Antidiskrimierungsarbeit zu Roma und Sinti in Europa
Von Constanze Jaiser
Ein wichtiges Arbeitsfeld in der internationalen Jugendarbeit zum Thema Diskriminierung ist die Auseinandersetzung mit Minderheiten. Die größte Minderheit Europas sind die vielfältigen Gruppen der Roma und Sinti, die von Vielen (nicht unumstritten) unter der als Sammelbegriff gemeinten Überschrift "Roma" zusammengefasst werden. Ihre Geschichte und Kultur, ihre Ausgrenzungserfahrungen bis hin zur Ermordung ihrer Familien durch die Nationalsozialisten in einem grausamen Völkermord, der von vielen Roma und Sinti "Porajmos" genannt wird, aber auch die Kontinuitäten von Ausgrenzung in den verschiedenen europäischen Ländern bis zum heutigen Tag sind inzwischen Gegenstand vielfältiger politischer Maßnahmen wie auch pädagogischer Ressourcen. Einige von ihnen, die sich für die internationale Begegnungsarbeit eignen und online zugänglich sind, sollen im Folgenden empfohlen werden.
Ein Online-Modul zu Menschenwürde und zu Bildern von Roma und Sinti
Da wäre zunächst ein englischsprachiges Online-Modul zum Thema Historisches Lernen und Menschenrechte, das die Agentur für Bildung, Geschichte, Politik und Medien e.V. in Kooperation mit der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, im Auftrag der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte entwickelt hat. Zwei Kapitel sind insbesondere interessant für die Arbeit zu Diskriminierung damals und heute:
Chapter 1: Reflections on human dignity
und
Case Study 6: Images of Roma – continuities of discrimination
Bei ersterem handelt es sich um eine Möglichkeit, sich mit dem Begriff der Menschenwürde auseinanderzusetzen und selbst, als Gruppe, zu einer positiven Definition zu gelangen und die europäischen Bemühungen und Maßnahmen zum Schutz der Menschenwürde in den Blick zu bekommen. Eine Zeitleiste zu den wichtigsten menschenrechtlichen Entwicklungen seit 1945 hilft dabei, historische Meilensteine zum Schutz von Minderheiten und wichtige Daten zu den europäischen Institutionen in knapper Form nachvollziehen zu können.
Die Fallstudie widmet sich dagegen explizit den Kontinuitäten der Ausgrenzung von europäischen Roma und Sinti: Ausgehend vom Kontrast zwischen Selbstbildern und öffentlichen Bildern, die häufig genug Stereotype (re)produzieren, kommen Roma und Sinti zu Wort, die über ihre Erfahrungen zu den Themen Diskriminierung (damals und heute) und über ihre oft genug erfolglosen Bemühungen um Entschädigung für das im Nationalsozialismus erlittene Unrecht berichten.
Das gesamte Online-Modul steht in englischer Sprache zur Verfügung, zur Entstehung und Zielsetzung finden sich Informationen in der Einführung.
Ein Video – "We call ourselves 'Roma'"
Ein guter Kurzeinstieg in die Thematik Roma und Antidiskriminierungsarbeit ist auch das englischsprachige Video "We call ourselves 'Roma'", in dem die rumänische Romni und Menschenrechtsaktivistin Margareta Matache von der Harvard Universität wichtige Aspekte der größten europäischen Minderheit erläutert.
Zu finden ist das Video auf dem "Facing History Forum".
Begleitet von Musik, Karten und gut ausgewählten historischen und zeitgenössischen Fotos, werden verschiedene europäische Länder berücksichtigt, die Herkunft der Roma und Sinti erklärt und ein knapper geschichtlicher Überblick gegeben.
Das Toolkit "Dosta"
Ein hilfreiches englischsprachiges Handbuch, herausgegeben vom Europarat, Roma and Travellers Division, ist das "Dosta" genannte Toolkit.
"Dosta" meint in der Sprache der Roma „genug“, und das Toolkit soll dazu beitragen, Nicht-Roma mehr mit der Kultur der Roma-Mitbürgerinnen und -mitbürger vertraut zu machen.
Insbesondere das zweite Kapitel "Is this a stereotype ? A tool for fighting stereotypes towards Roma" (S. 19-33), enthält, übersichtlich und in klarer Sprache, Aufklärung zu 16 häufigen Stereotypen gegenüber der Minderheit, die sich gut als Diskussionsgrundlage für die Arbeit mit jungen Erwachsenen eignen. Ein weiterer Teil beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, eine Kampagne im Sinne von Anti-Diskriminierungsarbeit vorzubereiten und durchzuführen; von Planungscheckliste über die Erstellung eines Videos bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit sind zahlreiche nützliche Hinweise enthalten.
Planspiel zu Roma Migranten
A Case Study on Roma Migrants: A Simulation for Use in Youth and Adult Education
Das Planspiel wurde von Humanity in Action in Kooperation mit planpolitik entwickelt und gefördert von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" und dem Auswärtigen Amt. Es ist inspiriert von einem realen Fall und in englischer Sprache ausgearbeitet.
Eine Gruppe von EU-Bürgerinnen und -bürgern, die der Minderheit der Roma angehören, bewohnen, in Ermangelung einer angemessenen Alternative, einen öffentlichen Park als vorübergehende Sommerresidenz. Dies führt zu Kontroversen in der Nachbarschaft, zwischen Stadtverwaltung, Polizei und anderen Akteuren.
Ziel des Planspiels ist es, zwischen allen beteiligten Akteuren einen Konsens zu erreichen. Die Einigung sollte konkrete Schritte und Maßnahmen beinhalten.
Das Bildungsmaterial enthält ausgearbeitete Rollenkarten, dazu Karten für Verhaltensweisen und Handlungsoptionen, die aus der Rolle heraus möglich wären. Daneben finden sich zum einen Hintergrundinformationen in Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit für EU-Bürgerinnen und -bürger und die Situation der Roma, und zum anderen Informationen zu verbürgten Grund- und Menschenrechten, die eine Beziehung zur beschriebenen Situation aufweisen.
Schließlich helfen pädagogische Hinweise sowie ein Zeitplan bei der Vorbereitung und erfolgreichen Durchführung des einberufenen Runden Tisches. Die Gesamtdauer wird mit maximal vier Stunden angegeben.
Aus eigener Erfahrung kann ich versichern, dass es sich bei dieser Methode um ein absolut lohnenswertes Unterfangen handelt. Trotz des Ernstes der Inhalte bedeutet so ein Planspiel immer auch gehörigen Spaß sowie eine Möglichkeit, sich untereinander kennenzulernen und mitunter verborgene Talente zu entdecken. Nicht zuletzt führen die durch die Rollenkarten vorgeschriebenen Perspektivwechsel und Handlungsoptionen in der Folge zu einer kritischen Reflexion der eigenen Positionen und zu einem sogenannten Empowerment, das vielleicht sogar zum Starten einer eigenen Kampagne führt.
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- 27 Jan 2015 - 19:38