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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Uwe Protsch
1) Knappe Beschreibung des Instrumentes „Arbeitserziehungslager“ im NS-Staat und in Frankfurt/M.
Jedem, der sich mit dem Thema beschäftigen will, empfehle ich unbedingt das umfassende Werk „KZ der Gestapo“ von Gabriele Lotfi (Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart München 2000). Frau Lotfi beschreibt die Entwicklung dieses Terrorinstrumentes seit den Anfängen in den dreißiger Jahren und erläutert vor allem schlüssig, dass die „Arbeitserziehungslager“ vornehmlich zur Einschüchterung ausländischer und deutscher Arbeiter dienen sollten. Erst später erfüllten sie auch andere Funktionen. Der Begriff „Arbeitserziehungslager“ ist insofern problematisch, als es sich um eine typische Vokabel der Nazis handelt, die - wie andere Wortschöpfungen auch - auf zynische Weise das tatsächliche Geschehen camouflieren sollte.
Das Frankfurter „AEL“ wurde erst 1942 eingerichtet. Zwar waren die allermeisten Häftlinge dieses Lagers Zwangsarbeiter aus Osteuropa, Frankreich und den Niederlanden, welche wegen kleinerer Vergehen, „Arbeitsvertragsbruch“ oder auch „Faulheit“ zu einer Haftstrafe von meist vier bis acht Wochen verurteilt wurden.
Allerdings wies die Gestapo Frankfurt schon von Anfang an auch jüdische Mitbürger, deutsche Arbeiter sowie zur weiteren „Verbringung“ in Konzentrationslager vorgesehene Regimegegner, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ein. Später wurde das Lager als „erweitertes Polizeigefängnis“ deklariert; es kamen Menschen aus nahezu allen Gruppen hinzu, welche der Verfolgung durch die Gestapo ausgesetzt waren, bspw. „auffällige“ Jugendliche.
Die Gestapo Frankfurt verfügte über das „AEL“ nahezu nach eigenem Gutdünken, wie es G. Lotfi auch von anderen vergleichbaren Einrichtungen berichtete. In den Jahren 1944 und 1945 wurden dort extralegale Hinrichtungen vorgenommen. Die Haftbedingungen waren von fehlender Hygiene, unzureichender Kleidung und ungenügender Ernährung gekennzeichnet, bei gleichzeitiger Schwerstarbeit. Zusammen mit den brutalen Misshandlungen führten diese in einigen Fällen offensichtlich zum Tod von Insassen.
Das Frankfurter „AEL“ unterhielt etliche „Außenkommandos“ u.a. im Taunus.
2) Warum eine Datenbank?
Als ich mit den Recherchen zum „AEL“ begann, stellte ich bald fest, dass Dokumente, die sich direkt auf dieses Lager beziehen, offensichtlich nur spärlich vorhanden sind. Dies gilt ins Besondere für die Verwaltung, also Anordnungen, Korrespondenz, Dienstpläne usw. Hinzu kommt, dass fast alle Akten der Frankfurter Gestapo entweder bei Kriegsende verbrannt wurden oder aus anderen Gründen baw. nicht auffindbar sind. Allerdings liegen die Akten des Spruchkammerverfahrens gegen den Lagerkommandanten und einige Wachmänner vor. Wer jedoch sich für die Opfer dieser Einrichtung interessiert, wer die Absicht hat, das Schicksal und die Leiden der einzelnen Häftlinge in geeigneter Form zu verdeutlichen, kann eigentlich hauptsächlich nur auf eine ergiebige Quelle zurückgreifen: die Kartei der Frankfurter Gestapo.
Diese (nicht vollständige) Sammlung von etwa 138.000 Karteikarten konnte von den amerikanischen Behörden sichergestellt werden und ist beim ITS in Bad Arolsen sowie in mikroverfilmter Form beim Hauptstaatsarchiv Wiesbaden als auch im Stadtarchiv Frankfurt vorhanden.
