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Der polnische Vertreibungsdiskurs

Vom Zentrum gegen Vertreibungen bis zum Sichtbaren Zeichen

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Arthur Osinski ist Kulturhistoriker und arbeitet für das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk.

Von Arthur Osinski

In Polen fanden bis heute insgesamt drei Debatten zum Thema Vertreibung und Transfer der deutschen Bevölkerung aus den ehemaligen Ostprovinzen statt. Der zuletzt geführten Vertreibungsdebatte, die um die Jahrtausendwende in der deutschen Öffentlichkeit begann, ist in Polen bereits schon kurze Zeit nach dem politischen Umbruch in den  1990er-Jahren eine Eigene vorausgegangen. Als die damals aktuell geführte Debatte in der polnischen Öffentlichkeit fast abgeschlossen zu sein schien, wurde dieses Thema auf einmal  gesellschaftlich wieder höchst aktuell. »Ein Zentrum gegen Vertreibungen« (ZgV) unter dem Patronat des »Bundes der Vertriebenen« (BdV) sollte in Berlin entstehen. Die polnische Seite reagierte auf die vom BdV erarbeitete Konzeption für das künftige Vertreibungszentrum irritiert. Man erachtete diese als zu tendenziös und befürchtete seitens des Bundes die Relativierung der Geschichte. Die Folge dessen war ein hart geführter Vertreibungsdiskurs zwischen der polnischen Seite und den Vertretern des BdV. Dieser eskalierte vollends, als vom BdV revisionistische Restitutions- und Entschädigungsforderungen gegenüber Polen erhoben wurden. Die damalige Präsidentin des BdV ließ durch ihre kruden Äußerungen den Streit sogar noch weiter eskalieren. Die fast zur selben Zeit durch ranghohe BdV-Funktionäre gegründete »Preußische Treuhand«  löste zusätzliche Spannungen in Polen aus, und disqualifizierte dort den BdV als adäquaten Schirmherr eines künftigen Vertriebenenzentrums vollends. Da die Vertriebenenorganisation finanziell von der Bundesregierung maßgeblich subventioniert wird und damals in den Schwesternparteien CDU und CSU politisch noch großen Einfluss genoss, entwickelte sich daraus zugleich ein auf beiden Seiten hart geführter deutsch-polnischer Vertreibungsdiskurs, der sogar auf die politische Ebene übergriff.

Die Vertreibungsdebatte der Nachkriegszeit

Die in der polnischen Öffentlichkeit geführten Debatten über die Vertreibung der Deutschen kann man in drei Zeiträume unterteilen. Der erste fand in den Nachkriegsjahren statt und dauerte bis zur Wende 1989. Dieser war gekennzeichnet durch ein von der Staatsmacht der Volksrepublik Polen legitimiertes Gedenken, das durch den Mythos eines „tausendjährigen deutsch-polnischen Kampfes“ bestimmt wurde, dessen Ziel die „Wiedereinverleibung“ der westlichen piastischen Gebiete war. Diese erste Phase der polnischen Auseinandersetzung mit der Vertreibung der Deutschen kann als eine vom staatlichen Erinnerungsmonopol bestimmte Zeit der Indoktrination bezeichnet werden. Eine objektive und aufrichtige Aufarbeitung konnte aufgrund der staatlichen Zensur in der damaligen Volksrepublik Polen nicht geleistet werden.  

Nach der Wende

Erst die politische Wende der  1990er-Jahre ermöglichte der polnischen Gesellschaft eine objektive Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte, somit auch mit derer weißen Flecken und mit Themen, die in der Volksrepublik nicht denkbar waren. Eines der wichtigsten Ziele, das sich Polen setzte, war die Entsowjetisierung ihrer Geschichtsschreibung. Nach dem Systemwechsel kam es folglich Anfang der 1990er Jahre ebenfalls zu einer umfassenden Debatte über die Vertreibungen der Deutschen, bei der es auch um die moralische Dimension der Zwangsaussiedlungen ging. Die größten Zeitungen Polens wie die liberale Gazeta Wyborcza oder der Dziennik Powszechny widmeten dieser Thematik schon damals zahlreiche Beiträge. Darüber hinaus erschienen dazu viele Publikationen und Abhandlungen. Die breitgeführte polnische Vertreibungsdebatte wurde auf der Seite der deutschen Öffentlichkeit leider nur peripher wahrgenommen.

