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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Jens Dobler, Kristine Schmidt, Kay Nellißen
Nachdem die Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin (HIB) im Jahr 1980 ihre Aktivitäten und Veranstaltungen eingestellt hatte, arbeiteten einige der ehemaligen Mitglieder mit Uschi Sillge weiter und versuchten erneut einen Klub für Lesben und Schwule zu gründen. Mitte Februar 1986 ergab sich die Möglichkeit, den Mittzwanziger-Klub in der Veteranenstraße für Veranstaltungen zu nutzen. Immer am Sonntag, da der Klub dann frei war.
Uschi Sillge, die die Arbeit organisierte und heute Ehrenmitglied des Sonntags-Clubs ist, erinnert sich: „Im Februar 1986 hatten wir ihn gefunden, den Mittzwanziger-Klub in der Veteranenstraße. Die Klubleiterin Carola und ihr Stellvertreter Michael waren einverstanden, Veranstaltungen für Lesben und Schwule zu organisieren. Olaf B.[rühl] bestritt eine Veranstaltungsreihe „lesetheater“ und hatte Genet, Gide, Proust, Baldwin, Whitman usw. im Programm. Anfangs waren keine Besucher gekommen. Wir gaben per „Buschfunk“ die Information und plötzlich kamen mehr als dreißig Leute. Die Klubleitung konnte gut abrechnen und wir waren erst mal happy. Dann bekam das Kreiskulturhaus Mitte mit, was sich da für ein Publikum sonntags sammelte. Es kam zu Auseinandersetzungen. Trotz der Querelen organisierten wir bald jeden Sonntag Veranstaltungen.“[1] So ging es bis zum November, dann wurde der Mittzwanziger-Klub wegen Rekonstruktionsarbeiten geschlossen und nie wieder eröffnet.
Es wurde also wieder nach Räumen gesucht. Mit Genehmigung der Hausgemeinschaftsleitung des Wohnhauses in der Choriner Straße 9 fanden dort zeitweise Treffen in einem Abstellraum statt, der mit Möbeln vom Sperrmüll dafür hergerichtet wurde. Schließlich kamen die Frauen und Männer in wechselnden Klub-Gaststätten unter; auch hier waren immer nur die Sonntage frei. Darum setzte sich ab 1987 der neutrale Name „Sonntags-Club“ durch. Zu neutral, fanden einige Mitglieder: „Dann hörte ich nach einer Weile, dass das ganze Sonntags-Club heißt und äußerte mich unzufrieden. Naja, da weiß doch niemand, was wir für ein Club sind – Sonntags-Club – und Uschi meinte, ‚Bist Du naiv oder was? Einen anderen Namen, das geht doch gar nicht, da verbieten die uns, das wird nichts. Sei froh, dass wir diesen Namen gefunden haben jetzt.‘ Ja, den Namen hat ja der Club heute noch.“[2]
So entstand der erste nicht kirchlich angebundene Klub, der allmählich zu einem Anlaufpunkt für Lesben und Schwule aus der ganzen DDR wurde. Im Frühjahr 1988 versuchte der Sonntags-Club im Kreiskulturhaus Prater, Prenzlauer Berg, unterzukommen, wurde aber letztlich abgelehnt. Astrid Lehmann, damals Abteilungsleiterin für Agitation und Propaganda der SED-Kreisleitung Prenzlauer Berg erinnert sich zu diesem Vorgang: „Ich wusste, dass es den Homosexualitätsparagrafen nicht mehr gab und dass nichts dagegenspräche. Das war im Übrigen auch die Meinung der meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kreisleitung. Der zweite Sekretär sträubte sich jedoch gegen das Ansinnen. Er meinte, dass es schon genug ‚widerspenstiges‘ und ‚absonderliches‘ im Kreis gebe und die Homosexuellen woanders unterkommen sollten. Ich hatte den Eindruck, dass dahinter Vorurteile persönlicher Art steckten, die er nun über die offizielle Schiene einbrachte.“[3] Der Sonntags-Club kam dann im Kreiskulturhaus in Mitte unter.
