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Ein Planspiel für den Geschichtsunterricht: „DDR 1989/1990 – Der Zentrale Runde Tisch“

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Alesch Mühlbauer ist Politologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft e.V. Zu seinen Schwerpunkten gehören die schulische Vermittlung der Geschichte der deutschen Teilung und Wiedervereinigung sowie die Arbeit mit Zeitzeug/innen.
Von Alesch Mühlbauer

„Wir waren die Vorschule der Demokratie“, so sah Karl-Heinz Ducke, einer der drei Moderatoren des Zentralen Runden Tisches die Arbeit der Institution, die im Winter 1989/1990 die DDR aus der Krise führen sollte. Am Runden Tisch sollten alle gesellschaftlich relevanten Gruppen möglichst gleichberechtigt über die Zukunft des Landes verhandeln. Das klang nach Basisdemokratie und Bürgerbeteiligung, nach Werten also, die auch heute wieder Hochkonjunktur haben. Aber es gab auch Kritiker: der Runde Tisch sei ein ‚Nebenparlament’ ohne demokratische Legitimation gewesen. Kann der Runde Tisch, trotz seiner Unzulänglichkeiten, als Basis für ein Planspiel dienen, bei dem Schüler/innen Geschichte auf lebendige Weise vermittelt wird? Er kann, und das sogar sehr gut. Denn der Runde Tisch spiegelt die Entwicklungen des chaotischen Winters 1989/1990 hervorragend wider: ‚Alte’ und ‚neue’ Kräfte standen sich gegenüber, die DDR war in einer tiefen Krise, der Weg in die Zukunft schien offen. Sei es die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, die Vorbereitung der Wahlen oder die Fluchtwelle in Richtung Westen – alle relevanten Themen wurden am Runden Tisch diskutiert.

Als wir im Projektteam der Deutschen Gesellschaft e.V. im Jahr 2010 begonnen haben, am Konzept des Planspiels zu arbeiten, waren wir uns sicher, anhand des Runden Tisches gleich mehrere komplexe Themen behandeln zu können: Die Schüler/innen sollten lernen, wer die ‚alten’ und wer die ‚neuen’ Kräfte waren, welche Ziele sie verfolgten, und vor welchen Herausforderungen sie standen. Das Spiel sollte Wissen vermitteln, die sozialen und rhetorischen Kompetenzen der Schüler/innen stärken und dabei Spaß machen. Doch schnell zeigte sich, dass die Vorzüge auch Nachteile mit sich brachten: Am Runden Tisch wurden zwar alle Probleme und Schwierigkeiten des Frühjahres 1990 behandelt, aber seine Zusammensetzung und Entwicklung spiegelten auch die schnellen und teilweise chaotischen Verhältnisse jener Zeit wider. Dies brachte ganz besondere Herausforderungen mit sich: Am historischen Runden Tisch nahmen 16 Gruppen teil – zu viele für ein Planspiel. Zudem haben einige Gruppen im Laufe der 16 Tagungsrunden eine Entwicklung durchlaufen und mussten zum Schluss einem anderen ‚Lager’ zugerechnet werden als zu Beginn der Verhandlungen. Wir waren am Kernproblem angekommen: Das Spiel sollte sich möglichst nah an den historischen Begebenheiten orientieren. Gleichzeitig aber ist es Ziel eines Planspiels, von der Wirklichkeit zu abstrahieren, soll es doch bestimmte Funktionsweisen und Zwänge exemplarisch darstellen. Das Planspiel zum Runden Tisch verlangte nach einem Kompromiss, der genau bedacht sein musste. Würde sich das Spiel zu nah am historischen Vorbild orientieren, so wäre es aufgrund der schieren Anzahl an Akteur/innen und der Komplexität der Materie für die Teilnehmer/innen  unspielbar. Hätten wir wiederum die Spielbarkeit in den Vordergrund gestellt, so hätte die Gefahr bestanden, dass die Schüler/innen vollkommen falsche Vorstellungen von den historischen Verhältnissen erhielten. Dass viele der Akteure keine professionellen Politiker waren und mit improvisierten Mitteln auskommen mussten, ist für ein Schulprojekt nicht von Nachteil. Es senkt für die Schüler/innen  die Hemmschwelle, sich aktiv an Diskussionen zu beteiligen und sich in die Rolle der Teilnehmer/innen des Runden Tisches zu versetzen. 

