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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Von Matthias Heyl
Gedenkstätten mit zeitgeschichtlichem Fokus sind in der Regel Orte, an denen wir mit Emotionen und Kontroversen, zuweilen sogar in der Kombination hoch emotional ausgetragener Kontroversen, konfrontiert werden. Das klingt zu Beginn dieses Berlin-Brandenburgischen Forums für zeitgeschichtliche Bildung am Ort der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam fast wie eine Binsenweisheit, waren doch Gestaltung und Eröffnung dieser Einrichtung von heftigen Kontroversen begleitet.
Dass Gedenkstätten Kontroversen hervorrufen, war lange keine Selbstverständlichkeit, hat sich die Bedeutung des Begriffes der Gedenkstätte in der deutschen Öffentlichkeit doch seit 1945 massiv gewandelt. In der Regel haben wir heute in unserer Alltagswahrnehmung Orte vor Augen, die meist auf historische, politisch begründete Gewalt-, Verbrechens- und Unrechtserfahrungen verweisen. Dass diese Eindeutigkeit keineswegs selbstverständlich ist, darauf verweist Jan-Philipp Reemtsma, wenn er betont, dass etwa die KZ-Gedenkstätten zuallererst als Gedenkorte für die Überlebenden und ihre Nachkommen und als „Orte der Dokumentation zu Beweiszwecken“ dienten, und sich damit von „Erinnerungsorte[n] anderer Art“ abheben. Reemtsma nennt Kriegsgräberstätten und Kriegerdenkmäler, die vor 1945 das Bild des Gedenkortes viel mehr bestimmten: „Auch sie sind Orte, an denen sich Hinterbliebene versammeln können. Auch das würde aufhören, wenn die besonderen Namen, die auf dem Denkmal goldunterlegt eingegraben sind, niemandem mehr etwas sagen. Aber das Denkmal selber soll dem Ort noch weiterhin etwas sagen; vielleicht, dass eine künftige Generation im Kriegsfalle ebenso leichten Herzens ins Feld ziehen möge, wie das von den Gefallenen behauptet wird. Oder auch nur, dass sie versichert sein sollen, dass auch ihrer einst gedacht werden wird. Jedenfalls dient das Denkmal zur Sinnstiftung vor Ort.“[1] Während Gedenkstätten in der heutigen deutschen Wahrnehmung meist auf eine negative Geschichte rekurrieren, war das Bild der affirmativen Gedenkorte und -stätten, die einem positiven Beispiel und Vorbild ein sinnstiftendes Denkmal setzten, vordem maßgeblicher. Aber selbst die alten Soldatenfriedhöfe führen uns – ihrer ursprünglichen Intention zuwider – in unserer heutigen Wahrnehmung weniger den Pathos heroischer Vorbilder vor Augen, als vielmehr das Elend des Krieges. Wenn man weiß, dass dieser eklatante Perspektivwandel in relativ überschaubarer Zeit stattgefunden hat, darf man sich auch ein wenig fürchten, weil sich derlei nicht immer nur zum Guten ändert.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel, an dem sich beide Gedenkstättentypen auf verstörende Weise begegnen: Im mecklenburgischen Wöbbelin zwischen Ludwigslust und Schwerin wurde der 1813 bei einem Gefecht gefallene Dichter Theodor Körner bestattet, der sich als patriotischer Kämpfer gegen die napoleonische Besetzung dem »Lützowschen Freikorps« angeschlossen hatte. Das Grabdenkmal, nach Plänen des Architekten Gottlob Friedrich Thormeyer errichtet und 1814 auf dem Friedhof feierlich eingeweiht, „entwickelte sich schon kurz nach dessen Tod zur national-patriotischen Gedenkstätte“. 1938 wurde die „Theodor-Körner-Gedenkstätte“ zu einer „nationalsozialistischen Weihestätte“ umgestaltet. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges errichtete die SS in unmittelbarer Nähe zur Stadt Ludwigslust ein Außenlager des Hamburger Konzentrationslagers Neuengamme, das KZ Wöbbelin. Nach der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen wurden Opfer dieses Lagers im Umfeld der Körner-Gedenkstätte beigesetzt, 1965 erfolgte die Widmung als Gedenkstätte für die dort beigesetzten KZ-Häftlinge.[2]
Wie reflektiert nun die heutige Gedenkstätte dieses Amalgam zweier Gedenkanlässe an einem Ort? Auf der Website der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin heißt es recht lapidar heute: „Das Gebäude der Mahn- und Gedenkstätten wurde zur Ehrung Theodor Körners errichtet. Der patriotische Poet ist am 26. August 1813 während eines Gefechtes in den Napoleonischen Befreiungskriegen tödlich verwundet worden. Seit 1965 wird hier auch dem Schicksal derer gedacht, die am Ende des 2. Weltkrieges in dem Konzentrationslager nahe Wöbbelin zu Tode kamen. Auf dem Gelände, wo Theodor Körner zu Grabe gebettet wurde, sind auch etwa hundertsechzig von den mehr als eintausend Toten des KZ-Auffanglagers bei Wöbbelin begraben.“[3]Während das affirmative Körner-Gedenken – je nach Zeit und Deutung – patriotische, nationalistische oder chauvinistische Verehrung, Pathos (als besondere, gesteigerte und weihevoll gerahmte Form der Emotionalität) und Bereitschaft, seinem Beispiel zu folgen, aufrufen sollte, konfrontieren die Gräber der Opfer des KZ Wöbbelin die Besucher/innen mit dem Factum der nationalsozialistischen Massenverbrechen. Ich bin kein Kenner der Geschichte dieses Gedenkortes, um nun genau beschreiben zu können, welches Bild die Gedenkstätte in der DDR auf diesen Ort projiziert hat – es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch dort der Bezug auf das KZ als historische Negativfolie offensiv mit dem Bild des heroischen, letztlich siegreichen antifaschistischen, kommunistischen Widerstands ins Positive gewendet wurde.
