Ein Schmuggelfund aus dem KZ – Ideen für einen fächerübergreifenden Unterricht
Von Anne Lepper
Geschichte auf interessante und nachvollziehbare Weise erfahrbar zu machen, das ist eine schwierige und dennoch wichtige Aufgabe, der sich Geschichtslehrer/innen und andere Multiplikator/innen stellen müssen. Es ist oft nicht einfach, geeignete Beispiele und Medien zu finden, die Jugendliche ansprechen und für das Lernen über und aus der Geschichte zu begeistern. Dabei kann es hilfreich sein, an die individuelle Erfahrungswelt der Jugendlichen anzuknüpfen und Themen auf individuelle und spannende Weise miteinander zu verknüpfen. Eine von Dr. Constanze Jaiser und Jacob David Pampusch erstellte Projektmappe bietet eine gelungene Möglichkeit, auf multiperspektivische und interdisziplinäre Weise mit Kindern und Jugendlichen Zugänge zu verschiedenen Themenfeldern und zeithistorischen Kontexten zu finden.
Ein Schmuggelfund aus dem KZ
Die Projektmappe, die aufgrund ihres Umfangs eher als Projektkoffer bezeichnet werden müsste, bietet eine vielseitige und umfangreiche Sammlung an historischen Dokumenten, Unterrichtsmaterial und methodischen Überlegungen. Im Zentrum steht dabei ein bemerkenswerter Fund, der im Jahr 1975 in einem Waldstück in der Nähe von Neubrandenburg gemacht wurde. Dank eines Hinweises eines ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen, der im nahegelegenen Stalag IIA inhaftiert war, fand ein Suchtrupp der DDR-Staatssicherheit einen Glasbehälter im Erdboden, der dort über dreißig Jahre unentdeckt geblieben war. In dem Behälter befanden sich zahlreiche Gegenstände – Briefe, Zeichnungen, Gedichte, Listen und eine Schnitzerei, die von weiblichen Gefangenen des Konzentrationslagers Ravensbrück hergestellt worden waren. In Zusammenarbeit mit polnischen Kriegsgefangenen des Stalag IIA, zu denen über die Zwangsarbeit an identischen Einsatzorten Kontakte bestanden, hatten sie im Laufe ihrer Gefangenschaft zunächst Papier und anderes Material in das Lager geschmuggelt, um das Leid und die Gewalt im Lager zu dokumentieren und zu beschreiben. Später gelang es den Frauen, diese aus dem Lager zu schaffen und im Wald – in besagtem Glasbehälter – zu vergraben. In ihren Briefen und Gedichten machten die Frauen deutlich, dass sie anhand der geschmuggelten Dokumente sicherstellen wollten, dass die Welt über die Gräueltaten informiert würde, auch wenn sie das Kriegsende selbst nicht erleben würden. Sie dokumentierten ihre Erlebnisse und Erfahrungen im Lager, erstellten Listen mit den Namen erschossener Gefangener und informierten über die grausamen medizinischen Versuche, die kontinuierlich an einer Gruppe weiblicher Gefangener aus Polen vorgenommen wurden. Viele der Frauen, die an dem Schmuggelprojekt beteiligt waren, überlebten tatsächlich nicht das Ende des Krieges. Dass ihre Texte nach vielen Jahren dennoch gefunden und bereits im Jahre 1989 auf den Druck ehemaliger Gefangener hin durch das Staatliche Museum Oświęcim/Auschwitz veröffentlicht wurden, bildete den Endpunkt einer beispiellosen Gemeinschaftsarbeit.
Erinnerung, Kunst und Menschenwürde
Die Projektmappe, die mit den verschiedenen, im Schmuggelfund erhaltenen Texten, künstlerischen Dokumenten und Informationen arbeitet, bietet die Möglichkeit, sich im Rahmen eines fächerübergreifenden Unterrichts dem Thema auf multiperspektivische Weise anzunähern. Die Auseinandersetzung mit den Menschenrechtsverletzungen im Lager, den individuellen Erfahrungen der Opfer und den verschiedenen Formen des Widerstands dient dabei dazu, Brücken zwischen historischen Lernen und Menschenrechtsbildung zu schlagen. In verschiedenen, individuell gestalt- und kombinierbaren Modulen können sich die Jugendlichen informieren, über Inhalte diskutieren und sich auf kreative Weise mit der Thematik auseinandersetzen. Die ausführliche und trotzdem sehr offene Beschreibung der einzelnen Methoden und Arbeitsschritte ermöglicht es den Lehrkräften, die Module an individuelle Bedürfnisse und Kompetenzen anzupassen. Dabei können die Module als Projekttage oder -Wochen miteinander kombiniert und ausgedehnt werden, oder einzeln im Rahmen einer Unterrichtsstunde oder eines Workshops durchgeführt werden. Eine der Projektmappe beigefügte Audio-CD, die neben den eingesprochenen Briefen und Gedichten des Schmuggelfundes auch Interviews, Lieder, Gedanken und Erinnerungen ehemaliger Gefangener enthält, macht die Texte für Jugendliche noch einmal aus einer anderen Perspektive erfahrbar. Zahlreiche Arbeitsblätter und Paarkarten machen den Schmuggelfund für die Schüler/innen auch auf haptischer Ebene zu einem Erlebnis. Historische Zusatzinformationen und methodische Vorschläge nehmen die Lehrkräfte bei der Entwicklung eigener Lerneinheiten an die Hand und ermöglichen eine unkomplizierte und individuelle Handhabung des in der Projektmappe enthaltenen Materials. Die Publikation eignet sich deshalb gerade im schulischen Kontext hervorragend für einen praxisbezogenen und fächerübergreifenden Einsatz. Die abwechslungsreichen Module bieten auch Gruppen mit Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten die Möglichkeit, anspruchsvolle Themen zu behandeln und eigene Gedanken zu entwickeln.
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- 20 Jan 2016 - 12:25