Empfehlung Seminarbericht

Gruppenheterogenität und Kontroversität am Beispiel regionaler Helfer/innenworkcamps

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Thomas Kunz ist pädagogischer Mitarbeiter in der Mahn- und Begegnungsstätte Ravensbrück  
Von Thomas Kunz

In meinem Vortrag werde ich über das Workcamp der helfenden Verbände (Helfen erlaubt?!) berichten, das wir 2012 zum fünften Mal in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück durchführen werden.

Bei den ersten drei Workcamps entstand jeweils ein Film, einen einminütigen Ausschnitt aus dem Jahre 2010 möchte ich zum Einstieg kurz zeigen (Transkript des Filmdialogs):

Teilnehmer (TN)

Also wir machen jetzt hier aktuell die ganzen Büsche raus, und versuchen dabei, die ganzen Wurzeln mit raus zu nehmen. Das ist nur ein bisschen schwierig wegen der Steine, die direkt darunter sind.

Frage

Kannst Du Dir vorstellen, was den Häftlingen hier Kraft gegeben hat, weiter zu machen und nicht aufzugeben?

TN

Ich denke mal, dass es einfach das war, dass die sich gesagt haben: "Wir tun denen nicht den Gefallen, dass wir einfach sterben" oder es ist einfach der Lebensinstinkt, einfach weiter zu machen und Hoffnung zu haben. 

TN

Ich denke mal, dass jeder Mensch irgendwie immer einen Teil in der Seele hat, wo man denkt, dass er einem Kraft geben kann.

TN

Also Willenskraft kann ich das vielleicht nicht nennen weil sie es, glaube ich, nicht machen wollten, die Arbeit. Und dass sie Kraft hatten durch das Essen, das sie hatten, kann ich mir auch nicht vorstellen, denn das Essen dürfte nicht gerade 5 Sterne-Luxusklasse sein. 

TN

Ich glaube, dass jeder sich unterstützt hat, jeder hat gesagt, halt durch, und dann schaffen wir das. 

TN

Ich denke mal, in solchen Situationen versucht man eigentlich, das Beste noch mal aus sich heraus zu holen, um zu überleben. Es haben ja einige geschafft, zu überleben, Respekt vor denjenigen. 

Allgemeine Informationen zum Workcamp

Teilnehmen können 40 junge Menschen aus den Jugendverbänden von Technischem Hilfswerk (THW), der Feuerwehr, der Johanniter, der Malteser, dem Roten Kreuz sowie aus verschiedenen Jugendfreizeiteinrichtungen in Berlin und Brandenburg. Es ist entstanden, nachdem wir schon mit verschiedenen Einzelverbänden Projekte durchgeführt hatten und uns dann mit ihnen und dem Landesjugendring Brandenburg an einen Tisch gesetzt haben, um Möglichkeiten einer gemeinsamen Veranstaltung auszuloten. Das Camp findet regelmäßig in den Herbstferien statt, die Teilnehmer/innen verbringen die Hälfte der Ferien bei uns in der Gedenkstätte.

Anfangs war das Projekt sehr stark um den Begriff des ‚Helfens’ zentriert: Die jungen Menschen sind in ihren Verbänden ehrenamtlich als Helfer/innen tätig, sie kommen an die Gedenkstätte, um uns zu helfen, das weitläufige ehemalige Lagergelände, das sich die Natur vielerorts zurück holt, zu bewahren und zu unterhalten, und drittens schließlich besuchen sie inhaltliche Workshops, in denen sie sich anfangs ausschließlich mit dem Thema „Helfen im NS“ auseinandergesetzt haben. In den letzten Jahren haben wir sie dann thematisch immer mehr ausgeweitet.

Gruppenheterogenität 

Die Verbände, aus denen die Teilnehmenden kommen, sind sehr verschieden und verfügen über unterschiedliche Verbandskulturen. Beim ersten Camp z.B. waren wir sehr verblüfft, als der THW-Jugendbetreuer seine Jugendlichen vor der Auftaktveranstaltung antreten ließ. Diese allzu sehr militärischen Umgangsformen entlehnte Praktik – gerade an diesem Ort mit seiner Geschichte – befremdete uns zutiefst. Wir haben es dann auch zum Thema gemacht, und das Verhältnis entspannte sich.

Auch altersmäßig sind die Teilnehmer/innen sehr heterogen, die Veranstaltung wird für 15- bis 27jährige ausgeschrieben, es waren aber auch 13 und 14jährige dabei, was für die Workshop-Leiter/innen stets die große Herausforderung beinhaltet, dem in den Lerngruppen gerecht zu werden, niemanden zu über-, aber auch nicht zu unterfordern.

Ähnliche Unterschiede bestehen hinsichtlich des Bildungsniveaus: Nicht wenigen der Teilnehmenden bereitet es ziemliche Mühe, Texte zu lesen, zu bearbeiten und zu deuten, während andere damit keine Probleme haben. Dem Rechnung tragend haben wir in den Workshops versucht, angemessene Formen der Auseinandersetzung zu finden.

Ferner sind die helfenden Verbände (vor allem Feuerwehr und THW) männlich dominierte Einrichtungen mit einem relativ geringen Frauenanteil, was sich in der Zusammensetzung der Teilnehmenden entsprechend widerspiegelt.

