Zur Diskussion

Kein Geld für Studienreisen zu deutschen KZ-Gedenkstätten in Polen

Wie der deutsche Staat seine historische Verantwortungshoheit mit mäßigem Erfolg auf die Länder delegiert

Beitrags-Autor Profil / Kontakt

Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen
und um den Autor kontaktieren zu können.

Hier können Sie sich registrieren.

Arthur Osinski ist Kulturhistoriker und Gedenkstättenpädagoge.

Von Arthur Osinski

Viele engagierte und geschichtsbewusste Lehrer_innen beschließen jedes Jahr zusammen mit ihren Schüler_innen, anstatt nach Rom oder Madrid zu fliegen, eine Studienreise zu den KZ-Gedenkstätten des Nationalsozialismus in Polen zu unternehmen. In den letzten Monaten ist es leider nicht mehr so einfach die Finanzierung für schulische Projekte zu gewährleisten, da der Bund diese auf die Länderebene übertragen hat. Auch der größte Organisator der Gedenkstättenfahrten nach Polen in Deutschland, das »Internationale Bildungs- und Begegnungswerk« (IBB) engagiert sich für Nachbesserungen, da die neugeschaffene alternative Finanzierung noch nicht mit allen Ländern erfolgreich vonstattengeht. Die Folge  ist, dass viele der nächsten Studienreisen auszufallen drohen oder bereits storniert wurden. Auch die »Bethe Stiftung«, die seit Jahren die Studienreisen zu den Gedenkstätten des NS-Regimes in Polen bezuschusst, ist nicht im Stande, die bisherige Förderung alleine zu kompensieren. Die Strategie, die das IBB und die »Bethe Stiftung« zur Zeit verfolgen ist, dass sich die Länder zumindest mit derselben Fördersumme an den Studienfahrten beteiligen.

Bisherige Finanzierung aus dem Etat für deutsch-polnische Projekte

Bis vor Kurzem war es möglich, für eine Gedenkstättenfahrt nach Polen eine Teilfinanzierung durch das »Deutsch-Polnische Jugendwerk« (DPJW) zu beantragen. Seit dem 1. Januar ist diese Option jedoch ausgelaufen, da sich das DPJW nun mehrheitlich auf bilaterale Projekte konzentrieren will. Dem polnischen Partner war es nicht mehr zuzumuten, Gedenkstättenfahrten deutscher Schüler_innen, zum Beispiel nach Auschwitz, aus dem Geldtopf für deutsch-polnische Projekte mitzutragen. Anstatt dafür eine Alternative auf Bundesebene zu schaffen, übertrug man die Finanzierung auf Länderebene. Bereits im Januar haben die »Bethe Stiftung« und das IBB aus Dortmund die Vertreter der Kultusministerien auf der Bundes- und Länderebene nach Krakau eingeladen, um die Finanzierung künftiger Studienreisen zu sichern. Dies geschieht bis heute jedoch mit unterschiedlichem Erfolg, da manche Länder die Finanzierung nur zu einem kleinen Teil tragen oder - wie es schon fast symptomatisch für Sachsen ist - diese einfach verweigern. Gerade ein Bundesland wie Sachsen sollte jedoch solche Projekte fördern, um präventiv ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. 

Eine Schulklasse setzt mit einer Studienfahrt nach Auschwitz ein Zeichen

Dabei ist die Vorbereitung einer Studienreise zum Beispiel nach Auschwitz nicht nur finanziell, sondern in jeder Hinsicht eine sehr komplexe Herausforderung, die schon Monate vor der eigentlichen Reise beginnt. Zuallererst  müssen Studienleiter_innen für Gedenkstättenfahrten, die vom IBB organisiert werden, eine Fortbildung absolvieren, damit sie während der Gedenkstättenfahrt nicht mit sich selbst und ihren Gefühlen überfordert sind. Schließlich sind sie für ihre Gruppe verantwortlich. Danach folgt die Vorbereitung der Teilnehmer_innen, die sich mit der Geschichte der KZ-Gedenkstätte auseinandersetzen und erfahren müssen, was sie erwartet. Schon zuvor beginnen die Studienleiter_innen zusammen mit dem IBB mit der logistischen Vorbereitung. Vom Einchecken in der Unterkunft in Oświęcim bis zum Abschiedsessen im ehemaligen jüdischen Viertel Kazimiersz in Krakau beim Klezmer-Musikkonzert muss alles Wochen vorab gebucht werden. Darüber hinaus muss ein gedenkstättenpädagogisches Konzept, angepasst an die jeweilige Gruppe, entwickelt werden. Professionelle Gedenkstättenpädagogen treffen sich mit der Gruppe vor Ort in Deutschland, um die Teilnehmer_innen mental auf die Reise vorzubereiten. Die Gruppe setzt sich beim Vorbereitungstreffen mit der Geschichte, der Kultur und der Sprache Polens auseinander.