Eines der Hauptanliegen des Sonntags-Clubs war die Annahme und Veröffentlichung von Anzeigen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Zeitungen und Zeitschriften. Die Möglichkeiten für homosexuelle Kontaktanzeigen waren seit den siebziger Jahren untersagt beziehungsweise wesentlich erschwert worden. In Eingaben und Gesprächen versuchte Uschi Sillge immer wieder die Notwendigkeit dieser Anzeigen gegen die Isolation der Lesben und Schwulen zu betonen. Ab Mitte der achtziger Jahre wurden dann entsprechende Kontaktanzeigen zögerlich wieder zugelassen. Wobei die Offenheit sich nicht in Rubriken wie „ER sucht IHN“ oder „SIE sucht SIE“ ausdrückte, sondern Anzeigen allenfalls getarnt, versteckt und verschämt gebracht wurden.
Die Aufhebung der Isolation vieler Lesben und Schwuler in der DDR war ein weiteres wichtiges Anliegen des Sonntags-Clubs. Hierzu trug die „Postbearbeitungsgruppe“ wesentlich bei. Sie pflegte einen umfangreichen Briefkontakt, indem sie die Programme der Veranstaltungen an Interessierte verschickte, Anfragen beantwortete und versuchte bei persönlichen Problemen Hilfestellung zu leisten. Sie bot so für viele homosexuelle Menschen die einzige Möglichkeit zum Austausch über ihre oft einsame Lebenssituation.
Im Sonntags-Club wurde auf Geschlechterparität gesetzt und verschiedene Interessengruppen gebildet. Der Clubrat setzte sich aus den jeweiligen Gruppenleiterinnen und -leitern zusammen. Schon im ersten Halbjahresprogramm von 1988 wurden die Sparten Literatur, Geschichte, Film, Bildende Kunst, Fotografie, Wandern/Radwandern, Theorie, Motoristik und der Gesprächskreis Aids vorgestellt und weitere vorgeschlagen. Die Vervielfältigung der Programme gestaltete sich schwierig, da in der DDR ausschließlich Schreibmaschinendurchschläge zur Mehrfachausfertigung erlaubt waren. Diese Auflage wurde umgangen, indem einzelne Beteiligte heimlich die Druckvorrichtungen in ihren Betrieben nutzten oder Druckgenehmigungen auf der Basis einer erdachten Drucknummer zu erhalten suchten.
Der Sonntags-Club galt aus Sicht der kirchlichen Oppositionsgruppen als staatsnah. Die Stasi führte ihn jedoch, wie die anderen lesbischen und schwulen Gruppen auch, als „feindlich-negative Kraft“. Grundsätzlich galt die Direktive der Stasi, die Bildung einer Homosexuellenorganisation in der DDR zu verhindern.[4]
Um „gezielte Profilierungsbestrebungen homophiler Personen“ zurückzudrängen und „Aktivitäten provokatorisch-demonstrativen Charakters (z. B. Kranzniederlegungen an Gedenkstätten)“ zu verhindern, versuchten die staatlichen Stellen in Abstimmung mit der Staatssicherheit mit einer Reihe „komplexer staatlicher und gesellschaftlicher Maßnahmen, der Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit, einschließlich der Publizierung staatlicher Standpunkte zum Problem der Homosexualität“, die Lesben- und Schwulenbewegung zu bekämpfen. Als staatliche Maßnahmen werden ausdrücklich genannt zum Beispiel eine Diskussion in der Zeitschrift Deine Gesundheit vom November 1984 und das Buch von Professor Rainer Werner „Homosexualität – Herausforderung an Wissen und Toleranz“. Damit sollte die „Etablierung einer sogenannten Homosexuellen-Bewegung in der DDR und der politische Missbrauch solcher Gruppierungen durch äußere und innere Feinde“ wirksam unterbunden werden.[5]
Als einen solchen „inneren Feind“ hatte die Stasi klar Uschi Sillge im Visier. In den Stasidossiers gibt es ausführliche Stellungnahmen über sie, mehrere IMs waren direkt auf sie angesetzt. In einer Einschätzung von 1988 heißt es: Seit 1983 habe sie wiederholt an staatliche Stellen Forderungen zur Emanzipation der Homosexuellen gestellt. Sie habe versucht sich als Expertin zur Homosexualität in der DDR aufzubauen. Eine private Reise in die BRD habe sie gezielt „missbraucht“, um Schwulengruppen in der BRD zu besuchen (wobei die Gruppe GLF-Köln – Gay Liberation Front – fälschlicherweise als „Bewaffnete Schwule Front“ übersetzt wurde). Ihr Lebenslauf wurde aufgerollt. Sie sei in keiner Partei, arbeite nicht, sondern lasse sich von ihrer Freundin aushalten, „alle ihre Aktivitäten sind nach vorliegenden internen Erkenntnissen durch ihren überzogenen Drang nach Emanzipation und gesellschaftlicher Bestätigung sowie durch ihr spezifisches Sexualverhalten motiviert.“[6]
