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Kriegsgräberstätten als Orte für Menschenrechtslernen

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Prof. Dr. Michele Barricelli ist Lehrstuhlinhaber für Didaktik der Geschichte und Public History an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Von Michele Barricelli

In einer über 25 Jahre alten geschichtsdidaktischen Schrift zur Verbindung von historischem Lernen und Menschenrechtserziehung findet sich bereits das Diktum einer „selten überzeugend gelöste[n] Aufgabe“. Etwas von dieser Skepsis ist bis heute geblieben. Verschoben hat sich jedoch vor allem der thematische Fokus: Standen anfangs die sozialen und Frauenrechte, die Partizipation von „Entwicklungsländern“ oder der Anspruch auf eine saubere Umwelt im Mittelpunkt, sind es heute Genozid und Massengewalt, überhaupt die crimes against humanity, wie sie als Straftatbestand erstmals im Zuge der Nürnberger Prozesse zur Anwendung gelangten. Das heißt dann aber auch: Was ursprünglich Angelegenheit einer kleinen Zahl von Strafrechtsexperten war, dabei so haltlos und monströs erschien, dass man es überhaupt nur durch Erfindung neuer Begriffe fassen konnte, ist zu Schulstoff für junge, unerfahrene Menschen geworden. Das scheint uns viel verlangt, aber doch unabwendbar.

Zwar mag man argumentieren, dass unsere Gegenwart keineswegs, wie fast alle Zeiten vor ihr, von schreiendem Unrecht, entgrenzter Gewalt oder abgrundtiefem Hass gekennzeichnet wäre. Immer bessere Verträge regeln den Frieden, nicht mehr den Krieg zwischen den Völkern. Und es verschafft uns Genugtuung zu sehen, dass sich Volksverhetzer, die etwa als Staatenlenker brutal gegen die Regeln des schiedlichen Zusammenlebens verstießen, vor internationalen Gerichtshöfen verantworten müssen. Doch trotz dieses Humanitätsfortschritts bleibt Menschenrechtslernen überall nötig – weil wir die nach wie vor existierenden mörderischen Konflikte, Folterungen, Freiheitsberaubungen und Entwürdigungen zumindest als fernen Angriff auf uns selbst wahrnehmen, dessen wir uns erwehren. 

Historisch-politisches Lernen will in dieser Situation zunächst die geschichtliche Dimension aufdecken. Denn nichts an der Erzählung war oder ist selbstverständlich. Stets gab es Täterinnen oder Täter, die Unrecht erdachten, ins Werk setzten oder ausführten; stets gab es Leidende, Unterdrückte, Verfolgte und Deklassierte, oft genug Getötete. Die in der jüngsten pädagogischen Handreichung des Volksbundes „Krieg und Menschenrechte“ versammelten Beispiele von Menschenrechtsverletzungen veranschaulichen konkrete Entscheidungsstrukturen sowie unterschiedliche Reaktionsweisen und Auswege und zeigen, dass es ein Zurück für die Schuldigwerdenden jederzeit gegeben hätte. Ein didaktisches Verstehen soll die mentale Aneignung, das Durchdenken und Urteilen darüber ermöglichen.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. nimmt sich dieser Aufgabe an und widmet sich vor allem den Kriegsgräbern als Lernort. Ein Kriegsgrab ist zunächst einmal sehr real, steht nicht für allgemeine Theorien zum geschichtlichen Verlauf oder vereinfachende Generalisierungen, sondern für ein unter uns unbekannten Bedingungen gelebtes Leben mit einem gewaltvollen Ende. Völlig unsinnig wäre es ohnehin, Schmerz und Sterben nachträglich mit Sinn zu versehen.

Auch wissen wir, dass was geworden ist, wieder vergehen kann. Menschenrechte wurden (und werden immer noch) identifiziert, verkündet und kodifiziert, also zu Gesetzen gemacht. Aber ihre synchrone wie diachrone Gültigkeit – sprich, dass sie für alle und immer einklagbares Recht seien – vermögen sie selbst nicht zu garantieren. Vielmehr sollten sich jene, die sie propagieren und einklagen, so mancher Kritik stellen, die in dem ganzen Konzept ein Instrument neokolonialer „westlicher“ Herrschaft über die Welt vermuten. Foren des also durchaus erforderlichen Meinungsstreits über globales Unrecht und Diskriminierung sollten auch historische Museen und lokale Gedenkstätten sein. Denn dort wird darauf vertraut, dass Menschen lernfähig und regelmäßig lernwillig sind, dass wir über Humanisierungschancen verfügen und etwas zum Besseren verändern können.

Der Einsatz für Recht und Frieden jedenfalls steht allen offen. Unabdingbar für solches Wirken sind indessen die Einsicht in eine Idee von Humanität, die Anerkennung historischer Verantwortung und die Akzeptanz des Lernprozesses. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. und seine Partner tun das Nötige, um die nicht selten schon als erledigt empfundene Vergangenheit in den Erfahrungshorizont der Gegenwart zu rücken. Dabei bin ich mir sicher: Gerade die Jüngeren bejahen, dass Lernen über Menschenrechte heute beides ausmacht – die Erinnerung an jene, die vor uns waren und denen oft genug das Wesentliche versagt wurde, und die Wahrung der Würde eines jeden Individuums als Teil der gesamten Menschheit. Eine gute Zukunft ist anders nicht vorstellbar.

Der Beitrag stammt aus der pädagogischen Handreichung des Volksbundes „BEISPIELE praxis – Krieg und Menschenrechte“, Kassel, Januar 2017.

 

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