erwähnen. Ich stimme selbstverständlich zu, dass das Thema relevant ist und die Erinnerungsabwehr gegenüber der Ermordung der Minderheit ist in Deutschland ohne Frage noch immer stark ausgeprägt, so wie auch antiziganistische Ressentiments. Worum es mir geht und ging ist, jedoch gerade die Grauzonen und das Element von Kollaboration herauszuarbeiten. Das entspricht durchaus den aktuellen Tendenzen in der Holocaust-Forschung und in der Folge auch die Geschichtskultur.
Was das Verhältnis der ČSR/ČSSR zu den Roma anbelangt, so war es in der Tat zwiespältig. Sicherlich, es gab die Zugänge zu Bildung und Arbeitsplätzen, aber um den Preis, der Aufgabe einer selbstbestimmten Lebensweise.So wurde mit dem Gesetz Nr. 74/ 1958 („Von der dauerhaften Ansiedlung fahrender Personen“) das Nomadenleben verboten. Eine Maßnahme, die in erster Linie auf Roma abzielte. Damit wurde an das sogenannte Vagabundierverbot von 1927 angeknüpft, auf das auch schon die Nationalsozialisten in der besetzten Tschechoslowakei anknüpfen konnten.
In einem längeren Beitrag wäre sicherlich die Ambivalenz der Roma-Politik nach 1945 stärker zu berücksichtigen. Der Assimilationsaspekt und dessen Zwangscharakter, den auch Václava Kutter Bubnová in ihrer Dissertation "Die NS-Opferverbände und die Opferdiskurse seit 1993 in der Tschechischen Republik und in der Slowakei", Karlsbad 2014, herausstellt scheint mir allerdings ausgesprochen prägend gewesen zu sein.