Der künftige Umgang mit dem Sonntags-Club war doppelbödig. Man versuchte ihn einerseits in Schach zu halten und zu kontrollieren[7], andererseits wurde IM Walter Fichte mit gezielten operativen Maßnahmen betraut. Er wurde beauftragt „vor allem neue Mitglieder des Sonntags-Club und der Interessengemeinschaften einer systematisch politisch-ideologischen, charakterlichen, kontaktmäßigen und freizeitlichen Aufklärung zu unterziehen.“ Ferner sollte er einen Keil zwischen die Kirchengruppen und den Sonntags-Club treiben. Er sollte sich, so sein Auftrag weiter, „besonders bei der Aufklärung auf die Personen und Mitglieder […] beziehen, die eine bewusste Konfrontation zwischen bestehenden homosexuell-kirchlichen Arbeitskreisen und außerkirchlich bestehenden homosexuellen Arbeitskreisen in Verbindung mit Staatsorganen suchen.“[8] Es ist nicht auszuschließen, dass man sich eine weitere Hintertür, die der Zerschlagung auf „sanfte Weise“, offenließ.
Nach diesen Strategieüberlegungen, die vor allem im ersten Quartal 1988 stattfanden, änderte sich der staatliche Umgang mit dem Sonntags-Club. In einem Informationspapier der Volkspolizei, Abteilung Schutzpolizei, Referat Erlaubniswesen, vom 6. Mai 1988 wird über eine Tagung der Arbeitsgruppe Homosexualität der Humboldt-Universität berichtet. Es wird festgestellt, dass in der DDR „Menschen, die homosexuell veranlagt sind, nicht diskriminiert werden und eine feste Stellung in der Gesellschaft einnehmen.“ Der Sonntags-Club wird als Interessenvertretung der Homosexuellen ausdrücklich genannt und anerkannt, vor allem in Bezug auf Aufklärungsarbeit über Aids und HIV. Es wird angekündigt, dass der Sonntags-Club, der im Kreiskulturhaus Mitte ansässig sei und von der Arbeitsgruppe der Humboldt-Uni „angeleitet“ werde, in Zukunft „eventuell“ weitere Beratungsstellen im Stadtgebiet aufbauen werde. Da dieses Papier vom Referat für Erlaubniswesen der Volkspolizei kam, macht es die künftige Bedeutung deutlich.[9]
In der weiteren Zusammenarbeit kristallisierten sich unter den Mitgliedern immer deutlicher unterschiedliche Ziele und Inhalte heraus. Im Januar 1989 erfuhr die Staatssicherheit, dass es zu einer Abtrennung „der Genossen“ vom Sonntags-Club kommen sollte.[10] Im Februar war die Trennung spruchreif, die neue Gruppe „Courage“ stellte sich in einem Flugblatt der Öffentlichkeit vor: „Frauen und Männer, die in der Leitung und verschiedenen Interessengruppen des Sonntags-Clubs mitgearbeitet haben, haben sich von diesem getrennt. Der Grund dafür war die Unfähigkeit der Leitung des Sonntags-Clubs, nach demokratischen Prinzipien eine effektive Umsetzung der eigenen Zielstellung zu verwirklichen, eine kollektive Leitungstätigkeit durchzusetzen und die Angliederung des Sonntags-Clubs an eine Trägereinrichtung im Rahmen der Möglichkeiten zu erreichen.“
Auch wenn interne Querelen eine Rolle spielten, wie es in allen Bewegungen vorkam und vorkommt, bestand die Gruppe Courage deutlich aus „Genossen“, die dem Staat nahestanden und den Sonntags-Club zu oppositionell befanden. Obgleich Courage sehr SED- und FDJ-nah war, erhielt auch sie von der Staatssicherheit keinen Freibrief. IM „Jürgen“ überwachte Courage bis Oktober 1989.[11]
Die Zeit nach ’89
Im Frühsommer 1990 konnten endlich eigene Klubräume angemietet werden. Das Beratungs- und Informationszentrum „biz-Café“ wurde in der Rhinower Straße 8 in Prenzlauer Berg eröffnet. Der Info-Laden zog um die Ecke in die Kopenhagener Straße 14. Ein weiterer Meilenstein zur Anerkennung des Clubs wurde mit der Eintragung in das Vereinigungsregister des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte am 9. Juli 1990 erreicht.
