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Von der lokalen Initiative zur überregionalen Institution: Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Dr. Christine Glauning ist Historikerin und seit 2006 Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide.

Von Christine Glauning 

„NS-Lager entdeckt“ - so fing es an

„NS-Lager entdeckt“ titelte die taz am 21. November 1994. „Fast vollständig erhaltenes Fremdarbeiterlager in Treptow / Historiker fordern Gedenkstätte, Bezirk erwägt Teilabriß“ war im Untertitel zu lesen. Bereits ein Jahr zuvor waren Stadtplaner/innen auf das Barackenensemble in Niederschöneweide aufmerksam geworden. Mit der Entdeckung des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers begann ein jahrelanger Kampf um den Erhalt eines einzigartigen historischen Ortes und die Einrichtung eines Erinnerungsortes. Als ein erster Schritt wurde 1995 das rund 3,3 ha große Gesamtgelände unter Denkmalschutz gestellt ─ trotzdem ist noch im Jahr 2000 eine Original-Unterkunftsbaracke für den Bau eines Autohauses abgerissen worden. Elf von dreizehn Unterkunftsbaracken sowie eine zentrale Wirtschaftsbaracke, die inmitten eines Wohngebietes erbaut wurden, sind erhalten geblieben. Während des Zweiten Weltkrieges waren hier zivile Zwangsarbeiter, italienische Militärinternierte und weibliche KZ-Häftlinge untergebracht, die bei umliegenden Betrieben, u.a. beim Reichsbahnausbesserungswerk oder der Batteriefabrik Pertrix arbeiten mussten. (Vgl. Geppert 2013) 

Ohne bürgerschaftliches Engagement kein Erfolg

Die Mehrheit der NS-Gedenkstätten ist nicht durch staatliche Anordnung, sondern durch ehrenamtliches Engagement und gesellschaftlichen Druck „von unten“ entstanden – das war in Schöneweide nicht anders. Seit 1994 setzten sich die Berliner Geschichtswerkstatt, die Planergemeinschaft Duhlbach und Kohlbrenner, der Bund der Antifaschisten und Andere für ein „Dokumentations- und Begegnungszentrum zur NS-Zwangsarbeit“ auf dem Areal des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers ein (Vgl. Layer-Jung, Pagenstecher 2006).

Mit intensiver, letztlich zehnjähriger Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit, u.a. mehreren Schul-, Zeitzeugen- und Ausstellungsprojekten, gelang es, die politischen Entscheidungsträger/innen zu überzeugen. Begünstigend kam hinzu, dass in den 1990er Jahren intensiv über eine Entschädigung der noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ─ dieser lange vergessenen Opfergruppe ─ debattiert wurde. Am 21. Dezember 2004 beschloss das Abgeordnetenhaus des Landes Berlin, dass „am authentischen Ort in Berlin-Schöneweide eine Gedenk-, Informations-, Dokumentations- und Begegnungsstätte zur NS-Zwangsarbeit in Deutschland errichtet“ wird (Drucksache 15/ 3525, 21.12.2004). Rechtlich und organisatorisch sollte die Angliederung an die Stiftung Topographie des Terrors erfolgen. 

Ein internationaler Fachbeirat entwickelte für den neuen Erinnerungsort ein Konzept als Ausstellungs-, Archiv- und Lernort mit einem Schwerpunkt zur Geschichte der zivilen Zwangsarbeit, betonte aber, dass auch andere von Zwangsarbeit betroffene Gruppen berücksichtigt werden müssten. Da es bis dahin weder in Deutschland noch europaweit einen zentralen Erinnerungsort gab, an dem das Schicksal der zur Arbeit ins Deutsche Reich verschleppten Zivilbevölkerung thematisiert wurde, erachtete der Fachbeirat die internationale Ausrichtung des Dokumentationszentrums als besonders wichtig (Nachama u.a. 2007). 

2006-2014: Aufbauarbeit – wie entsteht ein lebendiger Erinnerungsort?

Am 24. August 2006 eröffnete auf einem Teil des historischen Lagerareals das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit. In zwei wieder hergerichteten Baracken waren Räume für Ausstellungen, Bildungsarbeit, Veranstaltungen, Archiv, Bibliothek sowie Büros entstanden. Nun ging die eigentliche Arbeit erst los ─ den historischen Ort mit Leben zu füllen. In den ersten Jahren konnten die Besucherinnen und Besucher zahlreiche Wechselausstellungen sehen, die z.T. mit internationalen Partnern erarbeitet worden waren. Verschiedene Bildungsangebote ─ Führungen, Seminare, Workshops ─ entstanden, für die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-Zwangsarbeit am historischen Ort. 2010 konnte das Dokumentationszentrum mit Baracke 13 die am besten erhaltene Unterkunftsbaracke erwerben, restaurieren, mit Zitaten zum Lageralltag sparsam musealisieren und zugänglich machen.