Für andere Orte weiß ich zu beschreiben, wie in der DDR versucht wurde, den KZ-Gedenkstätten auch ein affirmatives Pathos beizugeben – etwa mit dem Epitaph von Anna Seghers am Eingang der 1959 eingeweihten »Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück«, wo es über die im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück inhaftierten Frauen appellativ heißt: »Sie sind unser aller Mütter und Schwestern. Ihr könntet heute weder frei lernen noch spielen, ja ihr wäret vielleicht gar nicht geboren, wenn solche Frauen nicht ihren zarten, schmächtigen Körper wie stählerne Schutzschilder durch die ganze Zeit des faschistischen Terrors vor euch und eure Zukunft gestellt hätten.“
Noch ist die lange währende gedenkstättenpädagogische Praxis der DDR seit Gründung der »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre kaum umfassender untersucht. Wir wissen um die ideologisch aufgeladene, sinnstiftende Funktion der Gedenkstätten, die weniger auf die anlassgebende Geschichte in ihrer Komplexität gerichtet waren, als vielmehr auf eine auch zuweilen pathetisch gerahmte, sinnstiftende Unterstützung des Gründungsmythos der DDR. Die Gedenkstätten betonten den heldenhaften antifaschistischen Widerstand unter Führung der Kommunisten, der sich in der Gründung der DDR vollendet sah. Die schockierende Konfrontation mit dem Grauen der Lager galt mehr als Mittel der »Aufklärung« über das »wahre Gesicht des Kapitalismus«, als der Wahrnehmung der Pein der Opfer als Teil der Wahrnehmung des Ortes und seiner Geschichte. Die semantische Trennung nach »Kämpfern gegen den Faschismus« und »Opfern des Faschismus« zog dabei eine auch hierarchische Linie der gesellschaftlichen Anerkennung.
Dieses Feld DDR-spezifischer normativer Rahmungen von Gedenkstättenerfahrungen hier eingangs auch anzusprechen, scheint mir zu Beginn eines Berlin-Brandenburgischen Forums zur zeitgeschichtlichen Bildung unerlässlich, da es Nachwirkungen in Teilen der Lehrerschaft und – vermittelt – in Teilen der Schülerschaft haben dürfte, die aber keineswegs schon sozialwissenschaftlich valide untersucht wären. Auch die Frage, in welcher Form Emotionalität aufgerufen, herausgefordert und in der Praxis Raum gegeben wurde, welche Räume es jenseits normativ gesetzter Erwartungen für „Emotionalität“ und „Kontroversität“ – etwa in abseitigen Nischen im Gefüge der staatlich verantworteten Jugendstunden zur Vorbereitung der Jugendweihe oder in den Freiräumen kirchlicher Rüstzeiten – doch gegeben haben mag, ist weithin noch nicht untersucht. Ebenso wenig haben wir genauere Kenntnis von verlässlicher Repräsentativität, welche Gedenkstättenerfahrungen in diesen angedeuteten Rahmungen oder gegen sie Gedenkstätten-Besucher/iinnen damals gemacht haben und welche Wirkungen das auf ihre heutige Sicht auf die Orte und ihre Geschichte hat.
In unserer heutigen, pluralistischen Gesellschaft agieren Gedenkstätten immer – zumal, wenn sie auf historische Gewalt- und Verbrechenskomplexe verweisen – in einem gesellschaftlichen Feld vielfältiger Erwartungen. Als – selber wieder heterogene – Akteure, die ihre Erwartungen am Gedenkstätten richten, seien hier Überlebende oder Betroffene und deren Nachkommen, ob als Individuen oder im Verband, Wissenschaftler/innen, Besucher/innen, »die Politik« und die Gedenkstättenmitarbeiter/iinnen selbst genannt. Zuweilen artikulieren sie sehr unterschiedliche, manchmal sogar einander widersprechende oder ausschließende Ansprüche an die Gedenkstätten.
Gedenkstättenpädagogik sieht sich damit heute wiederum vielfältigen Erwartungen verschiedener Akteure in Bildungsprozessen gegenüber – (mit den Normierungen etwa der schulischen Wahrnehmung der Gedenkstätten als außerschulischer Lern- und Bildungsort) denen der Schulverwaltungen und Rahmenrichtlinien, der Geschichtsdidaktik, und im konkreten Bildungsprozess insbesondere denen der Lehrer/innen und Schüler/innen. Und schließlich spielen auch die Erwartungen der Gedenkstättenpädagog/innen selber – im skizzierten Feld der den Gedenkstätten eigenen Erwartungsfelder von Überlebenden/Betroffenen, Wissenschaft und Politik – in unsere Arbeit hinein. (...)
Redaktionelle Anmerkung
Dieser Text bildet die Einführung zum Einleitungsvortrag von Dr. Heyl für das Berlin-Brandenburgische Forum für zeitgeschichtliche Bildung 2012. Der vollständige Text findet sich als PDF-Dokument unter "Download".
[1] vgl. Jan Philipp Reemtsma, Wozu Gedenkstätten? In: Aus Politik und Zeitgeschichte 25-26/2010, S. 3-9, hier: S. 4; auch online unter http://www.bpb.de/publikationen/8ICPZP,0,Wozu_Gedenkst%E4tten.html[zuletzt geprüft: 23. Mai 2012].
[2] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%B6bbelin [zuletzt geprüft: 23. Mai 2012].
[3] http://www.kz-woebbelin.de/html/start/index.php?lang=de [zuletzt geprüft: 23. Mai 2012].
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- 29 Okt 2012 - 11:12