Programm

Das einwöchige Programm des Workcamps setzt sich zusammen aus Pflegearbeiten im Gelände, inhaltlichen Workshops, Zeitzeuginnengesprächen, Freizeit sowie einem ‚Promitag’, der laut Rückmeldung der Jugendlichen gar nicht so unwesentlich ist. Denn ihre Arbeit erfährt an diesem Tag Anerkennung nicht nur von Seiten der Gedenkstätte, was selbstverständlich wäre, sondern auch durch die Verbandsspitzen und die Politik. Das Camp wird regelmäßig von der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, aber auch von Politiker/innen anderer Parteien sowie der Leitungsebene von THW, Feuerwehr und Johannitern besucht, die mit den Teilnehmenden ins Gespräch kommen über den Ort und seine Geschichte, aber auch über den Alltag der Jugendlichen, über das, was sie beschäftigt und bewegt.

Inhaltliche Arbeit

Zu Beginn war, wie vorhin kurz angerissen, der Ausgangspunkt der inhaltlichen Arbeit in den Workshops das Thema „Helfen im NS“ bzw. „Helfen in Ravensbrück“. Die Auseinandersetzung mit der Frage nach solidarischem Handeln innerhalb der Häftlingsgesellschaft und von Seiten der Umgebungsgesellschaft den Häftlingen gegenüber ist dabei höchst ambivalent, denn die erbärmlichen Existenzbedingungen im Lager waren für solidarisches Handeln der denkbar schlechteste Rahmen, und auch der Großteil der Quellen zum Verhalten der Umgebungsgesellschaft ist quellenkritisch zu rahmen: Aussagen von Fürstenberger/innen, die 50 Jahre später von ihren Erinnerungen an ihre Jugend in Nachbarschaft zum Lager berichten und erzählen, dass die Häftlinge, die z.B. im elterlichen Betrieb arbeiteten, es dort gut hatten und froh sein konnten, diese Arbeit verrichten zu müssen, sind multiperspektivisch zu kontrastieren mit Häftlingsberichten, die besagen, dass sie von Bürger/innen bespuckt oder in anderer Weise despektierlich behandelt worden seien. 

Was die Arbeitsformen in den Workshops anbelangt, so versuchen wir, möglichst „kreativ“ zu operieren: Es sind mittlerweile drei Filme entstanden, wir haben Kunstworkshops durchgeführt, in denen der immense Raum des ehemaligen Lagergeländes „bespielt“ wurde mit künstlerischen Installationen und mit (Informations)Tafeln, die die Teilnehmer/innen selbst gebaut haben. D.h. wir bemühen uns, dass sie das, was sie an handwerklichen Fähigkeiten mitbringen, auch einbringen können. Am Ende des Camps findet stets eine Präsentation statt, die uns an die verschiedenen Orte im Gelände führt, an denen die Teilnehmenden ‚interveniert’ haben. 

Ich möchte jetzt noch anhand von Fotos einige Beispiele für diese Interventionen im Gelände und in den Ausstellungen zeigen: 

  • Am Standort des ehemaligen Männerlagers berichten zwei THW-Jugendliche über den Lebenslauf eines Mannes, der als Homosexueller inhaftiert war.
  • In einem Workshop mit der Künstlerin Juliane Heise gestalteten sich die Teilnehmer/innen T-Shirts und wählten einen Ort im Gelände, um ihn zu überformen. Ein Teilnehmer verfasste z.B. ein Gedicht, das er in der Nähe der ehem. SS-Kantine und des Lagereingangs in Form einer Sonnenuhr in den Raum drapierte.
  • Teilnehmende versahen die im „Ort der Namen“ zu sehenden Gestapo-Fotos von Häftlingen mit Sprechblasen, in denen sich die Häftlinge über das erbärmliche Essen unterhalten sowie über den Blick von Fürstenberger/innen auf das Lager (einige Fürstenberger/innen bezeichneten in Interviews das Krematorium mit dem qualmenden Schornstein als „Bäckerei“).
  • In der Nähe der historischen „Beutegutbaracken“ erstellten TN eine Tafel mit der Aufschrift „Euer Eigentum gehört nur euch“, auf einer Tafel am ehem. Siemensgelände vermerkten sie „Siemens hat euch nicht mehr unter Kontrolle“.
Zum Schluss

In diesem Jahr findet das Workcamp zum fünften Mal statt. Während es im ersten Jahr noch Probleme gab, ausreichend Teilnehmer/innen zu finden, sind seitdem die vierzig Plätze stets besetzt. Ich denke, es gelingt uns einigermaßen, dass die Teilnehmenden aktiv werden, dass sie sich mit der Geschichte auseinander setzen, sich auf sie einlassen, sie an sich heran lassen und einen eigenen, individuellen Zugang zu ihr finden. Wir versuchen, sie produktiv zu verunsichern, ohne sie zu überwältigen. Wir konfrontieren junge Menschen, die sonst eher selten eine Gedenkstätte besuchen würden, mit dieser Geschichte. Viele Teilnehmer/innen haben an mehreren Workcamps teilgenommen, wobei unser Bestreben dahin geht, stets möglichst viele neue Jugendliche für das Projekt zu begeistern. 

Andererseits ist eine Veranstaltung wie diese sehr anstrengend und erfordert ein großes Maß an Vor- und Nachbereitung das ganze Jahr hinweg.

Redaktionelle Anmerkung

Der vorliegende Text beruht auf der Abschrift des Vortrages von Thomas Kunz.

 

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