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Was heißt guter Geschichtsunterricht?

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Johannes Meyer-Hamme, Holger Thünemann, Meik Zühlsdorf-Kersting (Hrsg.): Was heißt guter Geschichtsunterricht? Perspektiven im Vergleich. Schwalbach/Ts. (2012) 29,80 €. 

Von Ingolf Seidel

Die grundlegende Frage, was denn guten Geschichtsunterricht ausmache, bewegt nicht nur alltäglich Geschichtslehrer/innen. Die Fragestellung des hier vorgestellten Bandes tangiert alle am Zustandekommen und der Weiterentwicklung von Unterricht in irgendeiner Form Beteiligten. Dazu gehören neben den Lehrkräften auch die Schüler/innen, deren Blick auf die Leistung der Lehrkraft viel zu selten einbezogen wird. Selbstverständlich sind ferner zu nennen die Perspektiven von Geschichtsdidaktiker/innen unterschiedlicher Provenienz und die Sichtweisen von Fachleiter/innen in Studienseminaren. All diese Perspektiven unterschiedlicher Expert/innen sind in dem von Johannes Meyer-Hamme, Holger Thünemann und Meik Zühlsdorf-Kersting herausgegebenen Aufsatzband einbezogen, indem jeweils dieselbe videographierte Doppelstunde im Fach Geschichte zur Oktoberrevolution des Jahres 1917 aus unterschiedlichen Blickwinkeln ausgewertet und begutachtet wird.

Die Herausgeber verweisen auf mehrfache Lücken im Umgang mit Geschichtsunterricht im bundesdeutschen Kontext. Grundlegend fehle neben der Debatte um die Entwicklung historischer Kompetenz „eine Diskussion über guten Geschichtsunterricht, dessen Bedingungen und Ausdrucksformen“ (S.5). Die Kompetenzmodelle historischen Denkens seien, so Zühlsdorf-Kersting, „primär Konstrukte zur Bestimmung individueller Leistungsdispositionen und keine Instrumente zur Messung von Unterrichtsqualität.“ (S. 9f) Darüber hinaus konstatiert der Autor ein nahezu völliges Fehlen von teilnehmender empirischer Unterrichtsforschung in Deutschland und schlussfolgert, dass die Geschichtsdidaktik im deutschsprachigen Raum „kein messetheoretisch reflektiertes Modell zu Erfassung von Geschichtsunterricht hat vorlegen können, dass auch nur im Ansatz Objektivitäts-, Reliabilitäts- und Validitätsprüfungen unterzogen worden wäre.“ (S.12)

Meyer-Hamme macht darauf aufmerksam, dass die „Perspektive der Lernenden“ (S. 21) in der Formulierung von Kategorien zur Beurteilung dessen, was guter Geschichtsunterricht sei, bisher wenig beachtet würden. Dies ist im Grunde verwunderlich, denn als „Adressaten von Unterricht“ (S.22) wäre die Perspektive von Schüler/innen durchaus zu berücksichtigen, ohne sie zu verabsolutieren. Dementsprechend geht der Autor der Frage nach, welche Perspektiven die von ihm interviewten Schüler/innen auf die videographierte Stunde einnehmen, und „welche Kriterien die Schülerinnen und Schüler verwenden, um Geschichtsunterricht zu bewerten.“ (S. 23)

In der Beurteilung des Missstandes mangelnder Empirie schließt sich Mitherausgeber Thünemann an und hebt hier vor allem die Unterrichtsforschung hervor. In seinem Aufsatz zur Merkmalen guten Geschichtsunterrichts betont er, dass die subjektive Theorie von Geschichtslehrer/innen, also ihre „Aussagen- und Überzeugungssysteme“ (S. 41) zu betrachten sind, da gerade fachunspezifische oder – übergreifende Wissenselemente, die mit individuellen Erfahrungen verknüpft sind vielfach das Handeln der Lehrkräfte steuern würden. 

Den Ausführungen in den Aufsätzen der Herausgeber folgen sechs Beiträge unterschiedlicher Geschichtsdidaktiker/innen wie Michael Sauer, Andreas Körber, Gerhard Henke-Bockschatz/Christian Mehr, und Wolfgang Hasberg. Hervorgehoben seien hier die Einlassungen von Gautschi, Barth und Utz sowie der Text von Michele Barricelli. 

Gautschi et al. gehen in ihrer Kriterienaufstellung davon aus, dass ein guter  Geschichtsunterricht dann vorläge, wenn die Schüler/innen über relevante fachspezifische Themen und Inhalte „mittels  eines Unterrichtsprozesses (...) relevantes geschichtliches Wissen und für Historisches Lernen grundlegende Kompetenzen sowie Überzeugungen erwerben und ausdifferenzieren“ (S. 74) Die Autor/innen ziehen zur Beurteilung der Unterrichtsstunde den Beurteilungsbogen von Gautschi heran und nutzen 15 Gütekriterien zur Beurteilung  der Unterrichtsstunde. 

Barricelli macht auf den grundlegenden Umstand aufmerksam, dass “Erzählen zunächst Deckmerkmal sowie Inbegriff von geschichtlicher Bildung“ (S.123) ist, ein Geschichtsunterricht ohne Erzählung also kein solcher sei. Das Gelingen einer Unterrichtsstunde hängt folglich ab von der „Durchgängigkeit, Varianz und Reflexion des erzählerischen Prinzips“ (ebda.), dieses würde allerdings, obwohl daran die Möglichkeiten zur Erwerbung narrativer Kompetenz geknüpft seien, kaum gemessen.

Die Perspektiven von Fachleiter/innen sind in Aufsätzen von Kristina Lange, Johannes Heinßen und Ludger Schröer repräsentiert. Dabei nutzt Schröer das vorliegende Videomaterial einer Geschichtsstunde als Möglichkeit, die Aspekte Hausaufgabenbesprechung und Lehrererzählung besonders zu betrachten und für die Lehrerbildung nutzbar zu machen. Aus dem zentralen Charakter der Erzählung für den Geschichtsunterricht leitet er die Notwendigkeit ab, „ den Gegenstand ‚Lehrerzählung’ in ein umfängliches Ausbildungscurriculum zur historischen Methode einzubinden.“ (S. 211) 

In Form einer vergleichenden Betrachtung aller hier versammelten Aufsätze kommt Hilke Günther-Arndt zu dem Schluss, dass alle Autor/innen aus der Sicht von Experten für Geschichtsunterricht argumentieren würden, während „Schüler und Lehrer, die eigentlichen Akteure im Geschichtsunterricht, (...) bei der empirischen Unterrichtsforschung im engeren Sinne ausgeblendet“ blieben. Sie plädiert abschließend für mehr Realitätsnähe der Geschichtsdidaktik und betont, dass der Erfolg von Geschichtsunterricht nicht zuletzt von der fachunspezifischen Grundqualifikation der Lehrkräfte abhängen würde, eine anregende und vertrauensvolle Kommunikationssituation herzustellen. Vielleicht lässt sich dieser Hinweis auch derart interpretieren, dass es für das Gelingen von Unterricht im Allgemeinen grundlegend hilfreich wäre, würden Lehrer/innen sich vermehrt als Pädagog/innen begreifen und nicht in erster Linie oder ausschließlich als Didaktiker/innen. Die Herausgeber haben zweifellos mit dem vorliegenden Band einen wichtigen Impuls zur Annäherung an die Antwort auf die titelgebende Frage gegeben.

 

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