Die allermeisten Karten enthalten persönliche Daten wie Name, Geburtsdatum und -ort sowie in knapper Form eine Beschreibung des Sachverhalts wie z.B: „Befindet sich vom 13.5.44 bis 18.7.44 weg.Arbeitsvertragsbruch im AEL.-Ffm-Heddernheim in Pol.Haft.“.
Man kann davon ausgehen, dass grundsätzlich für jeden, der von der Gestapo in das Lager eingewiesen wurde, eine Karteikarte angelegt wurde.
Somit enthält die „Gestapo-Kartei“ mehrere Tausend Dokumente, auf denen mehr oder weniger präzise Angaben zu den Insassen des „AEL“ zu finden sind. Bei allen zu berücksichtigenden Einschränkungen wie z.B. fehlende Karten und falsche, unleserliche oder missverständliche Eintragungen liegt somit ein umfangreicher Datenbestand vor, der sich zur (auch statistischen) Auswertung anbietet, aber auch die Möglichkeit gewährt, Einzelschicksale unter Heranziehung weiterer Quellen zu beschreiben.
Beim Erstellen einer Tabelle, welche ursprünglich nur als Arbeitsbehelf dienen sollte, kam mir der Gedanke, dass womöglich auch Andere Nutzen aus diesen Informationen ziehen könnten. Außer dem stellte ich fest, dass viele Daten gerade über Zwangsarbeiter in zahlreichen Quellen zu finden sind und es mir wahrscheinlich nicht gelingen wird, all diese Quellen ausfindig zu machen oder gar selbst auszuwerten. Ein „öffentlich“ zugänglicher Datenbestand allerdings könnte auch von Anderen ergänzt oder korrigiert werden. Auf diese Weise wird eine Datenbank entstehen, deren Qualität im Laufe der Zeit immer besser wird und die jeder Interessierte auswerten und heranziehen kann. Dieses Projekt muss nicht auf die Häftlinge des „AEL“ Frankfurt-Heddernheim beschränkt sein; es könnte später erweitert werden, bspw. auf alle Opfer der Frankfurter Gestapo.
3) Inhalt, Qualität, Probleme
Die Datenbank ist keineswegs nur ein Auszug der „Gestapo-Kartei“; in ihr sind auch bereits Informationen aus zahlreichen anderen Quellen eingeflossen. So existieren aus dem Jahr 1942 Listen, die sich auf Transporte von Häftlingen zwischen dem Polizeigefängnis und dem „AEL“ beziehen und die im Bundesarchiv Berlin einzusehen sind. Weitere Dokumente sind u.a. im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, beim ITS in Bad Arolsen, beim Stadtarchiv der Stadt Frankfurt zu finden. In etlichen Fällen konnten bereits Angaben aus den Karteikarten durch andere Unterlagen bestätigt und ergänzt werden. Indessen kommt es auch vor, dass der Vermerk auf einer Karteikarte ohne zusätzliche Informationen in die Irre führen kann. So ist häufig von „Polizeihaft“ oder „Schutzhaft“ die Rede. Diese Ausdrücke legen nahe, dass der jew. Betreffende im Polizeigefängnis der Frankfurter Gestapo in der Klapperfeldstraße einsaß. Aus anderen Quellen geht aber in Einzelfällen hervor, dass die Haft im „AEL“ vollzogen wurde, obwohl die Begriffe „Arbeitserziehungslager“ bzw. „AEL“ nicht auf der Karteikarte erscheinen! Daraus ergibt sich die Frage, ob es überhaupt möglich sein kann, in allen Fällen zu ermitteln, in welcher Haftanstalt der Frankfurter Gestapo der Betreffende einsaß.
Ungeklärt ist auch die Frage, in welchem Umfang Frauen im „AEL“ inhaftiert waren. Auf etlichen Dokumenten ist vermerkt, dass die betr. Frau in das „AEL“ Frankfurt-Heddernheim eingewiesen wurde. Dies steht im Widerspruch zu der damaligen Regel, nach der Frauen zunächst in das „Arbeitserziehungslager“ Watenstedt, später in das 1944 eröffnete Lager Hirzenhain kamen. Womöglich wurden Frauen in Einzelfällen deshalb nach Frankfurt-Heddernheim geschickt, weil das Lager Hirzenhain erst Monate nach dem geplanten Termin fertiggestellt wurde. Vielleicht erschien es aber auch zu aufwendig, die betr. Frauen in die weiter entfernten Lager Watenstedt oder Hirzenhain zu verbringen.
