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Volksgemeinschaft und Lebensraum: Die Neulandhalle als historischer Lernort

Von Frederik Schetter

Im aktuellen Magazin wird der Umgang mit regionalgeschichtlichen Defiziten und ihren Ursachen in einzelnen Bundesländern herausgearbeitet. Ein solches Defizit macht Uwe Danker in seiner 2014 veröffentlichten Publikation „Volksgemeinschaft und Lebensraum: Die Neulandhalle als historischer Lernort“ auch in Schleswig-Holstein bei Vermittlungsangeboten für das außerschulische historische Lernen – speziell für den Bereich der Zeitgeschichte – aus und entwickelt ein Konzept, um dieses zu beheben.

Im Zentrum steht dabei die 1935 als damaliges NS-Musterprojekt auf dem ehemaligen „Adolf-Hitler-Koog“ im heutigen Kreis Dithmarschen errichtete und seit 1971 von dem Kirchenkreis Dithmarschen u.a. als evangelische Jugendbegegnungsstätte genutzte Neulandhalle. 2010 stand man vor der Entscheidung, was mit der renovierungsbedürftigen Immobilie geschehen solle. In Folge einer kontroversen Diskussion beauftragte der Kirchenkreis als Eigentümer der Neulandhalle das Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte (IZRG) mit der Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie, ob und wie die Neulandhalle als Vermittlungsort regionaler NS-Geschichte konzeptionell genutzt werden könne. Das 2012 u.a. von Uwe Danker als Direktor des IZRG erstellte Konzept wurde auf Bundesebene abgelehnt, sorgt jedoch weiterhin für erinnerungspolitische Diskussionen und bildet die Basis der von Danker 2014 veröffentlichten und mit über 70 Bildern anschaulich gestalteten Publikation. 

Vermittlung von NS-Geschichte – eine Frage der Generation?

Danker geht von der einleitenden Prämisse aus, dass nachwachsende Generationen zwar die „grenzenlose Inhumanität der deutschen […] Geschichte“ (S. 8) erkennen würden, nicht aber „Erklärungsmuster, denkbare Bedingungsgeflechte, andere Seiten des Nationalsozialismus, Übertragbarkeiten auf andere Gesellschaften und historische Situationen“ (ebd.). Um die Komplexität des Nationalsozialismus zu verstehen, müsse man sich daher auch mit dem vermeintlich positiven Gegenstück zur nationalsozialistischen Inhumanität auseinandersetzen – der sogenannten „Volksgemeinschaft“. Für die Neulandhalle, einem Modellobjekt dieser „klinisch rein und neu geschaffenen ,Volksgemeinschaft‘“ (S. 9), sieht er als historischen Lernort daher großes Potential. 

Die Neulandhalle als nationalsozialistische Ersatzkirche

Im ersten von insgesamt drei Hauptkapiteln zeichnet Danker dann in einem ersten Schritt die Entwicklung Schleswig-Holsteins von der Weimarer Republik zu einem nationalsozialistischen „Mustergau“ im „Dritten Reich“ nach. In diesem wurde der Inszenierung von Landgewinnung durch Deichbau und Entwässerung und der damit verbundenen „,Ausweitung des deutschen Lebensraums‘“ (S. 25) eine zentrale, ideologisch aufgeladene Rolle zugedacht und diese propagandistisch verwertet. Ein auf diese Weise seit 1933 neu gewonnenes Gebiet – ein Koog –  wurde so nach Adolf Hitler benannt und von diesem persönlich 1935 eingeweiht.

In diesem erfüllte die Neulandhalle als „Ort ritualisierter und zelebrierter Kulthandlungen“ (S. 43) in der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ die Funktion einer nationalsozialistischen Ersatzkirche. Danker stellt diesen „harmonisch-integrativen Entwurf“ (S. 43) für einen Teil der Bevölkerung in den Gegensatz zur Gewaltherrschaft gegen all jene, die nicht Teil der „Volksgemeinschaft“ waren oder sich dieser verweigerten. In unterschiedlichen Punkten geht er so auf die Verbrechen der Nationalsozialisten – sowohl im „Dritten Reich“ und den eroberten Gebieten insgesamt als auch speziell in Schleswig-Holstein – ein. Auf diese Weise gelingt es ihm immer wieder, in unterschiedlichen Punkten die „Janusköpfigkeit“ (S. 68) der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ und Lebensraumpolitik deutlich zu machen. 

Nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“, Lebensraumpolitik und Selbstinszenierung 

Auf dieser historischen Basis stellt Danker im zweiten Kapitel die Relevanz der Neulandhalle als historischem Lernort heraus. Dies begründet er erstens mit einer inhaltlichen Relevanz: Die Selbstdarstellung, das Konzept der „Volksgemeinschaft“ und die Lebensraumpolitik der Nationalsozialisten ließe sich an einem historischen Lernort in der Neulandhalle wie „unter der Lupe […] studieren“ (S. 77), zugleich fehle es in diesen Bereichen in Schleswig-Holstein an Vermittlungsangeboten. Er sieht daher konkreten, gesellschaftlichen Bedarf an einem solchen Lernort. Den Bedarf ermittelt er weitergehend in einem zweiten Punkt durch die Analyse der Marktlage, der Erstellung eines Besucherprofils und dem Vergleich mit 10 vergleichbaren Lernorten wie beispielsweise dem NS-Dokumentationszentrum München oder der Dokumentations- und Gedenkstätte Wewelsburg. Dabei kommt Danker zu dem Schluss, dass durch die Schaffung und Etablierung eines historischen Lernorts in der Neulandhalle die „Erinnerungslandschaft Schleswig-Holsteins […] erheblich und substanziell“ (S. 96) bereichert würde. 

