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„White Power“ in Wannsee

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Johannes Fülberth hat Geschichtswissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert und arbeitet als freier Mitarbeiter bei der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz. Er promoviert zum Thema "Das Gefängnis Spandau 1920-1945. Kontinuität und Bruch im Strafvollzug".
Von Johannes Fülberth

Über die Gedankenwelt und mörderische Praxis der extremen Rechten lässt es sich am eindrücklichsten lernen, wenn man sich an einem Ort der Täter selbst befindet.

„Gegen jeden Krieg. Freiheit für alle Völker“- über diese Parole, die über dem Bild eines zielenden amerikanischen Soldaten, die Waffe im Anschlag, prangt, herrscht Klarheit: „Ganz klar: ein linker Aufkleber“ meint Kai, und auch die anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Seminartages in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz stimmen ihm da zu und begrüßen auch grundsätzlich die Aussage. Wer möchte nicht Frieden und Freiheit?

Codes wie „88“ für „Heil Hitler“, „White Power“ als Glaube an die Überlegenheit der „weißen Rasse“ oder Lieder der neonazistischen Band Landser sind Schülerinnen und Schülern mittlerweile geläufig. Die eine oder andere hatte auch schon mal eine Schulhof-CD der NPD in der Hand - die Versuche der rechten Szene, Jugendliche an sich zu binden, beginnen so früh wie möglich. Auch dass Neonazis nur noch Sonntagabends im „Tatort“ Bomberjacke und Glatze tragen, im wirklichen Leben aber meistens ganz anders aussehen, ist den meisten bekannt.

Bei dem genannten Aufkleber liegen aber alle falsch.

Er stammt aus dem Spektrum der „Autonomen Nationalisten“ - der im Moment gewalttätigsten und agilsten Subszene der neonazistischen Landschaft. Es herrscht in der Gruppe erst mal Fassungslosigkeit: Ist der Aufkleber reine Mimikry? Oder glauben die Freunde des „Dritten Reiches“ und damit die Freunde von Angriffskrieg und millionenfachem Mord, wirklich an ihre eigenen Parolen?

Ein Rundgang durch die Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte und Arbeitsaufträge für die Kleingruppen stellen die historischen Bezüge her: In Raum 4 der Ausstellung hängt das Parteiprogramm der NSDAP, wo definiert wird, wer als „Volksgenosse“ galt. In Raum 5 wird der Angriff gegen Polen und die Sowjetunion thematisiert. Die Großmacht-Pläne für ein von Deutschland beherrschtes Osteuropa, das als Kolonie, Siedlungsraum und Reservoir für Sklavenarbeiter dienen sollte, lassen sich anhand einer Karte erläutern. Die ideologische Grundlage hierfür wurde bereits ein paar Räume vorher klar: Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus.

Der Aufkleber erscheint den Schülerinnen und Schülern nun im neuen Licht und sie beginnen scheinbar selbstverständliche Begriffe zu reflektieren: Wer ist denn mit „Völkern“ gemeint? Wie definierten die Nazis „Volk“? Und was geschah mit denen, die nicht dazu gerechnet wurden?

Das NPD-Programm, das, zurück im Seminar-Raum, analysiert wird, bietet ebenfalls Aufschlussreiches: „Die Systemparteien wollen sich durch Austausch des Volkes an der Macht halten“ und „Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus“ steht da. Schnell ist klar, dass mit „Freiheit der Völker“ scheinbar selbstverständlich „naturgegebene“ völkische Kategorien vorausgesetzt werden. So interessiert sich die heutige neonazistische Szene, wenn sie Demonstrationen gegen Krieg organisiert, nicht für allgemeine Menschenrechte oder Mittel der friedlichen Konfliktlösung. Ihr Ziel ist eine Diskursverschiebung: Deutschland als das Opfer alliierter Politik während des Weltkrieges, die Bombardierung Dresdens als der eigentliche „Bombenholocaust“.

Auch dass es gerade ein US-amerikanischer Soldat ist, der abgebildet wird, ist somit kein Zufall: Der USA wird nicht verziehen, dass sie an der Niederwerfung des deutschen Faschismus beteiligt war. Die Betonung heutiger Menschenrechtsverletzungen und Kriege der USA sollen auch die damalige Intervention im neuem Licht erscheinen lassen.

Doch bei der ausschließlichen Beschäftigung mit Kameradschaften und Neonazis kann schnell der falsche Eindruck entstehen, dass es sich zwar um gefährliche Gruppierungen handelt, diese allerdings mit ihren Ideen und Vorschlägen weitgehend allein dastehen würden.

Um einer Unterschätzung und damit Verharmlosung entgegenzuwirken - auch dafür leistet eine historische Ausstellung gute Dienste: Erstaunen kommt auf, wenn die Wahlergebnisse der NSDAP von 1928 mit jenen von 1932 verglichen werden: von 2,6% gelang es ihr in kurzer Zeit auf 37,4% zu kommen - die Weltwirtschaftskrise, gepaart mit einer weitverbreiteten Demokratiefeindschaft, machten aus der kleinen nationalistischen Sekte NSDAP innerhalb von wenigen Jahren eine starke Massenpartei. Auch sind viele Schüler überzeugt, dass besonders Arbeitslose und als „Unterschicht“ bezeichnete Bevölkerungsteile am anfälligsten für Rassismus und skrupellosen Utilitarismus waren und sind. Ein Blick auf die Teilnehmer der Wannseekonferenz dagegen zeigt: Zwei Drittel hatten studiert, und über die Hälfte der Männer hatten einen Doktortitel. „Uni schützt vor Blödheit nicht“ fasst es eine Schülerin treffend zusammen.

Sehr schnell wird klar: Die Auseinandersetzung am historischen Ort und eine Atmosphäre, in der die Teilnehmer ernst genommen werden, sich trauen, Fragen zu stellen, offen ihre Meinung zu sagen und miteinander zu diskutierten, bringt neue Erkenntnisse. Spannende Diskussionen über Thilo Sarrazin, antimuslimischen Rassismus, eigene Erfahrungen mit Rechtsextremen und den individuellen Handlungsmöglichkeiten gehen mit Fragen zur Geschichte des „Dritten Reiches“ Hand in Hand und ergänzen sich.

Bereits seit Jahren bietet die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz Seminare und Projekte zum Thema Neonazismus und Rechtsextremismus an, die besonders von Schulen gebucht werden. Die Parolen von heute sind die Vorstellungen von gestern - oft nur minimal abgeändert und gleichzeitig doch oft auf den ersten Blick kaum erkennbar. So deutlich wird dies selten bewusst.

Redaktioneller Hinweis

Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz führt Studientage zu Rechtsextremismus durch. Näheres können Sie der Webseite der Gedenkstätte entnehmen.

 

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