Die aktuelle Debatte

Die wohl heftigste Debatte löste in Polen jedoch der BdV mit der Lancierung der Idee zum Bau eines »Zentrums gegen Vertreibungen« aus. In der deutschen Hauptstadt sollte ein Mahnmal für die Opfer der Flucht und Vertreibungen entstehen. Betont wurde vom BdV, dass es sich dabei um eine Dokumentationsstätte im geschichtlichen Kontext handeln sollte, die das Schicksal der deutschen Vertriebenen sowie Vertreibungen und Genozide an anderen europäischen Völkern im 20. Jahrhundert erfahrbar machen soll. Beunruhigend für den östlichen Nachbarn Deutschlands war es jedoch, dass durch das Ziel, die Vertreibungsgeschichten des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten, die Vertreibung der Polen und der Deutschen im Zweiten Weltkrieg gleichgesetzt werden sollte. Bei der Erörterung dieses Vorhabens kamen in der polnischen Öffentlichkeit Befürchtungen auf, dass ein so wichtiges Vorhaben nicht von der deutschen Regierung, sondern vom BdV lanciert worden sei - einer Organisation, die bis zur Jahrtausendwende immer wieder revanchistische Forderungen an den polnischen Staat gestellt hat. Die fast gleichzeitige Gründung der »Preußischen Treuhand« hat bei den Polen derartige Befürchtungen umso mehr bestätigt.

Viele polnische Intellektuelle erörterten das Projekt eines Zentrums in Berlin. Doch im Gegensatz zu der in Deutschland stattfindenden Debatte lehnte man in Polen das Projekt schon nach kurzer Zeit übereinstimmend ab, weil man das Zentrum in Berlin eher als Hindernis für eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur sah. Polnische Medien griffen das Thema der Entstehung des ZgV auf, indem sie das künftige Mahnmal als Ort einer geschichtsrevisionistischen Stätte des BdV bezeichneten und heizten die Debatte in Polen noch zusätzlich an. Darüber hinaus meldeten sich wichtige Persönlichkeiten und veritable Kenner der deutsch-polnischen Geschichte zu Wort, die den Bau des ZgV ablehnten. In ganz Polen betrachtete man die Organisation des BdV seit eh und je mit Zurückhaltung. Gerade Entwicklungen, wie etwa die Erhebung von Restitutionsansprüchen des BdV an Polen, der Berliner Appell von Erika Steinbach oder die schon erwähnte Gründung der »Preußischen Treuhand« trugen vermehrt zu Irritationen auf der polnischen Seite bei. Man wollte nicht, dass die Deutungshoheit für so ein so wichtiges Vorhaben allein dem BdV überlassen wird.

Das unsichtbare Zeichen

Der im März 2008 ausgehandelte Kompromiss der Errichtung des »Sichtbaren Zeichens« entspannte die seit mehreren Jahren verfahrene Situation im deutsch-polnischen Vertreibungsdiskurs. Der neue Gesetzentwurf des damaligen Kulturstaatsministers wurde diesmal mit Einbeziehung der polnischen Seite durch diplomatische Anstrengungen  behutsam vorbereitet. Dieser Vorschlag unterschied sich signifikant vom ursprünglichen Entwurf, des BdV. Der lang andauernde Streit, der zwischen Berlin und Warschau wegen der ersten Konzeption entbrannt war, wurde somit größtenteils beigelegt.

Die bis heute immer noch aktuelle Debatte in Polen wurde abermals durch die Besetzung des Postens im Stiftungsrat entfacht, auf den Erika Steinbach durch den BdV unisono vertretend  Anspruch erhob. Folglich wurde die Vertriebenenpräsidentin, die in Polen schon länger als persona non grata gilt, im Februar 2009 vom BdV für den Stiftungsbeirat des geplanten Dokumentationszentrums »Flucht, Vertreibung Versöhnung« nominiert. Die Diskussion um die Besetzung der Stelle im Stiftungsbeirat entwickelte sich endgültig zu einem Politikum, nachdem sich die CDU/CSU demonstrativ hinter Erika Steinbach stellte. Die Lager waren diesmal jedoch klar verteilt, auf der Seite der Befürworter standen verlassen die CDU/CSU, die Gegenseite wurde von allen anderen Zugehörigen des deutschen Parteienspektrums vertreten. Da die SPD als Koalitionspartei der CDU nicht bereit war, Erika Steinbachs Kandidatur für den Posten zu bestätigen, sah sich die Vorsitzende des BdV gezwungen, auf die Stelle im Stiftungsbeirat zu verzichten.

Wie brisant bis heute um die Deutungshoheit über das Projekt gestritten wird, zeigen immer wieder neue Rochaden beim Stiftungsbeirat. Am besten konnte man dies Anfang Juli 2015 bei der Wahl des neuen Direktors der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung«, Winfrid Halder, beobachten. Dabei kam es wieder zu einem Eklat, sodass dieser bereits vor seinem Amtsantritt Ende 2015 auf den Posten verzichtete. Ein sichtbares Zeichen für die Versöhnung ist nach fünfzehn Jahren immer noch nicht in Sicht.

 

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