Sina-Christin Wilks „Als die Kirche dem Volk eine Stimme verlieh“
In ihrer Veröffentlichung „Als die Kirche dem Volk eine Stimme verlieh – Die evangelische Friedensarbeit und ihr Einfluss auf die politische Wende in der DDR“ gibt Sina-Christin Wilk einen Einblick in die Geschichte und Wirkung evangelischer Kirchen in der DDR. Ihre Fragestellung ist politischer Art und fragt rückblickend nach widerständigen Positionierungen aber auch Anpassung der Kirche gegenüber dem Staat. Ihr Schwerpunkt liegt entsprechend auf den Jahren 1980 bis 1989, da sie dort den wichtigen historischen Abschnitt der Friedensarbeit und des Widerstands innerhalb der Kirche ausmacht. Wilk fragt nach den Gründen für Konfrontationen zwischen Staat und Kirche und wie diese verhandelt wurden. Welcher Zusammenhang besteht also auch zwischen „Wende“ und der Kirche in der DDR?
In ihrem ersten Kapitel zur allgemeinen Situation der Kirche im Sozialismus wird zunächst das Selbstverständnis der evangelischen Kirchen und ihrer Pfarrer beleuchtet. Hierbei spielt für Silk insbesondere eine Rolle, wie diese sich innerhalb des realsozialistischen Staates verorteten und inwiefern sie sich damit in Prozesse der Liberalisierung des Staates einbringen wollten. Darauf aufbauend werden konkrete Schwierigkeiten angesprochen, die sich auf die Religionspädagogik beziehen. So war die sozialistische Erziehung in der DDR atheistisch konzipiert, Religionsunterricht sollte nicht stattfinden und wurde entsprechend nicht gefördert. Hinzu kam, dass es real keine veranschlagte Kirchensteuer gab, worüber die Kirchen ihre Bildungsangebote hätten finanzieren können. Verfassungsmäßig festgesetzte Rechte der Kirche wurden damit – denn Kirchensteuer war zu Beginn noch vorgesehen – missachtet um ihre Arbeit möglichst zu hindern. Zusätzlich zu fehlenden finanziellen Mitteln und rechtlichen Beschneidungen wurde der Einfluss der Stasi immer größer, so dass das offene Engagement in den Kirchen häufig mit einem sozialen Statusverlust einherging.
In diesem gesellschaftlichen Zustand war die Kirche automatisch in die Opposition gedrängt. Persönlichkeiten, von denen zwei im folgenden Kapitel vorgestellt werden, die sich aktivistisch betätigten, waren daher häufig Geistliche. So auch Pfarrer Oskar Brüseqitz, der auf soziale Missstände innerhalb der DDR aufmerksam machte und dessen Freitod – Selbstverbrennung vor seiner Kirche – insbesondere in der BRD eine große Medienöffentlichkeit erzielte. Darüber hinaus wird Pfarrer Matthias Storck vorgestellt. Er engagierte sich bereits in seinem Studium politisch und war aus diesem Grunde Repressalien ausgesetzt. Später wurde er inhaftiert und dann von der BRD gemeinsam mit seiner Ehefrau freigekauft. Seine Geschichte wird durch ein Interview anschaulich gemacht.
Auf die politische Rolle der Kirche wird sich zwar vor allen Dingen mit einem Bezug zu den 1980er Jahren hergestellt, doch versäumt es Wilk nicht, in zwei Etappen einen von 1949 bis 1961 und daran anschließend von 1962 bis 1978 zu versuchen. Zur Situation in den 1980er Jahren wird sie darauf aufbauend konkreter und stellt die Friedensbewegung in der Kirche in den Mittelpunkt. Zentraler Anstoß der Auseinandersetzung war die Forderung nach Abrüstung der DDR und der Möglichkeit eines Wehrersatzdienstes. Die Zuspitzung der oppositionellen Bewegungen sieht Wilk im Jahr 1987, als die Kontrollen und damit einhergehend die Beeinflussung von Staats wegen immens wurden.
In ihrem Fazit zum kirchlichen Widerstand macht Wilk ein ambivalentes Verhältnis aus. Die Frage, inwiefern die evangelische Kirche in der DDR nun widerständig oder angepasst agierte, ist nicht ohne Weiteres und eindeutig zu beantworten. In jedem Falle nähert sich die Autorin dieser vor dem Hintergrund, dass gegen Ende der 1980er Jahre die Kirche zunehmend als Bedrohung wahrgenommen wurde. Ausschlagend nach Wilk war in diesem Zusammenhang, dass das Engagement nicht vorrangig von offizieller Seite der Kirchen ausging. Vielmehr waren es die unterschiedlichen Gruppen, die sich unter dem Dach der Kirche organisierten, die einen bedeutenden Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse von Veränderung hatten.
Die vorgestellte Veröffentlichung eignet sich insbesondere für Lehrer/innen und Pädagog/innen im Allgemeinen, die sich dem Thema Kirche und DDR annähern möchten. Sie bietet einen guten Überblick, was zum einen eine Anschaulichkeit und Nachvollziehbarkeit des Textes hervorruft. Zum anderen bleibt der Text an einigen Stellen unkonkret, eine Vertiefung müsste an einzelnen Punkten durch andere Texte hergestellt werden. In seinem Überblickscharakter bemerkenswert ist die Positionierung der Autorin, die einen deutlichen bildungspolitischen Anspruch formuliert und die Geschichte der Kirche in der DDR kritisch befragen möchte. Entsprechend fällt auch das Fazit zufriedenstellend uneindeutig aus: Wenngleich der Titel etwas anderes vermuten lässt, wird die Kirche nicht als Vorreiterin der Liberalisierung vorgestellt und gleichzeitig jedoch wird ihr progressiver Charakter sichtbar gemacht.
Wilk, Sina-Christin (2012): Als die Kirche dem Volk eine Stimme verlieh. Die evangelische Friedensarbeit und ihr Einfluss auf die politische Wende in der DDR. Diplomica Verlag Hamburg. ISBN 978-3-8428-8693-3
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- 15 Mai 2013 - 01:32