Micha Unger, der schon in Anfangszeiten der HIB mitgearbeitet hatte, wurde 1996 als Geschäftsführer eingesetzt. Die ursprünglich vereinbarte geschlechterparitätische Arbeit im Club ist auch heute noch durch die Besetzung im Vorstand gewährleistet.
Als die Räumlichkeiten in der Rhinower Straße zu klein wurden, zog der Verein 1999 in die Greifenhagener Straße 28, eine ehemalige Bibliothek, wo er noch heute zu Hause ist. Hier finden Gruppenangebote für Frauen, Männer und transidente Menschen aller Altersstufen, themenorientierte Runden, Projekte, Selbsthilfegruppen zu verschiedenen Problematiken und politische Stammtische statt.
Das professionelle Beratungsangebot des Sonntags-Clubs bietet Hilfe in unterschiedlichen Bereichen an. Allgemeine Probleme im psycho-sozialen Bereich sowie Fragen zum Antidiskriminierungsgesetz werden fachlich behandelt. Zweimal monatlich halten Rechtsanwälte Sprechstunden zum Thema Arbeitsrecht ab. Der Löwenanteil der Beratungen bietet Raum für transidente Menschen. Ergänzt wird dieses Angebot durch Vorträge, Filme, Workshops und Gruppen. Das Café ist ein beliebter Treffpunkt für Unterhaltung und Information, auch für Interessierte von außerhalb. Ein umfangreiches Programm mit Vorträgen, Lesungen, Diskussionen, Musik, Kleinkunst, Ausstellungen und Partys hat sich etabliert. Der traditionelle Frauenfreitag ist zur festen Einrichtung geworden.
Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung aus:
Sonntags - Club (Hg.): Verzaubert in Nord – Ost Die Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee Berlin 2009.
[1] Uschi Sillge in: Jahresblätter des Sonntags-Club e.V., 1. Ausgabe, Dezember 1994.
[2] Henrike Hesse in dem Film von Anette von Zitzewitz: Viel zu viel verschwiegen, D 1992.
[3] Gespräch mit Astrid Lehmann, Geschäftsführerin des Kulturring e.V. am 25.1.2007.
[4] BStU MfS, HA XX/AKG, Nr. 853.
[5] BStU MfS – ZAIG Z 3668. Die Zeitschrift ‚Deine Gesundheit’ startete einen Aufruf zu einer Leser(innen)diskussion zum Thema Homosexualität, die von Professor Misgeld kommentiert wurde. Darin wird zwar ausdrücklich die Gleichwertigkeit der Homosexuellen bekräftigt, Forderungen nach einer Organisation oder eines eigenen Zentrums aber eine deutliche Absage erteilt.
[6] BStU MfS – ZAIG Z 3668.
[7] BStU MfS, BV Berlin Abt. XX, Nr. 4329. Der Rat des Stadtbezirkes Mitte empfahl dem Sonntags-Club städtische Räume zur Verfügung zu stellen, damit er „unter diesen Umständen besser kontrolliert werden und ein negativer Zulauf rechtzeitig festgestellt und beeinflußt werden kann.“
[8] BStU MfS, BV Berlin Abt. XX, Nr. 4329.
[9] LAB C Rep. 303-26-02, Karton 962, Nr. D 159.
[10] BStU MfS, BV Berlin Abt. XX, Nr. 4329.
[11] BStU MfS, BV Berlin Abt. XX Nr. 3114; BStU MfS, BV Berlin Abt. XX, Nr. 4329.
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- 20 Jan 2015 - 12:42