Die Arbeitskonzeption der Studienreise wird von vier Säulen getragen: der Gedenkstättenpädagogik, der Friedenserziehung, der Auseinandersetzung mit der polnischen Geschichte und Kultur und mit der Geschichte und Kultur der polnischen Juden vor, während und nach der Shoah.

Die Höhepunkte der Studienfahrt bilden die Besuche des Stammlagers KZ Auschwitz 1 und am drauf folgenden Tag des Lagers in Birkenau; beide dauern mehrere Stunden. Die Gruppen werden von professionellen Guides und Gedenkstättenpädagog_innen durch das Lager geführt. Am jeweiligen Abend kommt es während der Evaluation zu gemeinsamen Gesprächen, da die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf keinen Fall mit dem Gesehenen, ihren Fragen, Gefühlen und Emotionen alleine gelassen werden dürfen. Den zweiten Höhepunkt der Studienfahrt bildet das Zeitzeugengespräch mit einem ehemaligen KZ-Häftling. Bei der Begegnung bekommen die Studienfahrtteilnehmer_innen einen Einblick in den Lageralltag und können danach individuell Fragen stellen. Eine seltene Chance, die es in ein paar Jahren nicht mehr geben wird.

Um die Gedenkstättenfahrt mit einer positiven Note ausklingen zu lassen, reist die Gruppe nach einer kleinen Abschiedszeremonie von Oświęcim am nächsten Tag nach Krakau, wo die Auseinandersetzung mit der polnischen Kultur und Geschichte auf dem Programm steht. Die Teilnehmer_innen lernen dabei eine typisch polnische Stadt kennen. Der zweite Teil der Krakau-Exkursion führt in das ehemalige jüdische Viertel, wo den Besucher_innen die Geschichte und das Alltagsleben der Juden in Krakau durch einen Guide vermittelt wird. Nach der Studienfahrt findet schließlich eine Nachbereitung statt, in der die Schüler ihre Erfahrungen und Erlebnisse verarbeiten und zur Sprache bringen. Schließlich sollen die Teilnehmer_innen später als Multiplikator_innen den anderen weitererzählen, was damals in Auschwitz geschehen ist.

Sich erinnern heißt nach vorn zu schauen

Aufgrund seiner historischen Verantwortung und der derzeitigen fremdenfeindlichen Stimmung in Deutschland, wo immer wieder Flüchtlingsheime brennen und rechte Parteien großen Zulauf bekommen, kürzt der deutsche Staat - wie leider so oft - an der falschen Stelle die notwendigen finanziellen Zuwendungen für Schulfahrten. Statt in solchen Zeiten die Finanzierung von Projekten für mehr Toleranz, Respekt und Friedenserziehung aufzustocken, stiehlt sich der Bund aus seiner Verantwortung. Dies ist nicht akzeptabel, zumal private Förderer bereits seit vielen Jahren das Gros solcher Studienreisen in Eigenregie finanzieren. Die schon per se sehr schwierigen Vorbereitungen von Studienfahrten zu den KZ-Gedenkstätten werden zusätzlich erschwert oder sogar unmöglich gemacht.

Was für ein Signal sendet man an die engagierten Lehrer_innen und Schüler_innen wenn sie erfahren, dass ihre Studienreise nach Auschwitz nach mehreren Monaten Vorbereitung doch nicht stattfinden kann, weil von manchen Ländern dafür keine oder zu wenig Gelder bewilligt werden?

Was für eine Meinung sollen Juden oder Polen über Deutschland gewinnen, wenn sie erfahren, dass die Organisation von Gedenkstättenfahrten für junge Menschen zu den Orten, an denen die Nationalsozialisten am schrecklichsten gewütet haben, an der staatlichen Finanzierung scheitert? Und das in einem der reichsten Staaten der Welt. Können wir uns so etwas leisten? Sich erinnern heißt nach vorne zu schauen, damit die nächsten Generationen nicht dieselben Fehler begehen.

 

Kommentar hinzufügen

CAPTCHA
Diese Frage dient der Spam-Vermeidung.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.