Im dritten Kapitel zeichnet Danker die konzeptionelle Planung des historischen Lernorts nach. Er hebt die Fähigkeit von Regionalgeschichte, „eine hochgradig komplexe soziale Welt in einem räumlich begrenzten Untersuchungsgebiet zu erfassen“ (S. 98), hervor und sieht für die Neulandhalle als historischem Lernort – im Gegensatz zu Gedenkstätten – das Potential, eine „konsequentere Umsetzung fachdidaktischer Leitlinien zu ermöglichen“ (S. 106). Was er konkret unter diesen Leitlinien versteht, nämlich beispielsweise eine stärkere Versachlichung, den „Verzicht auf einfache Wertungsmuster“ (S. 105) oder die „Transparenz des Ausstellungskonzepts“ (ebd.), listet Danker stichpunktartig und übersichtlich auf. 

Im Folgenden konkretisiert Danker die geplante Ausstellungskonzeption. Die Zielgruppen sind dabei von Heterogenität geprägt; „für jeden wie jede soll etwas dabei sein“ (S. 107).

Klingt dieses Zielgruppenprofil etwas unscharf, so wird Danker bei den Themengebieten der Ausstellung konkreter. Die Vermittlungsangebote gliedert er thematisch plausibel in den nationalsozialistischen Konzepten der „Volksgemeinschaft“ und der Lebensraumideologie. Die Darstellung der NS-Selbstinszenierung soll der Ausstellung dabei als roter Faden dienen. Die Themen der Ausstellung stellt Danker als Schwerpunkt heraus, diese solle „ausdrücklich nicht exponatzentriert“ (S. 111) ausgerichtet sein, sondern die Exponate auf Basis der historischen Themen und des didaktischen Potentials ausgewählt werden. 

Die Frage der Finanzierung und erinnerungspolitischer Konflikt 

Als für die Realisierung eines historischen Lernortes zentral hebt Danker bauliche Maßnahmen und Rekonstruktionen der sich in schlechtem Zustand befindlichen Neulandhalle hervor. Auffallendes Element bei der Darstellung der geplanten baulichen Maßnahmen ist das Bewusstsein Dankers dafür, dass durch Rekonstruktionen möglicherweise „mystisch anmutende Stimmungen und anziehende Atmosphären“ (S. 116) entstehen könnten, die es zu brechen gelte. Zugleich solle den Besucher_innen deutlich und erfahrbar gemacht werden, dass verschiedene Nutzungen und historische Prozesse jeweils ihre Spuren in der Neulandhalle hinterlassen haben. Bei der Kalkulation der Kosten nehmen ebendiese baulichen Maßnahmen mit knapp 3,2 Millionen Euro auch den Großteil der insgesamt im Konzept für die Umsetzung veranschlagten 4,2 Millionen Euro ein. 

Vor einem umfassenden Literatur- und Bildverzeichnis legt Danker in einem kurzen „Rück- und Ausblick“ (S. 128) seinen Standpunkt zur Ablehnung des Konzepts der Neulandhalle als historischem Lernort dar. Er wirft u.a. den Akteuren der Gedenkstättenarbeit in Schleswig-Holstein eine Blockadehaltung aus Angst vor dem Verlust finanzieller Mittel vor. Er zeichnet in deutlichen und kämpferischen Worten ein „kümmerliches Gesamtbild“ (S. 132) der NS-Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein und fordert eine „innovative, auf die Zukunft gerichtete Kulturpolitik“ (ebd.), als welche – das wird in diesem Punkt noch einmal sehr deutlich – er sein Konzept zur Neulandhalle als historischem Lernort sieht. 

Zusammenfassung 

Danker hält in seiner Publikation ein sehr deutliches und direktes Plädoyer dafür, die Vermittlung von NS-Geschichte in Schleswig-Holstein auf den Prüfstand zu stellen und im Zuge generationeller Veränderungen neue Wege zu gehen. Mit seinem Konzept für die Neulandhalle als historischem Lernort bietet er eine konkrete Ergänzung der schleswig-holsteinischen NS-Erinnerungslandschaft an. Danker bietet so einen konkreten und plausibel formulierten Impuls für erinnerungspolitische und geschichtsdidaktische Diskussionen. Dadurch, dass er sich eines multiperspektivischen Ansatzes bedient und sowohl historische und gesellschaftliche als auch konzeptionelle Perspektiven herausarbeitet, bietet das Buch zudem für fachwissenschaftlich, didaktisch, museologisch oder pädagogisch interessierte Leser_innen jeweils wichtige Erkenntnisse. 

Literatur

Uwe Danker: Volksgemeinschaft und Lebensraum. Die Neulandhalle als historischer Lernort, in: Uwe Danker; Robert Bohn; Sebastian Lehmann (Hrsg.): Beiträge zur Zeit- und Regionalgeschichte, Band 3, Wachtholz Verlag, Neumünster 2014, 18 €.  

 

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