Mit der Eröffnung der Dauerausstellung „Alltag Zwangsarbeit 1938─1945“ im Mai 2013 wurde eine weitere wichtige Etappe erreicht. Das Bildungsprogramm ist seitdem weiter ausgebaut worden: z.B. durch einen Museumskoffer mit 60 Gegenständen, einem Seminar zu Akteuren der NS-Zwangsarbeit oder zum Umgang mit historischen Fotografien mit der Methode der segmentellen Bildanalyse. Mittlerweile wird das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit überregional und international als zentrale Anlaufstelle für die Geschichte der zivilen Zwangsarbeit wahrgenommen: Immer mehr Anfragen ─ zu inhaltlichen Aspekten, v.a. aber zur Schicksalsklärung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ─ erreichen das kleine Team.

Im Lauf der Jahre hat sich herauskristallisiert, wie notwendig es ist, über die verschiedenen Zwangsarbeitergruppen und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu informieren (zivile Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge). Vor allem aber besteht Aufklärungsbedarf über die zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter: die größte der Gruppen mit rund 8,4 Millionen Betroffenen und deren sehr unterschiedlichem Schicksal ─ je nach Nationalität, Geschlecht, Arbeitseinsatzort, Art der Unterkunft etc. 

2015-? Perspektiven für die Zukunft

Zwei wichtige Großprojekte sind in den nächsten Jahren zu realisieren: zum einen der Umbau von zwei ungenutzten Baracken für einen neuen Wechselausstellungsraum, mehr Platz für das historische Archiv, die Bibliothek, einen größeren Veranstaltungsraum sowie vor allem eine internationale Jugendbegegnungsstätte bis Herbst 2015. Zum anderen wird in einer weiteren Baracke bis Ende September 2016 eine vom Auswärtigen Amt finanzierte Dauerausstellung zur Geschichte der italienischen Militärinternierten entstehen ─ ein Ergebnis der Empfehlungen der deutsch-italienischen Historikerkommission (vgl. Bericht Deutsch-Italienische Historikerkommission).

Von Anfang an war geplant, dass das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit gleichermaßen vom Land Berlin wie vom Bund getragen wird. Bislang ist eine Beteiligung des Bundes nicht erfolgt; die chronische Unterfinanzierung stellt das Dokumentationszentrum vor viele Probleme – so kann das wachsende Archiv nicht sachgerecht betreut und die zunehmenden Anfragen nur unzulänglich beantwortet werden. Auch 2014 verweigert das Bundeskulturministerium weiterhin eine institutionelle Förderung und spricht dem Dokumentationszentrum das „Alleinstellungsmerkmal“ ab ─ notwendige Voraussetzung, um eine Bundesförderung zu erhalten. Dies zu ändern, wird in den nächsten Jahren sicherlich eine der größten Herausforderungen sein. 

Literatur

Bericht der von den Außenministern der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik am 28. März 2009 eingesetzten Deutsch-Italienischen Historikerkommission, Juni 2012. http://www.rom.diplo.de/contentblob/3762438/Daten/3476747/hikostudie.pdf

Drucksache Abgeordnetenhaus von Berlin, 15/ 3525, 21.12.2004

Daniela Geppert: Mitten in der Stadt: Das GBI-Lager 75/76 in Berlin-Schöneweide, in: Alltag Zwangsarbeit 1938-1945. Katalog zur gleichnamigen Dauerausstellung. Hg. vom Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit der Stiftung Topographie des Terrors, Berlin 2013, S. 54-73.

Gabriele Layer-Jung, Cord Pagenstecher: Einführung, in: „NS-Lager entdeckt“. Zwangsarbeiterlager Schöneweide wird historischer Lernort. Hg. vom Förderverein für ein Dokumentations- und Begegnungszentrum zur NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide, Berlin 2006, S. 7-9.

Andreas Nachama, Christine Glauning, Katharina Sophie Rürup (Hg.): Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide. Zur Konzeption eines Ausstellungs-, Archiv- und Lernortes. Berlin 2007, S. 50.

 

 

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