Unsere Lösung des Problems bestand darin, die Auswahl der teilnehmenden Gruppen auf fünf zu begrenzen und die zu behandelnden Themen in zwei große Blöcke aufzuteilen, die von den Jugendlichen an je einem Schultag bearbeitet wurden. Von den im Jahr 1989/1990 anwesenden Parteien und Gruppen haben wir uns für die CDU, den Demokratischen Aufbruch, das Neue Forum, die SDP/SPD sowie die SED-PDS entschieden. So konnten wir eine Zusammensetzung aus bisherigen Machthabern, ehemaligen Blockparteien, Bürgerrechtsgruppen und neugegründeten Parteien erreichen. Diese Aufteilung verhindert Pattsituationen, sie bietet genügend Dynamik und lässt den Schüler/innen  Raum für eigene Interpretationen der Gruppenziele. Eine besondere Rolle spielt das Team der Moderatoren: Diese Jugendlichen leiten die Verhandlungen, sie erteilen das Wort und mahnen die Teilnehmer/innen zu gegenseitigem Respekt.

Auch bei der Auswahl der Inhalte mussten wir nach Kompromissen suchen. Der Zentrale Runde Tisch befasste sich mit zahlreichen Themen, die sich schlecht für den Schulunterricht eignen, so zum Beispiel die Aufklärung des Polizeieinsatzes am 7. und 8. Oktober 1989 oder die Vorbereitung der ersten freien Volkskammerwahlen. Nach reiflicher Überlegung haben wir zwei Themenschwerpunkte definiert: Am ersten Tag verhandeln die Teilnehmer/innen über die Auflösung bzw. Beibehaltung des Ministeriums für Staatssicherheit, am zweiten Tag widmen sie sich dem Thema Wiedervereinigung.

Die Erfahrungen der Deutsche Gesellschaft e.V. mit dem Planspiel im Jahr 2011 waren durchwegs positiv. Mit Unterstützung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde das Spiel an zehn Schulen im gesamten Bundesgebiet durchgeführt. Die Schüler/innen haben die ihnen zugeteilten Rollen mit Begeisterung angenommen und mit viel Engagement und auch Improvisationstalent kontroverse Diskussionen geführt. So entgegnete ein Schüler aus Niedersachsen auf den Vorwurf, seine Partei habe sich „um 180 Grad gewendet“: „Ich finde, wir alle könnten uns nicht nur um 180, sondern sogar um 360 Grad wenden. Seien sie doch nicht so verbohrt!“

Interessanter Weise haben die Gruppen Verhandlungsergebnisse erzielt, die nicht immer dem historischen Vorbild entsprachen. So sprach sich der Runde Tisch einige Male auch gegen eine schnelle Wiedervereinigung aus und empfahl eine Konföderation beider deutschen Staaten. In einem Fall empfahlen die Jugendlichen sogar, die Staatssicherheit weiter bestehen zu lassen. Die Sicherheit der Bürger/innen müsse schließlich gewahrt werden. Diese Ergebnisoffenheit haben wir bewusst zugelassen, während der Reflexionsrunde haben die Referent/innen allerdings auf die Unterschiede zum historischen Ergebnis hingewiesen.

Das Planspiel richtet sich an Schüler/innen der Jahrgangsstufen 9 bis 13. Die Deutsche Gesellschaft e.V. stellt die Unterlagen zum Planspiel kostenfrei zur Verfügung. Interessierte Lehrer/innen können die Dokumente unter folgender Adresse bestellen:

Deutsche Gesellschaft e.V.
Alesch Mühlbauer
Abt. Politik & Gesellschaft
Voßstraße 22
10117 Berlin
E-Mail: alesch [dot] muehlbauer [at] deutsche-gesellschaft-ev [dot] de 

 

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