Einige Quellen deuten darauf hin, dass mit dem Vorrücken der Westallierten immer mehr Lager westlich von Frankfurt geräumt und die Gefangenen nach Osten deportiert wurden, wo sie in anderen Hafteinrichtungen landeten. Zu diesen Einrichtungen gehörte auch das „AEL“ Frankfurt, allerdings diente es wohl eher als Durchgangsstation für weitere Transporte Richtung Osten, ins Besondere nach Buchenwald. Hier fehlen bislang belastbare Informationen, welche eine eindeutige Aussage erlauben.
Schließlich sei noch auf die oben erwähnten „Außenkommandos“ hingewiesen, zu deren Insassen mir kaum Informationen vorliegen. Es ist schon schwierig, immer mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln, ob es an einem best. Ort eine Dependance des „AEL“ gab. Gerade an Industriestandorten waren gleichzeitig Lager für Zwangsarbeiter neben Straflagern und Kriegsgefangenenlagern eingerichtet, so dass für Zeitzeugen nicht immer klar war, um welche Häftlinge es sich jeweils handelte. Ob gar noch Dokumente bei den in Frage kommenden Gemeinden vorliegen, lässt sich für mich nicht mit vertretbarem Aufwand feststellen (s.u.). Von den Betrieben, die seinerzeit von der Zwangsarbeit profitiert hatten, existieren die meisten nicht mehr.
4) Ausblick und Aufruf
Derzeit (Stand März 2012) enthält die Datenbank mehrere Tausend Namen sowie in vielen Fällen ergänzende Informationen. Da sie sich im Aufbau befindet, sind alle Angaben als vorläufig zu behandeln. Nur bei einem Teil der Namen ist sicher, dass der oder die Betreffende im „AEL“ inhaftiert war. Meine Vorgehensweise kann wie folgt gegliedert werden:
Ermittlung aller Personen, die im „AEL“ inhaftiert gewesen sein könnten,
Prüfung, ob zu diesen Personen weitere Informationen beim ITS vorliegen,
Prüfung, ob zu diesen Personen weitere Informationen beim Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden vorliegen.
Anschließend werde ich die Recherchen vorläufig beenden, es sei denn, es ergeben sich Hinweise auf bislang mir nicht bekannte, ergiebige Quellen. Ich hoffe, dann die Datenbank in einen Zustand gebracht zu haben, der aussagekräftige Analysen ermöglicht. Denkbar wäre etwa eine Untersuchung, ob die Länge der Haft von der Nationalität des jew. Insassen beeinflusst wurde, wofür es durchaus Hinweise gibt und was auch mit den rassistisch geprägten Vorschriften zur Behandlung der Zwangsarbeiter korrelieren würde.
Da ich dieses Projekt nur „nebenbei“, also unter Berücksichtigung meiner Berufstätigkeit und meiner familiären Verpflichtungen, betreiben kann, geht die Arbeit langsamer voran, als ich es mir wünsche. Ich würde mich über jede Hilfe sehr freuen. Vor allem bitte ich dringend Jeden, der sich mit der Materie auskennt, meine Angaben zu ergänzen, zu prüfen und ggf. zu berichtigen.
Ich bin dankbar für jede Information und nehme unter uwe [dot] protsch [at] gmx [dot] de alle Anregungen und Hinweise entgegen. Bei mir kann auch der Zugang zur Datenbank beantragt werden, wobei ich darauf hinweise, dass es sich um sensible personenbezogene Daten handelt. Aus diesem Grund ist die Abgabe einer entspr. Verpflichtungserklärung notwendig.
Zum Projekt "Arbeitserziehungslager" der Gestapo in Frankfurt-Heddernheim auf L.I.S.A.
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- 28 Mär 2012 - 12:04