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Beitrags-Autor: Nadja

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Von Ingolf Seidel

Die Kinderoper "Brundibár" zählt sicherlich zu den einer breiteren Öffentlichkeit bekannteren künstlerischen Überlieferungen aus Ghettos und Lagern. Die Geschichte des bösen Leierkastenmannes Brundibár, gegen den sich die Geschwister Aninka und Pepíček mit Hilfe anderer Kinder solidarisch erwehren, wurde im Ghettolager Theresienstadt über fünfzigmal aufgeführt. Nachdem die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz das Projekt "Nach Brundibar" mit der Jugendtheatergruppe "DIE  ZWIEFACHEN" realisiert hat, kommt jetzt mit "Wiedersehen mit Brundibár" ein ganz bemerkenswerter Film über den Entstehungsprozess dieses Stückes in die Kinos.

Eine Kinderoper im Ghettolager

Die Oper "Brundibár" stammt von Hans Krása und Adolf Hoffmeister. Die Oper wurde 1938 im Stil eines Lehrstückes à la Brecht geschrieben. Ihre Erstaufführung durch Rudolf Freudenfeld fand 1941 in einem jüdischen Waisenhaus statt. Krása, der aus einer assimiliert jüdischen Familie stammte, wurde am 10. August1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort beteiligte er sich wesentlich an der Organisation des kulturellen Lebens. Als Freudenfeld dann im Jahr 1943 selbst nach Theresienstadt verschleppt wurde, übergab er Krása den Klavierauszug der Oper, auf dessen Basis dieser eine Neuinstrumentierung schuf. Das künstlerische Projekt gab den Kindern im Ghettolager einen Anschein von Normalität und Hoffnung, auch wenn die Mehrzahl der Mitspielenden schließlich ermordet wurde. Nebenher missbrauchten die Nationalsozialist/innen die Aufführungen zur Täuschung einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes in Theresienstadt. Hans Krása wurde am 16. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Die Kinderoper wurde seit den späten 1970er Jahren mehrfach neuinszeniert. Die Besonderheit der Aufführung "Nach Brundibar" liegt in der Zusammenarbeit der Jugendtheatergruppe DIE ZWIEFACHEN mit Kindern des Chores der Deutschen Oper. DIE ZWIEFACHEN sind Jugendliche aus unterschiedlichen betreuten Wohnprojekten, die ihre ganz eigene Lebensgeschichte mitbringen, oder wie die 18-jährige Protagonistin Ikra es im Film nennt, "immer Gepäck auf dem Rücken haben, ... Rebellen und so". Die Jugendlichen arbeiten mit der Theaterpädagogin Uta Plate zusammen. Plate hat die Theatergruppe 1999 ins Leben gerufen und seitdem bereits unterschiedliche Projekte realisiert.

Ein Reise nach Theresienstadt

Der deutsch-tschechische Film "Wiedersehen mit Brundibár" des Regisseurs Douglas Wolfsperger ist weit mehr als das Making-of eines Theaterstücks. Selbstverständlich erzählt der Film von den Proben und der Premiere. In weiteren Erzählsträngen stehen jedoch das Leben der Jugendlichen und ihre ganz persönliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust im Mittelpunkt: So auf einer Reise nach Theresienstadt mit Greta Klingsberg, die selbst dort das Zimmer 25 bewohnte und im Brundibár die Rolle der Aninka sang. Im Gespräch mit den Jugendlichen erzählt sie, welche Bedeutung es für sie hatte, auf der Bühne zu stehen, für einige Momente den Hunger zu vergessen und sich in ein normales Kinderleben zu versetzen. Wolfspergers Film ist emotional. Sensibel hat es der Regisseur vermocht, jene Momente einzufangen, in denen Gefühle tragend sind, ohne jedoch die Gespräche der Schauspieler/innen mit der Holocaustüberlebenden künstlich zu dramatisieren oder gar zu verkitschen. Vielmehr spiegelt der Film die Annäherung und die Fragen der Schauspieler/innen an die Geschichte und an die Überlebende wider – auf kognitiver wie auch auf emotionaler Ebene. Etwa als Greta Klingsberg die Jugendlichen durch Theresienstadt führt und ihnen Fragen nach Tod und Deportation beantwortet, vor denen die Erwachsenen im Ghettolager die Kinder ein wenig zu schützen versuchten. Im Anschluss an die Führung durch Theresienstadt diskutieren die Jugendlichen die Frage, wie es zum Massenmord und den Konzentrationslagern kommen konnte. Sie überlegen, welche Rolle Manipulation spielte und kommen zu dem Schluss: "Aber selbst diese Masse, die manipuliert wurde, da war etwas drin. Du kannst ja keine Kartoffel aus dem Beet rausholen, wenn nichts vorher reingepflanzt wurde." In solchen Aussagen offenbart sich ein hohes Maß an Geschichtsbewusstsein. Greta Klingsberg beschließt diese Passage mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, jeweils für sich selbst zu reflektieren, wie man durch die soziale Umwelt manipuliert wird und wieviel man davon zulässt. Der Film leistet also ein Stück dessen, was guter Geschichtsunterricht vermögen sollte: Er erzählt Geschichte(n), die in einen Kontext gestellt werden und nicht von den Menschen abgekoppelt werden. Er zeigt die Jugendlichen als Teil eines Lernprozesses, in welchem sie selber reflektierende Akteur/innen und somit Subjekt – nicht Objekt – einer Bildungserfahrung sind. Der Film wird auf den "Internationalen Hofer Filmtagen" im Oktober 2014 seine Deutschlandpremiere haben und voraussichtlich ab Dezember in die Kinos kommen.

Wiedersehen mit Brundibar. Ein Film von Douglas Wolfsperger, 85 Min. Kino-Doku / Cinemascope, Buch + Regie: Douglas Wolfsperger, Schnitt: Frank Brummundt, Kamera: Frank Amann, Igor Luther, eine Douglas Wolfsperger Filmproduktion, Berlin in Co-Produktion mit Negativ-Film, Prag / Cine Impuls, Stuttgart /WDR in Zusammenarbeit mit arte.

 

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